Let’s talk about Spex

Während ein neues Buch zu klären versucht, was Popjournalismus überhaupt ist, feiert die Spex, das ehemalige Cheforgan der Poprezeption, sich schon mal selbst. von andreas hartmann

Im Pop ist es wie in der CDU: an der Spitze eine Frau und sonst nur Männer. So zumindest ist die Sachlage in der eben erschienen Jubelsondernummer der Spex zum 25jährigen Bestehen der Zeitschrift. Von den knapp 30 »tollsten, interessantesten, wichtigsten TypInnen«, die hier nochmals porträtiert werden – Größenordnung Neil Young, Depeche Mode – sind neben der »Queen (Mum) of Pop« Madonna gerade mal drei Frauen toll, interessant und wichtig genug. Bei den Autoren, die die Sondernummer zusammengeschustert haben, sieht die Lage genauso trist aus: Fast alles wurde von den Jungs zusammengetragen. Und wo wir gerade schon beim Erbsenzählen sind: Im eben erschienenen, von Jochen Bonz, Michael Büscher und Johannes Springer herausgegebenen Reader »Popjournalismus« ergibt sich dasselbe Bild. Auch die Selbstbeob­achtung, auch die Definition davon, was Popjournalismus überhaupt sein könnte, wird von den Jungs beinahe vollständig unter sich ausgemacht.

Warum schreiben so wenig Frauen über Popmusik? Dieser Frage hätte man in dem ansonsten recht interessanten Buchprojekt, das aus einer Bremer Tagung zum Thema hervorgegangen ist, ruhig nochmals nachgehen können. Es scheint ja geradezu so zu sein, als nehme man es inzwischen als männliches Naturrecht hin, bestimmen zu können, was Monat für Monat cool und hip ist. Popjournalismus, so wie wir ihn kennen, hat stets etwas mit Besser- und Bescheidwissen zu tun, es wird ja geradezu verlangt, meinungsstark und als Rechthaber aufzutreten, in der Poprezeption ist der Auftrumpfer König. Logisch, dass sich vor allem Jungs scharenweise dazu berufen fühlen, von sich und ihren Geschmacksurteilen zu erzählen.

Dass unter diesen Bedingungen Mädchen im Popjournalismus nicht mitmachen wollen bzw. dürfen, ist nur eines der Symptome für die Krise, in der dieser steckt. Was sonst alles schief läuft, immer mehr unhinterfragt hingenommen wird oder ganz entsetzlich ist, das wird in den unterschiedlichen Essays des »Popjournalismus«-Readers immer wieder angesprochen. Es wird sich vor allem an der Intro und dem Geburtstagskind Spex, dem Verhältnis zwischen Popzeitschrift und klassischem Feuilleton und in geradezu huldigender Weise an dem Übervater und der grauen Eminenz des deutschen Popjournalismus, Diedrich Diederichsen, abgearbeitet. Er, der die diskursive Ausrichtung der Spex bis Mitte der Neunziger geprägt hat wie kein zweiter, hat zuletzt in Interviews und eigenen Texten immer wieder deutlich gemacht, dass er sich von den deutschen Musikzeitschriften jedoch gar nichts mehr versprechen würde. In einem in »Popjournalismus« abgedruckten Interview kennt er für die Intro, die für ihn »keine Zeitschrift, sondern der Quelle-Katalog« ist, dann auch keine Gnade und fordert generell: »Die Form der Popzeitschrift müsste man aufgeben und versuchen, Zeitschrift neu zu definieren.«

Gerade der Spex ist das stoische Bekenntnis zur eigenen Geschichte und Tradition bei gleichzeitiger Verwandlung in ein, wie es an einer Stelle des Buches heißt, »Magazin, das, dem Aktualitätszwang geschuldet, die Releasepläne abarbeitet«, eher zur Last geworden. Man tut so, als sei man noch man selbst, dabei weiß jeder, dass man jemand ganz anderes geworden ist. In dem Blatt wird zwanghaft versucht, etwas aufrecht zu erhalten, was gar nicht mehr funktionieren kann. Die Welt wird aufgeteilt in gute und schlechte Popmusik, die gute Popmusik bildet dann den Spex-Kosmos, so war es früher und so soll es heute immer noch sein. Doch während in den Achtzigern und auch noch in die Neunziger hinein dieses Behaupten einer sprichwörtlichen Gegenkultur Sinn gemacht hat, wirkt dieses Festhalten an einem ehemals selbstverständlichen status quo heute nur noch lächerlich. Um das »Andere« geht es hier längst nicht mehr, obwohl das behauptet wird, über Franz Ferdinand, Arctic Monkeys, Tomte und die neue Platte des Rappers mit noch mehr Schussnarben als 50 Cent berichten in Wahrheit längst auch die Feuilletons, und meist noch besser.

Andererseits gäbe es das wirklich »Andere« ja noch. Besser gesagt: Es gibt es mehr denn je. Davon kriegen jedoch nur noch diejenigen etwas mit, die Tag und Nacht in Internet-Tauschbörsen herumkramen oder den englischen Wire lesen. Oder echte Special-Interest-Popmagazine. Im Fachmagazin für HipHop, Reggae, Jazz oder der De:Bug, die im März ebenfalls ein Jubiläum und ihre hundertste Ausgabe feiert, hat man zumindest noch den Anspruch, immer wieder Neues zu entdecken und Platz für Acts, Szenen und Phänomene freizuschaufeln, die den Feuilletons und den Popmagazinen mit subkulturellem Allgemeinheitsanspruch zu abseitig sind.

Aber ist die Frage, worüber im Popjournalismus geschrieben werden soll, vielleicht weniger drängend als die nach dem Wie? Schon für den Ururgroßvater der deutschen Popschreibe, Helmut Salzinger, und später für Magazine wie Sounds und Spex war klar: Das Schreiben über Pop müsse vor allem anders sein. Anders als das zwangsobjektive und auf Äquidistanz bedachte Abarbeiten an Kulturphänomenen, wie es im Feuilleton selbstverständlich war. Man brachte die Fanperspektive mit ein, droppte gefährliches Halbwissen, schlecht verdaute postrukturalistische Theorie, angloamerikanische Cultural Studies oder versuchte, mit syntaktischen Experimenten Hörerfahrungen als Text nachzustellen. Auch wenn Günther Jacob heute behauptet, man habe als Spex-Autor damals nur den Masterplan verfolgt, über die Hintertreppe in das Goethe-Institut oder an gut dotierte Dozentenpöstchen zu gelangen, war das Schreiben über Pop in den Achtzigern einfach die aufregendste Form des Kulturjournalismus überhaupt. In eine Plattenkritik, diesen Anspruch hatte man damals, konnte man mehr Gesellschaftskritik samt Selbstpositionierung innerhalb einer immer wieder neu kulturell, sozial und ökonomisch geordneten Welt pressen als zwischen zwei Buchdeckel. Adorno hatte eben doch nicht Recht, irgendwo fand sich in beinahe jedem massenkulturellen Produkt ein Subversionsgehalt, und Hannes Wader hörende Altlinke konnte man guten Gewissens zu Vollidioten erklären.

Der Popjournalismus von heute scheint seinen goldenen Zeiten einfach nur nachzutrauern, anstatt sich permanent neu zu erfinden, ihm scheint es nicht anders zu gehen als dem Gegenstand, dem er sich weiter fleißig widmet. Man setzt teilweise immer noch auf dieselben Strategien wie damals, glaubt an Distionktionsgewinne und strategisch richtiges Absetzen von anderen durch das fließbandartige Gutfinden der richtigen Platten, obwohl das im politischen oder gar subversiven Sinne gar keinen Sinn mehr macht. Der Tomte-Fan befindet sich eben nicht mehr zwangsläufig auf der richtigen Seite, Tomte findet auch der Nachwuchs in der FDP und dessen Eltern super. Auch das von Popmagazinen fleißg gepflegte Einstreuen von Anglizismen, Uni-Wissen und von Begriffen wie »Netzwerk«, »Diskursmaschine« und einem Best-of-Deleuze macht einen Text nicht mehr cool oder markiert Andersartigkeit, sondern wirkt im Gegenteil gestriger als das Feuilleton, das man immer noch zu bekämpfen meint.

Das Elend des heutigen Popjournalismus ist dann auch, dass er es nicht geschafft hat, sich weiter zu entwickeln, keine neue Sprachen und Schreibweisen gefunden wurden, die journalistische Rezeption von Popkultur weiterhin aufregend erscheinen lassen. Diedrich Diederichsen hatte immer Recht, und er hat immer noch Recht, und dennoch, und ich bin mir sicher, er hätte nichts dagegen, wäre es endlich Zeit für den Vatermord. Stattdessen befinden wir uns in einer Zeit der popjournalistischen Restauration und Desorientierung. Das Testcard-Umfeld hat Adorno wieder auf den Sockel gestellt und findet überall die eher böse Kulturindustrie am Werk, und in den Popmagazinen wird einem nun wirklich, wie ein Leserbriefschreiber der Spex bereits 1989 befand: »die gleiche Band mit der gleichen Frisur und der gleichen Musik, nur mit anderem Namen, permanent vorgesetzt«.

Das einzige Magazin, in dem endlich auch einmal wieder eigenwillig Popkultur verhandelt wird, ist dann auch ausgerechnet das seit einiger Zeit in Deutschland erhältliche Blatt für gesammelten Schwachsinn, Vice. Vielleicht liegt das auch daran, dass sich diese aus Kanada kommende Zeitschrift nicht dem zur Last gewordenen Spex-Erbe verpflichtet fühlt. »Warum schreibe ich nicht ein fantasieloses Stück Scheiße über rosa Einhörner und darüber, nach New York zu fliegen und euch in eure faulen Homo-Ärsche zu treten? Wisst ihr was? Ich wette, ihr Homos seid nicht mal schwul«, schreibt da etwa eine gewisse Kate’s Beads über eine Band, die sich Gay For Johnny Depps Blood nennt. Eine wahrscheinlich unglaublich blödsinnige Band wird hier zum Anlass genommen, noch größeren Blödsinn zu schreiben. Pop und das Schreiben darüber als Trash, vielleicht ist das sogar politisch. Und Kate’s Beads scheint dazu sogar noch eine Frau zu sein.

Bonz/Büscher/Springer (Hg.): Popjournalismus. Ventil Verlag, Mainz 2005, 12,90 Euro.

Spex »25 Jahre Jubiläumsheft« ist eben erschienen.