Unschuld vom Lande

Ein Runder Tisch in Pömmelte sucht nach dem Angriff auf einen zwölfjährigen Jungen nach Wegen, sich mit den Neonazis auseinanderzusetzen. Diese präsentieren sich als verfolgte Unschuldige. von sven kienscherf

Die Empörung war groß, als bekannt wurde, was sich in dem 700-Seelen-Örtchen Pömmelte in Sachsen-Anhalt abgespielt hatte. Der Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) sagte, die Tat vom 9. Januar sei Ausdruck einer »erschreckend geistigen Verrohung«. Die fünf rechten Schläger hatten ihr Opfer, das in einem Kinderheim in dem Dorf lebt, eine Stunde lang gequält und gedemütigt. Kevin, dessen Vater aus Äthiopien stammt, erlitt schwere Verletzungen am Kopf, er musste die Stiefel seiner Peiniger lecken und Naziparolen aufsagen.

Empört war man auch in Pömmelte. Allerdings nicht allein über die Tat, sondern ebenfalls über die darauf folgende Berichterstattung. Über dem Dorf werde »kübeleimerweise brauner Dreck« ausgegossen, beschwerte sich ein Teilnehmer des Runden Tischs, der am Dienstag der vorigen Woche in Pöm­melte stattfand. Zu dem Gespräch hatten der Bürgermeister Thomas Warnecke, die Leiterin des Kin­derheims, Annett Lazay, und der für die Gemeinde zuständige Pfarrer Christian Weiger aufgerufen. Es nahmen unter anderem Vertreter der Polizei, des Jugendamts und die Vorsteher verschiedener Ortsvereine teil. Zudem hatte man drei Jugendliche aus dem Ort eingeladen und Mitarbeiter des Miteinander e.V. aus Magdeburg. Der Verein beobachtet seit Jahren die Aktivitäten der Neonazi-Szene in Sachsen-Anhalt. Die Jugendlichen berichteten, dass Kevin bereits einige Monate vor dem Angriff von Rechten beschimpft und bedroht worden sei. Die Erwachsenen, die Zeugen der Szene gewesen seien, hätten nicht eingegriffen.

Pünktlich zu Beginn der Veranstaltung erschienen Mitglieder der »Kameradschaft Festungsstadt« aus Magdeburg. Sie wollten als »Jugendinitiative gegen Jugendkriminalität« an der Diskussion teilnehmen. Ihnen wurde bedeutet, den Raum zu verlassen. Im Anschluss an die Veranstaltung entrollten sie ein Transparent mit der Aufschrift »Ihr schiebt uns Pömmelte nicht in die Schuhe« und verteilten Flugblätter, auf denen sie sich als Opfer einer Medienkampagne darstellten und sich von den Tätern distanzierten.

Die Ergebnisse des Runden Tischs waren so gut gemeint wie dürftig. Man will in Zu­sam­men­arbeit mit dem Miteinander e.V. Angebote für Erwachsene und Jugendliche schaf­fen, sich über die rechtsextreme Szene zu informieren und sich mit ihrem Gedankengut auseinanderzusetzen. Zudem sollen mit dem Jugendamt die Möglichkeiten erörtert werden, den Jugendclub wieder zu eröffnen. Der Club in Pömmelte musste im vergangenen Jahr aus finanziellen Gründen schließen. Statt der ABM-Kraft, die ihn bis dahin leitete, will man nun eine pädagogische Fachkraft einstellen. Sie soll verhindern, dass der Club von der rechten Szene in Beschlag genommen wird.

Zwar beschreibt Pfarrer Christian Weiger die Beschlüsse als einen »guten Anfang«. Al­lerdings ist sein Optimismus verhalten: »Ent­scheidend ist, was langfristig daraus wird.« Dagegen hebt Annett Lazay die Bürgerversammlung lobend hervor, die dem Runden Tisch vorausging. Dort wurde, wie zu solchen Anlässen üblich, die Zivilcourage beschworen. Diese beginnt in Pömmelte nun mit dem Abreißen von rechten Aufklebern, wie sie überall in dem Dorf zu finden sind. Die hatte man bisher kleben lassen. Der Bür­germeister Thomas Warnecke sagte in einem Interview mit dem ARD-Magazin Report: »Wenn wir sie entfernen, sind sie bald wieder dran.« Auf die Frage, ob das nicht letztlich eine Kapitulation vor den Rechten sei, antwortete er: »Ja, muss man, kann man so sagen. Richtig.«

In Pömmelte sind nicht nur Aufkleber, sondern auch Kundgebungen der Neonazis ignoriert worden. Vor dem Übergriff hatten Mitglieder der »Kameradschaft Schöne­beck« an einem Kriegerdenkmal gegenüber dem Kinderheim SS-Lieder abgesungen, ohne dass das für nennenswerte Aufregung gesorgt hätte. Mit dabei war Francesco L., der jetzt als Haupttäter bei dem Überfall auf Kevin gilt und in Untersuchungshaft sitzt. Spiegel-TV berichtet, er erfreue sich guter Verbindungen zur »Kameradschaft Schönebeck«, an deren Aufmärschen er teilgenommen habe, zuletzt ausgerechnet an einer Kundgebung gegen »Kinderschänder«.

Die Kameradschaft gibt es bereits seit 1998. Sie beteiligt sich an überregionalen Aufmärschen, betreibt eine eigene Homepage und veranstaltet Schulungen und Konzerte. »Die Schönebecker Neonazis sind die Schnittstelle zwischen rechter Jugendsubkultur und politischem Rechtsextremismus«, erläutert David Kebrich vom Miteinander e.V. Die Schönebecker halten engen Kontakt zu der Magdeburger »Kameradschaft Festungsstadt«, die über eine überregionale Bedeutung im rechtsextremen Spektrum verfügt. Am 25. Januar vergangenen Jahres kamen 1 200 Neonazis zu einer »Gedenkveranstaltung« anlässlich der Bombardierung der Stadt nach Magdeburg.

Die Magdeburger Rechtsextremisten versuchen, auch Themen zu besetzen, die nicht zum klassischen Betätigungsfeld der Szene gehören. Anläßlich der Elbeflut im Jahr 2002 übten sich die Kameraden als Katastrophenhelfer und schlepp­ten Sandsäcke. Dabei kleideten sie sich in eigens angefertigten T-Shirts mit der Aufschrift »Rechte Kerle packen mit an«, daneben prangte das Logo der »Deutschen Arbeitsfront«.

David Kebrich warnt davor, die Neonazis intellektuell zu unterschätzen: »Gerade Kommunalpolitiker sind zum Teil überfordert damit, den Kameradschaften Paroli zu bieten.« Einige Kader seien rhetorisch außerordentlich geschickt, sodass ihnen mit einfachen Antinazi-Parolen kaum beizukommen sei.

Der Versuch der Magdeburger Rechtsextremen, sich beim Runden Tisch in Pömmelte als verfolgte Unschuldige zu präsentieren, gehört zur Strate­gie der Kameradschaften. Mancherorts scheinen sie damit Erfolg zu haben. Spiegel-TV berichtet über ein Papier des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt, in dem es heißt, es lägen »keinerlei Informationen darüber vor, dass es Zweck und Ziel der Kameradschaft Schönebeck ist, Ziele mit Gewalt durchzusetzen«. Die vier Jugendlichen, die am 9. Februar 2003 vor dem Schö­ne­be­cker Polizei­revier von Mitgliedern der Kameradschaft angegriffen und schwer verletzt wurden, dürften das anders sehen.