Dialog im Psychokrieg

Während die Bundesregierung wegen des Karikaturenstreits das Gespräch mit den Moslems vertiefen will, glauben viele Linke an eine Kampagne, die einen Angriff auf den Iran vorbereiten soll. von stefan wirner

Der Begriff dieser Tage lautet zweifellos »Dialog«. Er soll geführt werden, koste es, was es wolle. Die Angst, dass es auch in Deutschland zu gewalttätigen Protesten wegen der dänischen Mohammed-Karikaturen kommen und die ganze Multikultur oder, je nach Sicht der Dinge, »Parallelgesellschaft« den Indigenen hierzulande außer Kontrolle geraten könnte, war in der vorigen Woche allenthalben spürbar. Um guten Willen zu beweisen, wurde eigens eine Bundestagsdebatte zum Thema angesetzt, zu der man die Vertreter islamischer Verbände als Zuhörer einlud. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und sein türkischer Amtskollege Abdullah Gül riefen in einer gemeinsamen Erklärung, die von der Bild-Zeitung und der türkischen Hürriyet am Samstag veröffentlicht wurde, Christen und Muslime zu Respekt und zu Toleranz auf.

Aber das Wort Dialog ist schnell dahingesagt. Worüber gesprochen werden soll, ist auch in der Debatte am Freitag nicht klar geworden. Geht es um einen »Islam-Dialog«, wie die Parteivorsitzende der Grünen, Claudia Roth, es ausdrückt? Oder um den »Dialog der Kulturen«, wie die meisten Rednerinnen und Redner es formulierten? Erlebt die »Leitkultur« eine Renaissance? Schwebt manchen Politikern der »kritische« bzw. »konstruktive Dialog« vor, den Deutschland bereits seit einigen Jahren mit dem Iran führt, mit den bekannten Ergebnissen? Oder soll es gar ein sokratischer Dialog werden? Dieser beginnt mit der Selbsterkenntnis und führt zu der Einsicht, dass man nichts weiß.

Manche Zeitgenossen hierzulande haben genau betrachtet keinen Bedarf an einem Zwiegespräch, schon gar nicht an einem sokratischen. Sie zeigen auch ohne »Dialog der Kul­turen« ein umfassendes Verständnis für die brandschatzenden, von den Karikaturen zutiefst beleidigten Bilderstürmer und verbreiten ein Weltbild, in dem es von Schurken nur so wimmelt, die hinter den Kulissen agieren, um den Weltfrieden zu zerstören.

Eine beliebte Theorie lautet, die Karikaturen, die von der dänischen Zeitung Jyllands-Posten im vergangenen Herbst veröffentlicht wurden, hätten keinem anderen Zweck gedient, als die Muslime in aller Welt zu provozieren, sodass diese gar nicht anders konnten, als Gewalt anzuwenden. Das Bild, das die Muslime, dank dieser Provokation, von sich abgeben würden, sollte dann dazu herhalten, das »Feindbild Islam« zu verstärken, um am Ende einen Angriffskrieg gegen den Iran zu rechtfertigen. Oder so ähnlich.

Einmal mehr tat sich Norman Paech von der Linkspartei mit solch scharfsichtigen Analysen hervor. Er setzte im Bundestag die Angriffe auf die Botschaften europäischer Staaten mit dem Aufstand in den französischen Banlieues vom vergangenen Herbst gleich und bewies damit, dass er von beiden Vorgängen, sokratisch gesagt, nichts weiß. »Das Ganze hat mit Provokation, Demütigung und Arroganz zu tun«, sagte er. Die Muslime fühlten sich »durch die Drohungen gegen Iran, durch die Kriege gegen Afghanistan und Irak« angegriffen, gleichzeitig würden die Weltbank und der Internationale Währungsfonds die Armut gerade in den arabischen Ländern fördern. Es handele sich um eine »neue Kolonisierung«. In den Ban­lieues von Paris genauso wie in Riad und Katar?

Ähnlich wie er äußerte sich der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter auf Spiegel online. »Der Westen sollte alle Provokationen unterlassen, die Gefühle von Erniedrigung und Demütigung hervorrufen«, mahnte er. »Wir sollten die kulturelle Identität der islamischen Länder mehr achten«, schlug er vor, verriet dabei aber nicht, ob er das antisemitische Geschwafel, wie es der iranische Präsident Mahmoud Ahmedinejad erst am Wochenende wieder vortrug, als Teil dieser Identität betrachtet.

Zu Paech und Richter gesellte sich sogar ein Nobelpreisträger, und zwar Günter Grass. Im Kosovo-Krieg hatte er noch den Einsatz von Bodentruppen gegen die jugoslawische Bundesarmee gefordert, nun sagte er der spanischen Zeitung El Pais: »Wir leben in einer Zeit, in der einer Gewalttat die nächste folgt. Die erste ist die durch den Westen gewesen, die Invasion des Irak.« Der 11. September 2001 kommt in seinem Weltbild einfach nicht vor.

Er bewertete die Karikaturen als »bewusste und geplante Provokation einer rechten dänischen Zeitung«. Sie erinnerten »an die berühmte Zeitung der Nazi-Zeit, den Stürmer. Dort wurden antisemitische Karikaturen desselben Stils veröffentlicht.« Die Karikaturisten von Jyllands-Posten sind demzufolge die Nazis von heute, und der neue Antisemitismus »desselben Stils« richtet sich gegen die Muslime, die so etwas wie die heutigen Juden sind, auch wenn manche unter ihnen keine Juden als Nachbarn haben wollen. Grass ist ein großer Dialektiker der deutschen Ideologie.

Für den Publizisten Bahman Nirumand ist es kein Zufall, dass der Karikaturenstreit ausgerechnet jetzt ausgebrochen sei. Im Interview mit der jungen Welt sagte er: »In meinen Augen ist die losgetretene Auseinandersetzung mit dem Islam Teil einer psychologischen Kriegsführung, wie wir sie schon im Vorfeld des Irak-Krieges erlebt haben. Mit dem heraufbeschworenen ›Kampf der Kulturen‹ soll offensichtlich der propagandistische Boden für einen weiteren militärischen Eingriff in die Region bereitet werden.« Wird Jyllands-Posten von der CIA herausgegeben?

Auch Sabine Kebir vertrat in der Wochenzeitung Freitag die Ansicht, dass »in psychologischer Hinsicht das Terrain bereitet« werde, »um einen Schlag gegen den Iran zu führen – und es wird eine Art Weltbürgerkrieg riskiert«. Lesen Nirumand und Kebir keine Zeitungen? Ein Bericht der Süddeutschen Zeitung von vorletzter Woche scheint ihnen jedenfalls entgangen zu sein. Darin wurde kolportiert, dass der dänische Prediger Abu Laban im Dezember nach Ägypten gereist sei, um die Arabische Liga, muslimische Kleriker und Akademiker auf die Karikaturen aufmerksam zu machen, nachdem sich wochenlang partout keine Empörung hatte einstellen wollen. Er soll für diesen Zweck den Karikaturen von Jyllands-Posten andere, offen rassistische Zeichnungen beigefügt haben, die von der Zeitung gar nicht gedruckt worden waren. So wollte er den Unmut seiner Glaubensbrüder befeuern.

Aber wozu Tatsachen, wenn man ein Weltbild hat? Gegen die linken Phantasmagorien nimmt sich die Politik der Bundesregierung derzeit eher realistisch aus. Sie ruft zur Mäßigung und zum Dialog auf, verteidigt halbherzig die Pressefreiheit und beschwört die Verantwortung der Journalisten und, ganz im Stile einer HipHop-Combo, den Respekt vor den religiösen Gefühlen anderer. Ansonsten betreibt sie business as usual. Die populistische Forderung des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle, finanzielle Zuwendung an Länder einzustellen, die Angriffe auf europäische Einrichtungen zugelassen haben, wies die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) umgehend zurück.

Auch mit dem Iran will die Bundesregierung weiter diplomatische Beziehungen aufrechterhalten. Der Regierungssprecher Thomas Steg sagte Mitte voriger Woche, Sanktionen seien kein Thema. Die Bundesregierung habe ein ausdrückliches Interesse am »Dialog der Kulturen«, aber auch an wirtschaftlichem Austausch. Verwundern sollte das nicht. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums war der Iran im Jahr 2004 Deutschlands wichtigster Exportmarkt in der Region Nordafrika und Naher Osten.