Wir übernehmen

Die Übernahme deutscher Firmen durch ausländische wird meist lautstark beklagt. Dabei wird verschwiegen, wie aktiv deutsche Unternehmen selbst bei Übernahmen sind. von stefan frank

Sind deutsche Unternehmen Opfer angelsächsischer Heuschrecken?« fragte das Manager-Magazin kürzlich und antwortete: »Unsinn. Deutsche Unternehmen schwärmen mit prall gefüllten Kriegskassen aus und machen in England und den USA reiche Beute.« Das sollte man mal der Gewerkschaft Verdi sagen.

Deren Biologen haben Ende vorigen Jahres ein Papier veröffentlicht unter dem Titel »Hedge- und Private Equity-Fonds. Die Turbos im Kapitalismus«, in dem von der Bundesregierung allen Ernstes verlangt wird, deutsche Firmen vor ausländischem Zugriff zu schützen, insbesondere vor Hedgefonds, die angeblich auch Daimler-Chrysler bedrohen. Deutsche Konzerne können auf ihre Gewerkschaften zählen.

Warum aber ausgerechnet Daimler-Chrysler? Doch nicht etwa aus Rache dafür, dass die Fusion, die als »merger of equals« angekündigt worden war, sich im Nachhinein als Übernahme des amerikanischen Autobauers durch Daimler-Benz herausstellte, in deren Verlauf einigen tausend amerikanischen Arbeitern das gleiche Schicksal widerfuhr wie denen des holländischen Flugzeugbauers Fokker, den die Daimler-Tochter Dasa 1991 übernahm, um ihn fünf Jahre später in den Konkurs zu schicken?

Nach der Meinung der Autoren des Verdi-Papiers hätte auch der Hedgefonds TCI im vergangenen Jahr nicht verhindern dürfen, dass die Deutsche Börse mit der London Stock Exchange fusioniert, wohl deshalb, weil es ein deutsches Unternehmen war, das ein ausländisches aufkaufen wollte und nicht etwa umgekehrt.

Gut, dass Heuschrecken wie die von TCI in den Vorständen anderer deutscher Unternehmen noch nichts zu sagen haben. Sonst hätten diese vielleicht nicht so leicht die Kontrolle über weite Teile der osteuropäischen Wirtschaft gewinnen können; wenn man in Ungarn, Bulgarien, Kroatien, Rumänien, Mazedonien oder Serbien-Montenegro heute eine Zeitung aufschlägt, dann ist es mit einiger Wahrscheinlichkeit eine, die dem Waz-Konzern gehört. Oder sie hätten möglicherweise die gerade eingeleitete Übernahme des Sportartikelherstellers Reebok durch Adidas verhindert. Vielleicht hätten sie nicht gewollt, dass Thyssen-Krupp für den kanadischen Stahlhersteller Dofasco bietet oder dass die Deutsche Post die US-amerikanische Firma Exel für 5,3 Milliarden Euro aufkauft.

Dabei haben es deutsche Firmen sowieso nicht immer leicht bei Akquisitionen. Oft sind die Vorstände ausländischer Unternehmen so uneinsichtig, dass ein feindliches Übernahmeangebot – also eines, bei dem das Management des übernommenen Unternehmens nicht nach seiner Meinung gefragt wird – unausweichlich wird.

Ein bisschen feindlich auftreten musste unlängst etwa der Linde-Konzern gegenüber dem britischen Unternehmen BOC, einem Hersteller von Industriegasen (Wasserstoff, Edelgase etc.). Früher war Linde vor allem für seine Gabelstapler und Kühlanlagen bekannt, doch seit den neunziger Jahren, als die schwedische Aga übernommen wurde, hat der Konzern vor allem in das Gasgeschäft investiert. Der Kauf von Messer-Griessheim scheiterte damals am Widerspruch der Kartellbehörde. Als nun der französische Weltmarktführer Air Liquide Messer-Griessheim übernahm, meinte Linde, handeln zu müssen, um nicht abgehängt zu werden.

Bereits Ende 2003 gab es Gerüchte über eine Fusion von Linde und BOC, doch damals war Linde an der Börse viel weniger wert als der britische Konkurrent, und für die Deutschen kam nur eine »Fusion unter Gleichen« in Frage. Um so überraschender kam Anfang des Jahres der Versuch der feindlichen Übernahme.

»Gute Idee«, dachte sich wohl der IG-Farben-Nachfolger BASF, der gern den im Katalysatorengeschäft tätigen US-Konzern Engelhard übernehmen möchte. Der Vorstandsvorsitzende von BASF, Jürgen Hambrecht, verkündete am 3. Januar, dass er »aufgrund der Weigerung von Engelhard, mit BASF in Verhandlungen zu treten«, leider zu einer feindlichen Übernahme gezwungen sei. Engelhards Chef Perry war nämlich ausgesprochen stur, die Zeitung Euro am Sonntag schildert dies so: »Da wurde Hambrecht ruppig: Am 3. Januar klingelte er Perry um kurz vor sechs Uhr Ortszeit aus dem Bett – und setzte ihm die Pistole auf die Brust: Entweder Engelhard akzeptiere ein erhöhtes Angebot von 38 Dollar oder BASF werde in einer Stunde ein öffentliches Übernahmeangebot machen. Herr Perry erinnerte Dr. Hambrecht daran, dass es in New York etwa sechs Uhr morgens sei, und dass die Vorstände über das Land verteilt seien – unter anderem in Kalifornien, wo es drei Uhr sei.« Ausreden! Die Amerikaner werden lernen müssen, dass in Deutschland die Uhren anders gehen.

60 Milliarden Euro gaben deutsche Konzerne im vergangenen Jahr für die Übernahme ausländischer Konkurrenten aus, in diesem Jahr sollen es noch mehr sein. Zuletzt gab es so eine Welle 1999/ 2000 – zu eben dem Zeitpunkt, als die Konjunktur und der Börsenboom ihren Höhepunkt erreichten. Damals ging der Vorstandsvorsitzende von VW, Ferdinand Piëch, in ganz Europa shoppen, kaufte Rolls-Royce (ohne die Namensrechte!), Bugatti und Lamborghini. Davon hat sich der Konzern bis heute nicht erholt. (Siehe Seite 6)

Gleiches gilt für die Deutsche Telekom, deren Chef Ron Sommer ausländische Telefongesellschaften auf dem Höhepunkt des Telekom- und Internetbooms aufkaufte und es nicht zu teuer fand, für jeden neuen Kunden eine fünfstellige Summe zu berappen. Auch Michael Frenzel, der aus Preussag Tui machte, geriet damals in einen Rausch, der ihm nicht gut bekam: Das Röhrengeschäft, das er verkaufte (heute Salzgitter AG), hat sich seither im Wert verachtfacht, während die zur gleichen Zeit erworbenen Touristikunternehmen (u.a. Tui und das britische Reisebüro Thomas Cook) im Jahr 2005 rote Zahlen schrieben, so dass ohne die Quersubventionierung durch das Containergeschäft (Hapag-Lloyd) Tui ein hoher Verlust entstanden wäre.

Deutsche Konzerne haben mit ihren Übernahmen häufig Pech. Das liegt daran, dass sie immer prozyklisch handeln. Sie kaufen, wenn die Zukunft rosig aussieht, und stehen abseits, wenn die Börsenkurse fallen. Das tun die meisten Börsianer zwar auch, doch haben sie den Vorteil, dass sie jederzeit wieder verkaufen kön­nen. Für Unternehmen ist das schwieriger: Als BMW sich vom britischen Autobauer Rover trennte, den man in den neunziger Jahren erworben hatte und in den seither viel Geld geflossen war, war der damalige BMW-Chef Bernd Pischetsrieder auch nicht mehr zu halten.

Nun ist allerdings zu lesen, in Wirklichkeit seien all die Firmen, die deutsche Konzerne heute im Ausland kaufen, echte Schnäppchen: Die Unternehmen seien »vergleichsweise billiger geworden, denn die Börsenentwicklung hielt mit der Gewinnentwicklung nicht Schritt, was sich am Kurs-Gewinn-Verhältnis der einzelnen Märkte ablesen lässt«, schrieb das Handelsblatt kürzlich. Das Problem mit dem Kurs-Gewinn-Verhältnis: Es erscheint manchmal dann besonders günstig, wenn die Konjunktur gerade den Gipfel erreicht hat, da dann die Profite am höchsten sind. Kommen die Gewinne ins Trudeln, kann das, was angeblich günstig war, sich sehr schnell als sehr teuer herausstellen.