Ernst der Lage

kay sokolowsky über Michael Moore und Harald Schmidt, die Pointenwut des entfesselten Kapitalismus und die Gürtellinie in Sachen der Komik

Ein Trupp älterer Herrschaften mit krebszerfressenen Kehlköpfen marschiert zur Adventszeit vor den Zentralen der Tabakindustrie auf und krächzt Weihnachtslieder … Finden Sie das komisch? Oder das hier: Die vereinten Armeen der westlichen Welt fallen in Afghanistan ein, und der Moderator schmeckt vor laufender Kamera eine G.I.-Feldration ab. Lustig? Oder dies: Das Obdachlosen-Problem der Stadt New York wird gelöst, indem man die Penner in große Kartons einklebt und dann nach Holland verschickt – wo man sich um ihresgleichen kümmern wird. Hoffentlich. – Oder das da: Die halbe Nation kann sich vor Pazifismus nicht retten, und der Showmaster und seine Crew schmiegen sich zu einem lebenden Bild der Friedenstaube von Picasso zusammen.

Verantwortlich für diese Sketche sind zwei Männer, die ihre Stammkundschaft vor allem beim Publikum links der Mitte haben, Michael Moore und Harald Schmidt nämlich. Wer solche Szenen nicht zum Lachen, sondern zum Kotzen findet, der muss aber nicht unbedingt ein rechter Socken sein. Es fällt ziemlich schwer, in Zeiten wie diesen noch irgendeinem Lacher zu trauen. Wenn Figuren wie Guido Westerwelle bei jeder Gelegenheit Kalauer absondern und Gestalten wie Franz Müntefering aus allem ein Bonmot machen, dann scheint der Humor an sich eingetrübt von Unmenschlichkeit. So ernst kommen wir nie wieder zusammen: Das könnte einem loyalen Adorno- oder Histomat-Schüler Prämisse sein angesichts der Pointenwut des entfesselten Kapitalismus und seiner angeschlossenen Werbeagenturen.

Witze sind politisch immer unkorrekt, auch die von linken oder nach links tendierenden Entertainern. Es gilt die alte Rampensaudevise: lieber ein guter Gag, egal zu welchem Preis, als ein langweiliger Abend. Harald Schmidt zum Beispiel geht mit Manuel Andrack die Liste der Länder durch, die an der Fußball-WM teilnehmen, lässt dabei nicht eine chauvinistische Bemerkung aus und fragt zum Schluss seinen Assistenten: »Das war sehr fachkundig, oder? Das war nicht von so ’ner dumpfen Aversion getragen?« Und wenn Michael Moore die Schwulenhasser der USA düpieren will, lässt er einen Reisebus rosa anstreichen, lädt ihn mit lauter jungen Männern voll, die außer knappen Slips nur ein paar Rüschen tragen, und besucht mit diesem »Sodomobil« Metropolen amerikanischer Homophobie wie Topeka in Kansas.

Missverständnisse sind in solchen Fällen gleichsam programmiert. Sobald ein Witz gemacht werde, beklagte Kurt Tucholsky mal, sitze halb Deutschland auf dem Sofa und sei beleidigt. In den USA ist das nicht viel anders. Irgendeiner fühlt sich immer auf den Schlips getreten, und wenn er sich eigens dafür einen umbinden muss. Allerdings kalkulieren intelligente Komiker diese Missverständnisse stets ein und bemühen sich, den verunsicherten oder vergrätzten Teil des Publikums durch Selbstironie wieder zu versöhnen: Schmidt spreizt sich dann gern als verwöhnter Hypochonder, Moore spottet über seine beträchtliche Leibesfülle.

Doch bei ihm hilft auch die Selbstironie nicht immer. Denn anders als sein deutscher Kollege ist er ein Mann mit dezidierter und lauthals vorgetragener politischer Meinung. Die Witze, die er reißt, sind nie nur um des Lachers willen da. Sie sollen brandmarken, denunzieren, wehtun. Moore hat sich nicht gescheut, den schwer an Alzheimer erkrankten Charlton Heston in »Bowling for Columbine« als debilen Reaktionär vorzuführen, um so dem Waffennarrenverband NRA, dem Heston damals vorstand, eins zu verpassen. Als George W. Bush noch Gouverneur von Texas war und einen neuen Rekord an Hinrichtungen aufstellte, ließ Moore eine Cheer­leader-Garde vor dem Todesknast von Huntsville tanzen, mit den Pompons wedeln und skandieren: »George, George, he’s a man, he can kill like noone can!« Guter Geschmack geht anders.

Aber einen geschmackvollen Witz, über den man auch noch lachen kann, wird man nicht mal mit der Lupe finden. Eine Pointe kann nur funktionieren, wenn sie schamlos auf die Ekstase des Gelächters spekuliert; und in Sachen der Komik ist die Gürtellinie eine sehr bewegliche Grenze. Das gilt auch für politische Witze. Allerdings stehen hier noch mehr Bedenkenträger herum und geben Kommentare ab. Die Satire, meinen sie, habe positiv zu sein, besser noch: konstruktiv. Sie solle uns zum Nachdenken anregen, nicht zur Häme aufstacheln. Der Satiriker möge sich bitteschön nicht das Amt des Richters anmaßen. Und auch als Anwalt der Schwachen müsse es ihm fernliegen, den Neid auf die Starken zu schüren. Im Übrigen gebe es ein befreiendes und ein bedrückendes Lachen; einen edlen und einen abgefeimten Witz; einen Scherz, der aufrichtet, und eine Bosheit, die niederreißt.

Das klassische linke Kabarett hat leider viel zu oft auf diese Bedenkenträger gehört. Es nahm sich selbst so ernst, dass es seine Scherze wie ein Hochamt zelebrierte. Wenn es besonders »bissig« werden wollte, wurde ein Lied angestimmt, wenn es besonders witzig sein wollte, machte es Wortspiele. Satiriker wie Harald Schmidt und Michael Moore haben mit dieser alten Schule nichts am Hut. Schmidt gibt sich ideologisch so indifferent, dass er von allen Seiten gleichermaßen vereinnahmt wie verabscheut wird. Moore wiederum bedient sich vor allem bei der amerikanischen Slapstick- und Parodietradition, um seine Feinde niederzumachen. Das hat ihm in den USA eine gewaltige Fangemeinde eingebracht und den Ruf, der letzte Linke zu sein, der sich gegen die herrschenden reaktionären Kräfte noch zur Wehr setzt.

Nicht alle linken Amerikaner jedoch sympathisieren mit Moores Methoden. Der amerikanische Historiker Kevin Mattson etwa wirft ihm Zynismus, Polemik und Populismus vor. Er stellt freilich auch fest, dass Moore durchaus nicht für die armselige Verfassung der Linken verantwortlich zu machen sei. »Moore«, schreibt Mattson, »ist nicht bloß ein gerissener Kerl mit genug Talent und Knete, um ein großes Publikum zu erreichen. Seine politische Kritik offenbart Probleme, mit denen die Linke ganz allgemein konfrontiert wird: Sie ist an den Rand gedrängt, sie tendiert dazu, die Reinheit des unmittelbaren Kampfes zu suchen statt dauerhafte politische Lösungen, sie hegt einen gewissen Zynismus über die Möglichkeiten, welche Politik heutzutage hat, und sie fällt fragwürdige politische Urteile. Moore repräsentiert all diese Schwächen. (…) Wir sind zornig und werden manchmal laut, aber wir haben denen, die einen gesellschaftlichen Wandel wünschen oder brauchen, einfach zu wenig anzubieten.«

Mattson benennt exakt das Dilemma, in dem sowohl der Satiriker als auch seine Klientel stecken: Sie wissen zwar, wie lächerlich die gegnerische Seite ist, aber sie kommen ihr selbst mit dem härtesten Witz nicht bei. Es gibt immer noch Obdachlose in New York, es werden weiterhin Menschen staatlich ermordet, und in Topeka, Kansas, sollten Schwule sich lieber nicht outen, wenn sie den nächsten Tag noch erleben wollen. Vielleicht hat deshalb Harald Schmidt neulich die Schreckschraube Ursula von der Leyen in seine Show eingeladen und hofiert, dass selbst eingeschworene Fans die Verzweiflung packen mochte. Und vielleicht verschiebt deshalb Michael Moore den Starttermin seines neuen Films »Sicko« immer weiter in die Zukunft.

Es hat sich ausgelacht, scheint es. Aber natürlich scheint das nur so.