Das nächste Hörspiel ist immer das schwerste

Ror Wolfs Fußball-Stücke sind als CD erschienen. von kay sokolowsky

Seit Ende der sechziger Jahre schreibt der Dich­ter Ror Wolf Hörspiele, und auch dieser Form hat er seinen Stempel dauerhaft aufgedrückt. Wolf, der sich nur sehr selten über sein ästhetisches »Programm« äußert, machte im Fall des Hörspiels eine Ausnahme. In dem Essay »Das Blinzeln des magischen Auges« bekennt er seine Faszination für das Medium an sich und macht klar, was ihn von all den Dialogschlamperern unterscheidet, die das Hörspiel als eine Gelegenheit wahrnehmen, für schlechte Literatur gutes Geld einzustreichen. Die Voraussetzung aber, unter der Wolf Hörspiele schreibt, ist diese: »Einfach eine Radio-Sendung machen, in die man hineintreiben kann, als gäbe es gar keine andere Möglichkeit, als in sie hineinzutreiben, bis an das Ende des Senders und immer so weiter, aus allen Programmen hinaus in eine ganz andere Gegend, in eine fabelhaft schwebende, unbegreiflich erregende Radio-Welt. Ganz einfach.«

Diese Liebe zum Medium und seinen Möglichkeiten ist erwidert worden: Kein anderes Hörspiel wurde hierzulande öfter ausgestrahlt als Wolfs Meisterwerk »Leben und Tod des Kornettisten Bix Beiderbecke aus Nord-Amerika«. Und von all den Kunststücken dieses Dichters hatten vermutlich keine solchen Einfluss auf Hörer und Epigonen wie jene »O-Ton«-Hör­spiele, die er einem der zentralen Themen seiner Dich­tung gewidmet hat: dem Fußball.

Über 100 Stunden von Rundfunkreportagen aus dem Stadion hat Wolf über die Jahre gesammelt, und nicht viel weniger Material zeichnete sein Tonbandgerät bei »ausführlichen Wanderungen« über Tribünen und Stehkurven auf, »wo man die wirklichen Ex­perten trifft, die Naturdarsteller dieses nie zu Ende gehenden Theaters«. Aus dem Gebirgsmassiv der Ori­ginaltöne meißelte Wolf insgesamt zehn Hörspiele, und angesichts der arg beschränkten Mög­lichkeiten, unter denen er sie in den siebziger Jahren schuf – nämlich ohne digitale Zaubereien, versunken unter zahllosen Tonbandspulen und -schnipseln, genötigt, alles mit der Hand zu machen, was heute ein Computerprogramm erledigt –, erscheint es zumindest wunderbar, dass von den Mühen dieser ungeheuer zeit-, kraft- und nervenraubenden Arbeit den Hörspielen selbst rein gar nichts anzumerken ist.

Es soll hier nicht viel darüber geredet werden, dass Wolfs Fußball-Stücke weit mehr sind als Stücke über den Fußball, dass Wolf im Reden über den Fuß­ball nicht nur eine bestimmte Welt entdeckt hat, son­dern wirklich: die Welt. Darüber ist an anderer Stelle schon viel gesagt worden, und wer es genau wissen will, dem sei das fulminante Essay empfohlen, das Jür­gen Roth anlässlich einer soeben erschienenen, vier CDs umfassenden Edition der Wolfschen Fußball-Hörspiele verfasst und auf die Booklets dieser Edition verteilt hat.

Bislang waren nur sechs »Radio-Col­lagen« auf Platte oder CD erhältlich (und sind vergriffen): »Der Ball ist rund«, »Schwie­rigkeiten beim Umschalten«, »Expertengespräche«, »Heinz – wie ist deine Ansicht«, »Rückblick auf große Tage« und »Cordoba Juni 13 Uhr 45«. Nun, endlich, sind auch »Die heiße Luft der Spiele«, »Die Stunde der Wahrheit«, »Die alten Tage sind vorbei« sowie »Merk­würdige Entscheidungen« auf CD gebrannt.

Doch Jürgen Roth hat es nicht dabei belassen, die vor­handenen Fußball-Hörstücke Wolfs endlich angemessen zu präsentieren, mit Hintergrundinformationen in den Booklets, die noch den ärgsten Puristen zufriedenstellen. Roths Leidenschaft für das Projekt überzeugte den Autor, der vor zwei Jahrzehnten kategorisch seinen Abschied vom Fußball erklärt hatte, sogar, noch einmal in seinen Tonbandschätzen und Transkriptbüchern zu wühlen und gemeinsam mit Roth ein elftes O-Ton-Hörspiel zum Thema zu verfassen. »Das langsame Erschlaffen der Kräfte« fasst mit ebenso großem Humor wie melancholischem Schmelz zusammen, was Wolf über Jahrzehnte hinweg am Fußball und am Gerede über den Fußball fesselte und was er in diesem Gerede entdeckte an Emo­tion, Philosophie und rasend um Sinn bemühten Unsinn.

So erfreulich der Rücktritt Ror Wolfs vom Rücktritt, so erstaunlich ist auch die Ent­steh­ungs­ge­schich­te seiner letzten Fußball-Collage. In – für die behäbigen Verhältnisse des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – kurzer Zeit konnte der Bayerische Rundfunk überzeugt werden, das neue Hörspiel nicht nur produzieren zu wollen, sondern es dann auch tatsächlich zu produzieren. Die Produktion selbst zeugt von der Begeisterung aller Beteiligten – unter ihnen die Radioreporter Manfred Breuckmann und Günther Koch. Chris­tian Brückner z. B., der als Synchronstimme Robert De Niros berühmt wurde und bereits die Titel­rolle des »Beiderbecke«-Hörspiels übernommen hatte, konnte als Sprecher für die Edition nur tätig werden, weil er auf eigene Kosten ein Tonstudio buchte.

Dieses neue Fußball-Hörspiel wird am 15. März im Schauspiel Frankfurt aufgeführt werden. Ror Wolf, der sich zuletzt von öffent­lichen Veranstaltungen weitgehend fernhielt, hat zugesagt, auf der Bühne mit Radiolegende Rudi Michel, dem Dichterkollegen Eckhard Henscheid sowie Jürgen Roth über die Poetik des Fußballs zu diskutieren; und weil Wolf so etwas auch in jüngeren, gesünderen Tagen selten getan hat, kann man das getrost ein Ereignis nennen.

Ror Wolf: Gesammelte Fußballhörspiele. Intermedium Records, Erding 2006, 34,90 Euro