Der endlose Kater

Loose Fur klingen düster, lakonisch und erschöpft. von felix klopotek

Bitte von allem nur das Beste! Wenn man sich ein wenig umschaut, was in Konzert- und Plattenbesprechungen für Referenzgrößen genannt werden, wenn es um Loose Fur geht, bekommt man eine Liste zusammen, die fast für ein modernes Rocklexikon reicht: Grateful Dead, The Band, Steely Dan, John Fahey, Van Dyke Parks, Todd Rundgren, XTC, Shellac, Giles Giles and Fripp, Tortoise, Television, Red Krayola.

Zu viele Namen? Kann man doch nicht alle kennen! Ist auch nicht schlimm. Denn die Musik, die herauskäme, wenn jemand tatsächlich versuchen würde, Sounds, Haltungen, Melodien, Akkorde und Patterns all dieser Künst­ler zu kombinieren, wäre ungenießbar. Nicht, dass heute ein Eklektizismus, der Psychedelic Rock, Folk und Punk verrührt, undenkbar ist. Aber diese Musiker, die herhalten müssen, um die Musik von Loose Fur zu bebildern, sind für sich so ausgereift, dass es unvorstellbar ist, irgendeine Combo wolle den knochenharten Postpunk Shellacs mit dem Folk­rock von The Band versöhnen.

Loose Fur klingen tatsächlich nicht nach diesen Bands und Produzenten. Wenn es musikalische Vergleiche gibt, dann mit den jeweiligen Hauptprojekten der Beteiligten – und das ist nun überhaupt nicht überraschend. Gitarrist und Sänger Jeff Tweedy ist Mastermind von Wilco; Schlagzeuger Glenn Kotche ist ebenfalls bei Wilco; der andere Gitarrist und Sänger von Loose Fur, Jim O’Rourke, hat Wilco produziert, ist überhaupt der wichtigste amerikanische Indierock-Produzent der letzten zehn Jahre, war eine Hälfte von Gastr Del Sol und ist seit ein paar Jahren fest angestellt bei Sonic Youth.

Eine Supergroup – die aber den Musikern selbst etwas peinlich ist: Loose Fur, das Trio besteht seit fast fünf Jahren, ist von den Musikern von Anfang an als Nebenprojekt angegangen worden. Alben werden erst veröffentlicht, wenn sie nicht drohen, einem regulären Wilco- oder O’Rourke-Album Konkurrenz zu machen. Tweedy gibt in Sachen Loose Fur keine Interviews, zu Konzerten treffen sich die Musiker nur sporadisch.

Trotzdem sind ihre beiden Alben, das 2003 veröffentliche Debüt und das aktuelle »Born Again In The USA«, durchgearbeitete Meisterwerke – so durchgearbeitet, dass es zwischen den Alben keine offensichtliche Kontinuität gibt. Sie zeichnen sich aber jeweils durch eine eigentümliche Spannung aus: Es ist ein Art Autismus, der über sich selbst aufgeklärt ist. In sich geschlossen, von durchaus weltabgewandtem, in sich gekehrtem Gestus, öffnen sie trotzdem ein weites Assozia­tionsspektrum. Es gibt keinen Song, der an XTC ­erinnert, keinen Wall of Sound, der auf die Produzentengenies Todd Rundgren oder Van Dyke Parks verweist. Aber man weiß sofort, dass die Musiker all das sofort realisieren könnten: Sie könnten psychedelischen Folk spielen, sie könnten die Brian-Wilson-Songs komponieren, die der geknickte Beach Boy nicht mehr zu schreiben in der Lage ist, sie könnten rocken, als gäbe es keine Differenz zwischen Glam und Punk. Sie nutzen diese Möglichkeiten nicht.

Zu keiner Minute kann man angeben, in welche Richtung sich die zehn Songs von »Born Again In The USA« entwickeln. Die Gesamtstimmung ist düster, aber um dahin vorzustoßen, muss man sich erst mal durch die prächtigen Arrangements hören. Loose Furs Düsternis ist wie ein Geschwür, das ganz tief in den Eingeweiden rumort. »Hast du je Unbehagen verspürt angesichts dessen, was du geschrieben hast?« wurde Tweedy mal gefragt. »Die ganze Zeit, immer. Das ist eine gute Sache.«

Tweedy, ein gefallener Engel – immer wieder liest man von schwerwiegenden, sehr schwerwiegenden Drogenproblemen, vor fünf Jahren wurde der Alternative-Country-Rock-Star mit seiner Band Wilco vom Label gefeuert, weil der Nachfolger zum Erfolgsalbum »Summer Teeth« zu kaputt klang: »Yankee Hotel Foxtrott«. Bizarre Texte zwischen Banalität und Sarkasmus, schmalzige Streicherarrangements, Musique-Concrète-artige Verfremdungen und ein unübersichtliches, nicht an Eingängigkeit interessiertes Songwriting. Es schien, als hätte Tweedy den Postrock nicht nur adaptiert, sondern gleich übersprungen: Als Songwriter versucht er, den Song als offene Form, als flüssige, nicht als kristalline, zu definieren. Plötzlich wurde aus dem Americana-Pop-Epigonen jemand, der die Tradition des großen, verwirrten Songs (Brian Wilson!) neu begründet. Dem Rolling Stone diktierte er: »Wir wollten dem Zuhörer Raum geben – die Illusion von Raum erzeugen, um wirklichen Raum in der Phantasie zu schaffen.« Zu viel für die Plattenfirma.

Tweedy veröffentlichte das Album auf eigene Faust, ging auf Tour und hatte wider Erwarten Erfolg. 2002 erschien »Yankee Hotel Foxtrott« dann weltweit auf einem Sublabel von Warner. Tweedy, der Phönix.

Wer im Booklet von »Yankee Hotel Foxtrott« die Credits für den Produzenten sucht, entdeckt Jim O’Rourke.

Der Weg zu Loose Fur führt aber nicht über Wilco, die Gruppe ist kein Abfallprodukt der »Yankee Hotel Foxtrott«-Aufnahmen. Bereits vor diesem Album hatte Tweedy O’Rourke um einen gemeinsamen Auftritt gebeten. Beide lebten zu der Zeit in Chicago, Tweedys Frau Sue Miller ist dort Betreiberin der renommierten Location Lounge Ax. O’Rourke willigte ein, aber nur unter den Bedingungen, dass ein Schlagzeuger dabei sein muss – so kam Glenn Kotche ins Spiel – und dass nicht gejammt wird! »Meine Art des Probens ist, sich die ganze Nacht über Platten anzuhören und herauszufinden, was man will«, resümiert O’Rourke in einem Interview. »So habe ich es mit Jeff gemacht. Ich denke, wir haben dann in einer Nacht die Hälfte unserer Songs geschrieben. Wir haben nicht gejammt. Ich hasse das. Wir haben die Songs für Loose Fur vor dem Konzert fertig geschrieben. Selbst das, was sich wie ein Jam anhört, ist komponiert. Bevor wir anfingen, die Songs wieder zu vergessen, sind wir ins Studio gegangen. Am Ende hatten wir eine komplette Aufnahme.«

Auf »Born Again In The USA« ist das scheinbar Unfertige einer ostentativ hermetischem Konstruktion gewichen. Was ausschweifend klang, ist kompakt und straff, wo Folk dominierte, ist es jetzt ein Siebziger-Rock, der die praktische Kritik von Punk und New Wave in sich aufgehoben hat. Mindestens die Hälfte der Songs hat das Zeug zum Middle-Of-The-Road-Feger, aber immer gibt es einen Rest, der nicht aufgeht, eine Wendung im Song, die nicht zu dem Song passt. Selbst wenn man in den Harmonien schwelgen will, ist da Tweedys Gesang, den man gerne lakonisch nennen möchte, der aber erschöpft klingt, nicht niedergedrückt, eher Ausdruck eines schier endlosen Katers. Und wenn O’Rourke, der ewige Nerd und hysterische Besserwisser, singt, dann scheint er um Jahre gealtert, irgendwie gereift und gefasst.

Loose Fur liegen in allem quer zum gegenwärtigen Rockbetrieb. Sie erinnern an eine Praxis des kollektiven Musikmachens, die es ihnen ermöglicht, Geschichtsbewusstsein und Virtuosität mit den eigenen Neurosen und Idiosynkrasien wunderbar zu vermitteln. Man sollte das nicht Verwechseln mit einem Sich-Einrichten im Wechselspiel aus Hypes und Nicht-mehr-up-to-date-Sein. Hypes, Abstürze, Comebacks – die haben sie hinter sich. Vor allem sind Loose Fur verbohrt und versessen auf ihre Autonomie. Diese Musik, so perfekt sie sein mag, wird noch unzeitgemäß sein, wenn sich keiner mehr an die zahllosen britischen Bands erinnert, die zurzeit alles zu übertrumpfen scheinen.

Loose Fur: Born Again In The USA. Rough Trade