Ich danke Sie!

Weil sich der Niederländer Willi »Ente« Lippens nicht einbürgern ließ, schaffte er es nie in einen WM-Kader. Sein Vater verbot ihm, Deutscher zu werden
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Der Niederländer Willi »Ente« Lippens wurde 1945 in Hanau am Niederrhein geboren. Er spielte von 1965 bis 1976 und von 1979 bis 1981 bei Rot-Weiß Essen, zwischendurch bei Borussia Dortmund und in den USA bei Dallas Tornado. In 242 Bundes­ligaspielen erzielte er 92 Tore und galt als ausgezeichneter Stürmer. Bekannt wurde er aber auch durch einen Platzverweis. Als ihm der Schiedsrichter die Gelbe Karte zeigte mit den Worten: »Ich verwarne Ihnen!«, antwortete Lippens spontan: »Ich danke Sie!« Dafür sah er dann Rot.

Die WM steht vor der Tür, freuen Sie sich?

Man freut sich ja auf jede WM, wenn man Fußballer war oder Fan ist. Das ist natürlich der Höhepunkt alle vier Jahre.

Werden Sie das Ereignis im Fernsehen verfolgen, oder haben Sie eine Stadionkarte ergattern können?

Was heißt ergattern? Ich habe zwar Beziehungen, aber ich sag’ mal so, ich sitze lieber vorm Fernseher. Das ist gemütlicher. Ich habe zuhause eine große Leinwand und schaue zusammen mit meiner Familie und kann auch mal einen Whiskey trinken, wenn es sein muss.

Haben Sie immer noch Ihren niederländischen Pass?

Den habe ich noch, ja.

Der damalige Bundestrainer Helmut Schön soll Sie mehrfach gebeten haben, sich einbürgern zu lassen, damit Sie der deutschen Nationalmannschaft zur Verfügung stehen. Warum haben Sie das nie getan?

Das war etwas, was ich mit meinem Vater nie bereinigen konnte. Er hatte den Krieg erlebt und schlechte Erfahrungen mit den Deutschen gemacht. Er wollte nicht, dass ich Deutscher werde. »Dann brauchst du nicht mehr nach Hause zu kommen«, hat er mir gesagt. Auch Mama hat geweint. Dann bin ich halt Holländer geblieben. Ich hätte sonst ja auch Soldat werden müssen in Deutschland, als Holländer musste ich das nicht.

Helmut Schön soll gesagt haben: »Lippens hat alles – nur nicht den richtigen Pass.«

Ja, richtig. Ich darf mal sagen, wenn ich ’74 für Holland im Endspiel gespielt hätte, dann wäre ich wahrscheinlich der einzige Weltmeister in Deutschland gewesen.

Einmal durften Sie für die niederländische Nationalmannschaft spielen und schossen auch ein Tor. Aber in den WM-Kader kamen Sie nicht.

Es ist immer mein Problem gewesen, dass ich für die Holländer Deutscher war und für die Deutschen Holländer. So war das auch in der Nationalmannschaft. Da haben die, um es mal ganz vorsichtig zu formulieren, gesagt, jetzt haben wir so einen halben Deutschen hier. Und als Michels Bondscoach wurde, war es vorbei für mich.

Reiner Bonhof, auch ein Niederländer, hat sich einbürgern lassen und spielte 1974 bei der WM für Deutschland. Haben Sie da gedacht, hätte ich das bloß auch getan?

Ich habe mich dann nicht mehr damit befasst. Wissen Sie, Dinge, die man entschieden hat und die nicht mehr rückgängig zu machen sind, soll man im Nachhinein nicht mehr überdenken.

Warum haben Sie nie für einen holländischen Verein gespielt? Ajax Amsterdam soll sehr interessiert gewesen sein.

Mir gefällt der Menschenschlag im Ruhrgebiet, und ich bin sehr bodenständig. Zu Ajax wäre ich allerdings gerne gegangen, zumal das ein halbes Jahr vor dem ersten Europapokalsieg war, aber da hat mich Rot-Weiß Essen nicht aus meinem Vertrag rausgelassen. Da kann man nichts machen. C’est la vie.

Was halten Sie von der derzeitigen niederländischen Mannschaft?

Wie immer großartige Fußballer. Sie haben die Qual der Wahl, so gute Leute haben sie. Die Deutschen wären froh, wenn sie so einen wie Makaay mitnehmen könnten, die Holländer verzichten einfach drauf. Das spricht dafür, dass die Holländer nach wie vor zu den Weltbesten gehören. Also die Fußballer, aber vom Team her gab’s in der Vergangenheit immer wieder Querelen zwischen Schwarz und Weiß, sag’ ich mal. Die holländische Mentalität entspricht auch nicht der deutschen. Man spielt zwar für Holland, aber wenn ein deutscher Junge den Pleitegeier auf der Brust hat, dann fühlt er sich gleich ganz anders. In Holland ist das Nationalgefühl nicht so ausgeprägt.

In vielen großen Mannschaften Europas spielen Niederländer. Wieso kommen so viele gute Spieler aus einem so kleinen Land?

Sie haben zum einen diese Großvereine und zum anderen die Jugendcamps. Die ganze Ausbildung ist sehr gut, weil die holländische Mentalität eben viel mehr den Spielwitz und die Technik berücksichtigt. Daraus resultiert, dass die Holländer, was den Fußball angeht, mitbestimmend sind in Europa.

Sollten die Niederlande entgegen allen Erwartungen doch nicht Weltmeister werden, wer wird es dann?

Sollten sie es nicht schaffen, dann glaube ich an Italien.

Was macht der Pensionär Lippens eigentlich heutzutage?

Ich habe einen Hof in Bottrop, wo meine Söhne ein Restaurant betreiben, und ich habe ein kleines Hotel dort. Ich verreise auch viel. In den Ferien mache ich mit Klaus Fischer zusammen eine Fußballschule, da arbeiten wir zwölf Wochen im Jahr mit Kindern. Das macht sehr viel Spaß und hält jung. Vereinzelt gehe ich auch mal ins Stadion zu Rot-Weiß. Aber ich kann dieses ständige Gelaber nicht so ab: »Wenn du noch spielen würdest…« Das ist doch alles Schnee von gestern. Man kann Generationen nicht miteinander vergleichen.

interview: ivo bozic