Depenbrocks Wechsel nach Berlin ist perfekt

Der bisherige Chef der Hamburger Morgenpost übernimmt die Chefredaktion und die Geschäftsführung der Berliner Zeitung. von lutz erkenstädt

Ein zielstrebiger Typ ist Josef Depenbrock schon immer gewesen. Mit 22 Jahren fing der im Jahr 1961 geborene Journalist als Volontär bei den Westfälischen Nachrichten an. Danach arbeitete er für fünf Jahre als Lokalredakteur bei dem Blatt. Anschließend zog es ihn zu Bild-Hamburg und von dort zum Berliner Kurier. Beim Kurier war er zunächst als Produktionschef, dann als Chef vom Dienst tätig. Seinen ersten Chefredakteursposten sicherte er sich beim Anlegermagazin Cash, den zweiten bei TV Today, und seit dem Jahr 2000 war er Chefredakteur der Hamburger Morgenpost, kurz Mopo. Doch nicht nur das. Gleichzeitig war er als Geschäftsführer des Boulevardblatts tätig.

Als solcher muss er auch den Verkauf der Mopo an die Investorengruppe um David Montgomery geleitet haben, der Anfang des Jahres zustande kam. In der vergangenen Woche hat er ein neues Amt angetreten: Depenbrock wird von nun an die Berliner Zeitung leiten, und zwar ebenfalls in einer Doppelfunktion, denn er soll zugleich als Chefredakteur und in der Geschäftsführung der Zeitungsholding arbeiten.

Diese Entscheidung kam überraschend. Die Berufung Depenbrocks ist eine herbe Niederlage für die Redakteure und Redakteurinnen, die sich für demokratische Standards im Haus eingesetzt haben. Als Montgomery und die von ihm vertretenen Fonds im vergangenen Jahr den Berliner Verlag und damit die Berliner Zeitung, den Berliner Kurier, das Stadtmagazin Tip und die Internetplattform Berlinonline erworben haben, wurden schon vor der Übernahme Rendite­erwartungen geäußert. Sie waren derart überzogen, dass sie nur zu erfüllen gewesen wären, wenn die redaktionelle Qualität der Berliner Zeitung, die bereits mehrere Einsparungsmaßnahmen hinter sich hat und zur Zeit gewinnbringend arbeitet, noch einmal erheblich verschlechtert worden wäre. Montgomery begegnete der Kritik der Redakteurinnen und Redakteure, die schnell in Protest umschlug, nicht besonders geschickt, sodass sich sein Ruf als gewissenloser Profitmaximierer, der ihm aus seiner britischen Heimat vorauseilt, auch hierzulande verfestigte.

Eine Zeitlang aber schien es, als habe Uwe Vorkötter, der bisherige Chefredakteur der Berliner Zeitung, der es ablehnte, an der Holding beteiligt zu werden, die Investoren besänftigen können. Die befürchteten Entlassungen blieben aus, und die Redaktion der Berliner Zeitung ging wieder einigermaßen ruhig ihrer Arbeit nach. Dann allerdings verkündete Vorkötter, dass er Anfang Juli der neue Chefredakteur der Frankfurter Rundschau werde. Die Redaktion der Berliner Zeitung, die mit der Geschäftsführung gerade über ein Redaktionsstatut verhandelte, in welchem festgehalten werden sollte, dass die Mitarbeitenden ein Vetorecht bei der Bestimmung der Chefredaktion haben, baten die Geschäftsführung daraufhin, die Nachfolge Vorkötters erst dann zu regeln, wenn die Verhandlungen über das Statut abgeschlossen seien.

Doch am Montag voriger Woche, just an dem Tag, als die Verhandlungen über das Statut fortgesetzt werden sollten, verkündete die Geschäftsführung, dass Depenbrock neuer Chefredakteur wird. Vorkötter, der sich bereits auf dem Weg in den Urlaub befand, wurde zurückbeordert, um sein Büro zu räumen.

Das Blatt, das auch von seinen neuen Besitzern gern als führende Zeitung der Hauptstadt bezeichnet wird, bekommt also einen Boulevardjournalisten zum Chef, der sich, wie Mitarbeitende dem Spiegel berichteten, vorab nicht einmal über seinen zukünftigen Arbeitsplatz informiert hat: »Auf die Frage aus der Redaktion, welcher Artikel Depenbrock denn in den vergangenen Tagen besonders gefallen habe, antworte er, dass ihm die Stücke von Alexander Osang stets gut gefallen – dieser arbeitet jedoch bereits seit sieben Jahren für den Spiegel, zurzeit in New York.«

Die Redaktion ist in jeder Hinsicht überrumpelt worden. Und sie konnte ihrerseits nur noch mit Verweigerung reagieren. Am Tag nach der Bekanntgabe der Entscheidung erschien die Zeitung nur in einer dünnen Notausgabe, in der sich keinerlei redaktionelle Beiträge fanden, bis auf zwei: eine Erklärung der Redaktion und eine Ansprache Depenbrocks.

Die Redaktion erklärte zu Depenbrocks Doppelfunktion als Chefredakteur und Geschäftsführer: »Die Redak­tion wird mit ihrer ganzen Kraft dafür kämpfen, dass diese Verquickung zwischen redaktionellen und wirtschaftlichen Interessen auch unter der neuen Führung nicht zum Verlust journalistischer Qualität und Unabhängigkeit führt.« Dieser kämpferische Satz mag allzu optimistisch erscheinen, vielleicht sogar »naiv«, wie die FAZ meinte, doch Depenbrocks Pläne scheinen derart erschreckend zu sein, dass der Redaktion nur der Mut der Verzweiflung bleibt. In seiner kurzen Erklärung betont er, der die Zeitung ja offenbar bislang nicht gelesen hat, den »hohen Anspruch« des Blattes und benutzt gleich sechs Mal das Wort »Qualität«. Intern aber stellte er bereits klar, dass er die Seite »Vermischtes« ausbauen wolle, während er das Feuilleton für zu stark besetzt hält. Seine Begründung ist einfach. Das Ressort »Vermischtes« werde lieber gelesen als das Feuilleton. Depenbrock redet wie ein Fernsehchef über Quoten. »Der Leser«, den es für ihn nur als statistische Größe gibt, gibt ihm Recht.

Dass Depenbrock nun im Namen einer »Heu­schrecke«, eben einer ausländischen Investoren­gruppe, als Interessenvertreter des Kapitals auf­tritt, macht ihn in den Augen seiner Kritikerinnen und Kritiker noch schrecklicher, als er es ohnehin ist. Er wird die Berliner Zeitung vielleicht zu einer »blutleeren Hülle« verkommen lassen, wie die FAZ befürchtet, und vielleicht stimmt es auch, dass, wie die FR anmerkt, »in diesen Tagen eine rote Linie überschritten« wer­de, »die bisher für Qualitätszeitungen tabu war«. Doch nicht nur Depenbrock, der im Jahr 2004 bei TV Today die Entlassung von über fünfzig Prozent der Mitarbeiter verkünden musste, ist ein Chefredakteur, der die unternehmerischen Belange über die Berichterstattung stellt. Stefan Aust oder Helmut Markwort führen so genannte Qualitätszeitungen, deren Niveau seit Jahren sinkt. Sorgen um die Qualität müssten sich also nicht nur die Redakteure und Redakteurinnen der Berliner Zeitung machen. Gerade deshalb ist ihr Protest zu loben, denn er ist leider ohnegleichen.