Im GröFaZ-Stadion

In Berlin informiert eine Ausstellung über die nationalsozialistische Vergangenheit des Olympiastadions. von ines kappert

Exakt um 17.03 Uhr eröffnete Adolf Hitler im Jahr 1936 die Olympischen Spiele in Berlin und ließ Brieftauben, vor allem aus Armeebeständen, als Symbol der »Friedensspiele« aufsteigen. Heute zählt das von dem Architekten Werner March in den dreißiger Jahren entworfene Olympiastadion samt Maifeld, Waldbühne und Langemarckhalle zu den größten verbliebenen Architekturdenkmälern der nationalsozialistischen Ära in Deutschland.

Im Jahr 2000 wurde die aufwändige Sanierung von Stadion und Gelände in Auftrag gegeben, was sich mit dem Anspruch verband, zugleich eine geschichtliche Reflexion, wie es in der Fachsprache heißt, zu gewährleisten. Keine Weiternutzung ohne Geschichtsaufarbeitung, lautete das Diktum, nicht zuletzt des mit der Sanierung beauftragten Architektenbüros. Die Ergebnisse der Aufarbeitung lassen sich nunmehr, rechtzeitig zur Weltmeisterschaft, besichtigen. Dazu zählen eine beleuchtete Informationsstele am Olym­piaplatz, ein Rundweg mit 27 Glasstelen auf dem Olympiagelände selbst und eine Dauerausstellung in dem Tribünengebäude unter dem 76 Meter hohen Glockenturm, der Langemarckhalle. Mit der Einbindung der ehemaligen Gedenkhalle, die insbesondere zu dem Zweck errichtet wurde, die jungen deutschen Soldaten auf den Heldentod einzuschwören, wird die Verknüpfung von Nationalismus, Sport, Krieg und massenhaftem Vergnügen im Nationalsozialismus hervorgehoben. Der Sport fun­gierte schlicht als »Grundschule der Wehrmacht«.

Während der Glockenturm einen guten Überblick über die nazistische Vision vom beabsichtigten »Gesamtkunstwerk« Olympia gewährt, bietet die vom Deutschen Historischen Museum konzipier­te Ausstellung mit dem nüchternen Titel »Geschichts­ort Olympia 1909-1936-2006« vor allem Informa­tionen auf Stellwänden dar. Etwa 40 Textstelen – das Konzept der Stele scheint von den Experten für unübertrefflich befunden worden zu sein – finden sich in der Halle ordentlich nebeneinander aufgereiht. Mit etwa 100 Wörtern auf einer zwei Meter hohen Tafel handeln die Ausstellungsmacher die Fakten über die Baugeschichte des Olympiageländes und die Verbindung von Sport und Krieg, von »Fassade und Realität« rund um das Jahr 1936 ambitionslos ab. Eine graue Grundierung und schwarze Schriftzeichen müssen für Seriosität bürgen. Die kurzen Zusammen­fassungen auf Englisch finden sich leicht abgesetzt darunter und zwingen selbst kleinere Menschen sich zu bücken.

Dass ein so kurzer Text kaum etwas erzählen oder gar mit Details oder Widersprüchlichem aufwarten kann, liegt auf der Hand. 100 Wörter erlauben keine Abweichung von der großen und leicht verständlichen These. Bekanntlich liest es sich im Stehen auch nicht besonders gut. Die drei bis vier Fotos pro Tafel bieten dem aufmerksamen Besucher immerhin vereinzelt ein unvermutetes oder wenigs­tens charmantes Detail. Spätestens nach der vierten Textstele aber hat jeder Besucher bewusst oder intuitiv die Botschaft verstanden: Das hier ist eine Pflichtübung! Wir machen ordentlich unseren Historikerjob und dokumentieren, wie die Nationalsozialisten den Sport im Allgemeinen und die olympische Idee im Besonderen für ihre ideologischen und propagandistischen Ziele instrumentalisierten. Die genannten Zahlen sind korrekt, und das barbarische Propagandatheater des Naziregimes offenkundig.

In aller Klarheit wurde also für die Ausstellung aufgeschrieben, was der gemeine Museumsbesucher bereits geahnt hat. Et­wa, dass zur Zeit der Friedensshow für die internationale Gemeinschaft das erste Konzentrationslager in Sachsenhausen erbaut wurde, jüdische Sportler und Sportlerinnen von den Spielen selbstverständlich ausgeschlossen und viele interniert wurden. Diese Tatsachen konnte bereits 1936 kaum jemanden überraschen. Aber nur für einige wenige Menschen waren sie der Grund, an den Spielen nicht teilzunehmen, sei es als Sportler oder als Zuschauer.

Wie der Titel der Ausstellung nahe legt, bilden die Olympischen Spiele 1936 den Schwerpunkt der Dokumentation. Der architektonische Vorgänger, die von March Senior 1909 entworfene Berliner Pferderenn­bahn, findet ebenso wie die im Jahr 1914 ent­standenen Sportstätten eine nur periphere Erwähnung. Die Sanierung und die Weltmeisterschaft 2006 schließlich markieren das lichte Ende einer dunklen Geschichte: »Der inzwischen vollzogene Umbau erwies sich als eine herausragende architektonische Lösung, die sich offen der Geschichte stellt und damit die Ansprüche an eine ›Arena des 21. Jahrhunderts‹ mit denen des schwierigen Denkmals Reichsportfeld verbindet.«

Gut. Dann sind wir ja beruhigt. Die kontroversen Diskussionen um die Weiternutzung des Geländes wurden also keiner Abbildung für Wert befunden. Auch hätte man gerne mehr über die Nutzung des Olympiageländes in den fünfziger Jahren erfahren. Bereits kurz nach Kriegsende be­suchten hier oft bis zu 100 000 Zuschauer diverse Kirchentage, Treffen von Heimatvertriebenen, die »seit 1951 alljährlich statt­findende Große Polizeishow« oder die allseits beliebten »Bunten Abende«, deren krönender Abschluss stets ein großes Feuer­werk war. Mehr als eine Auflistung dieser illustren Veranstaltungen findet man nicht. Insofern verfolgt die Reihung »1909-1936-2006« wohl vorrangig den Zweck, die nationalsozialistische Anlage in den Fluss der Geschichte einzubetten.

Angesichts dieser dürftigen Dokumentation bleibt dem heutigen Besucher nicht viel mehr, als sich möglichst zügig den bunten Bildern auf der einzigen Großleinwand im Raum und der TV-Dokumentation im Nebenzimmer zuzuwenden. Ein 3D-Computer-Animationsfilm zeigt die Entstehung des Olympiageländes. Menschenfrei. Die Produktionsgeschichte wird aus der Baugeschichte getilgt, und Fragen wie die, wie viele Arbeiter hier zu welchen Bedingungen zum Einsatz kamen, werden weder gestellt noch beantwortet. Die Folge ist eine sicher unfreiwillige Naturalisierung der Naziarchitektur. In der CAD-Animation entwachsen die Gebäude geradezu notwendig dem Boden.

Dass die Oberflächen bisweilen allzu glatt ge­raten sind, zeigt sich auch bei der TV-Dokumentation »Ich rufe die Jugend der Welt«. Hier kommen die »Zeitzeugen« zu Wort. Vor allem einer, Reinhard Appel mit Namen und seines Zeichens Hitlerjunge, der in den letzten Kriegstagen auf dem Reichssportfeld stationiert war. Die grausame Folge des Langemarck-Mythos. Appel steht, gemeinsam mit Leni Riefenstahl, Werner March und dem einen oder anderen Sportler – so will es der Film und so wollen es die Ausstellungsmacher – »stellvertretend für die Erfahrungen einer ganzen Generation«. Auch hier gilt demnach: keine Vielstimmigkeit, sondern Repräsentationslogik. Dass die Ausgeschlos­senen, dass die Opfer oder auch Kritiker keine Stimme erhalten, ist dabei die Konsequenz eines Konzepts, das Verknappung und kuratorische Einfalt mit Klarheit verwechselt.

Die Ausstellung »Geschichtsort Olympiagelände 1909 – 1936 – 2006« im Tribünengebäude unter dem Glocken­turm ist in den Sommermonaten (bis 31. Oktober) täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet.