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Die Kampagnen der Rechtsextremisten während der Weltmeisterschaft waren erfolglos. Der neue Nationalismus kommt bestens ohne sie aus. von jessica konrad

In lauen Frühlingsnächten mögen Neonazis davon geträumt haben: Hunderttausende Menschen, die die Nationalhymne singen, »Deutschland, Deutschland« brüllen und nur eines im Sinn haben, nämlich den deutschen Sieg. Die Bilder sind zur Realität geworden. Trotzdem stehen sie nicht für einen Erfolg der Rechtsextremisten, sondern für ihre größte Niederlage in den vergangenen Jahren.

Bereits viele Monate vor der Fußballweltmeisterschaft kündigten deutsche Rechtsextremisten an, insbesondere die Spielorte im großen Stil für Aufmärsche, für Treffen mit Gleichgesinnten aus anderen Ländern und für Propaganda zu nutzen. Sie wollten auf diese Weise nicht nur die Weltöffentlichkeit erreichen, sondern auch massenhaft Sympathisanten werben. Sie waren sich sicher, dass ihre Solidarisierung mit dem Holocaust-Leugner Ahmadinejad und die rassistischen Kampagnen gegen die farbigen Spieler in der deutschen Elf die Masse der Fußballfans ansprechen würden. Beides stellte sich als Fehleinschätzung heraus. Außer einem kaum nennenswerten Aufmarsch in Gelsenkirchen konnten die Rechtsextremisten keinen Erfolg verbuchen.

Angesichts dessen fällt es nicht leicht, die Niederlage nachträglich in einen Sieg umzudichten. Von einem »neuen großen, aber wenig konturierten prodeutschen Klangkörper« sprach Klaus Beier, der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit für die NPD, mit welchem die »nationale Bewegung« nun umzugehen lernen müsse, um nach der Fußballweltmeisterschaft »langfristig hunderttausende neue Anhänger« zu gewinnen.

Er machte sich in der vergangenen Woche daran, die neue deutsche Begeisterung für das Nationale zu analysieren. Herausgekommen ist eine Mischung aus altbekannter Rhetorik und eher hilflos erscheinenden Versuchen, die eigene Politik zu retten. Um die von ihm ausgemachte »nachhaltige Belebung des Nationalbewusstseins« im Sinne der Rechtsextremen zu belegen, muss der Hobbypolitologe schon auf knallharte statistische Methoden zurückgreifen. Gebe man bei Google »Steh’ auf, wenn du Deutscher bist« ein und vergleiche die Anzahl der Treffer mit denen für die Parole »Steh’ auf, wenn du Schalker bist«, sei das Ergebnis eindeutig: 95 600 zu 100.

Ein Blick in die einschlägigen rechtsex­tremen Medien lässt das Ausmaß der Hilflosigkeit offenbar werden. So fordert Jürgen Schwab etwa im Internetportal freier-widerstand.net, dass »sich die NPD und der nationale Widerstand insgesamt nun doch noch einmal überlegen« sollten, ob sie auf Demonstrationen »noch mehr als bisher das Mitbringen der schwarz-rot-goldenen Fahne fördern«. Schließlich seien dies die Farben der »deutschen Fußballpatrioten«. Wenn die Fans sich schon nicht nach den Neonazis richten, könnten diese, bislang als Anhänger der Farben Schwarz, Weiß und Rot bekannt, es künftig den Fußballanhängern gleichtun.

Dieter Stein, der Chefredakteur der Jungen Freiheit, war auch drei Tage nach dem Ende der WM nicht in der Lage zu registrieren, dass der größte Teil der Deutschlandfahnen an Autos und Häusern schon nach dem verpassten Einzug ins Finale abgehängt wurde. Er wähnt sich immer noch durch Straßen laufend, in denen »zahllose Autos mit Deutschlandflaggen« behängt seien. Schon eine wenig spektakuläre Aussage wie die Claudia Roths (Grüne), die Bürger Deutschlands hätten sich während der WM »als Freundinnen und Freunde der Gäste präsentiert«, macht ihn rasend. Roth kenne nur noch Bundesbürger und keine Deutschen mehr, schimpft Stein, eine Äußerung wie ihre sei »paradigmatisch für eine nationsvergessene Generation, verklemmt und verbiestert bis auf die Knochen, zerfressen vom nationalen Komplex«.

Ob NPD, »freie Nationalisten« oder Junge Freiheit, allen Verlautbarungen ist anzumerken, dass sie nicht einmal ansatzweise in der Lage sind, den modernisierten und multikulturellen Nationalismus zu verstehen. Selbst bei »Problemspielen« gab es kaum Ausschreitungen oder prügelnde deutsche Horden, die durch die Straßen zogen. Die Begeisterung für Deutschland funktionierte ganz und gar ohne Neonazis, und es ist anzunehmen, dass sie gerade deshalb so gut funktionierte, weil sie fehlten.

Die NPD scheint das nicht einsehen zu wollen und verkauft es deshalb als Erfolg, dass Neonazis auf der Fanmeile in Berlin Aufkleber mit schwarz-rot-goldenen Herzen verteilen konnten, deren Urheber sich nur im Kleingedruckten zu erkennen gaben. Insgeheim ahnten die Parteikader vielleicht, warum es bei den vergleichsweise harmlosen Aufklebern bleiben musste. Gegen ihre WM-Broschüre mit dem Titel »Weiß. Nicht nur eine Trikot-Farbe! Für eine echte NATIONAL-Mannschaft« hatte der Nationalspieler Patrik Owomo­yela eine einstweilige Verfügung erwirkt. In der Broschüre wurde dunkelhäutigen Spielern das Recht abgesprochen, in der Nationalmannschaft zu spielen.

Aber auch ohne die gerichtliche Verfügung hätten die Kameraden vermutlich davon abgesehen, die Broschüre an den Spielorten zu verteilen. Denn wer auf den Fanmeilen versucht hätte, das Heftchen unter die Leute zu bringen, hätte wahrscheinlich schnell ein in Deutschlandfarben gemaltes Schild um die Ohren bekommen mit der Aufschrift: »Odonkor, ich liebe dich«. In diesem Sinne ist es folgerichtig, dass Beier in seinen Thesen zur WM deren »multikulturelle Merkwürdigkeiten« als »dunkle Seiten« betrauert.