Chaostage in Kinshasa

Die Bundeswehr ist im Kongo, aber keiner weiß genau, warum. von josefine eichin

Im Krieg kommt es zu merkwürdigen Allianzen: Die FDP, die Linkspartei und der Deutsche Bundeswehrverband stellen sich einträchtig gegen den Einsatz der Bundeswehr im Kongo. Und einer Umfrage des Stern zufolge lehnen 57 Prozent der Deutschen die Militärmission ab.

Dabei wird ihr offizielles Ziel von allen unterstützt: Erstmals seit vierzig Jahren sollen die Menschen im Kongo frei wählen. Das Hamburger Abendblatt hält es für »eine ehrenwerte Idee, in einem geschundenen Land, in dem nach jahrelangem Krieg Chaos, Anarchie und Rechtlosigkeit herrschen, freie Wahlen militärisch abzusichern«. Doch die Welt warnt: »Mission im Chaos«.

780 Angehörige der Bundeswehr beteiligen sich an der Mission der European Force (Eufor), an der insgesamt 2 000 Soldaten aus 20 EU-Staaten und der Türkei teilnehmen. 1 200 Soldaten halten sich in Gabun in Bereitschaft. Nur 800, darunter knapp 300 Deutsche, sind in Kinshasa. Dort sollen sie im Notfall Wahlbeobachter evakuieren und Wahlverlierer von Gewalttätigkeiten abhalten. General Karlheinz Viereck, der deutsche Oberkommandierende, zeigt sich kämpferisch: »Wenn die Abschreckung nicht ausreicht, können wir Gewalt anwenden, wenn nötig auch tödliche Gewalt.«

Doch das Konzept des Einsatzes bleibt unklar. In der Sendung Spiegel TV sagte ein Offizier: »Wir sind nicht dazu da, um riot-controlling zu machen.« Die Grünen Winfried Nachtwei und Christian Ströbele wollen ein viel »robusteres« Mandat. Dieses müsse »so gefasst sein, dass fast alles möglich ist«. Auch der Vorsitzende der FDP, Guido Westerwelle, meint: »Ein paar hundert Soldaten können so ein riesiges Land nicht stabilisieren.« Die Linkspartei ist ohnehin grundsätzlich gegen den Einsatz.

Die Soldaten selbst sind überaus skeptisch. »Die völlige Unklarheit des eigentlichen Auftrages« verunsichere sie, berichtet der Wehrbeauftragte des Bundestags, Reinhold Robbe (SPD). In der Truppe sei die Mission im Kongo »nur negativ besetzt«.

Das ist angesichts der Pannen in der Vorbereitungsphase nicht verwunderlich. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) kritisierte die EU, weil sie mit den Planungen nicht vorankam, war aber selbst nicht in der Lage, ausreichend Sonnenbrillen und Stiefel bereitzustellen, die dem Klima des Landes angemessen sind. Der Deutsche Bundeswehrverband bemängelte die »katastrophalen« hygienischen Verhältnisse im Einsatzgebiet. In Gabun fehlten noch vor wenigen Tagen Zelte und Verpflegung, so dass die Soldaten ihr Essen selbst kaufen mussten. Von einem »merkwürdig improvisierten Unternehmen« hätten die Soldaten gesprochen, berichtete die Welt in der vergangenen Woche.

Und wozu das Ganze? Vom »humanitären« Aspekt des Unternehmens ist in der innenpolitischen Debatte kaum die Rede. »Unbestritten ist, dass die Frage der Kontrolle der Rohstoffe für die Demokratische Republik Kongo von zentraler Bedeutung ist«, räumte Staatsminister Günter Gloser (SPD) bereits im April ein. Jung meinte, »Stabilität in der rohstoffreichen Region« nütze der deutschen Wirtschaft. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung weist auf die asiatische Konkurrenz hin: »In Kongo fördern Chinesen unter haarsträubenden Umständen Kupfer in rauhen Mengen.« Diese Chinesen!

Die Firma Siemens hat bereits Abkommen über die Stromversorgung Kinshasas vereinbart und will sich am Bau von Wasserkraftwerken am Kongofluss beteiligen. Aber solche Investitionen erfordern ein intaktes Staatswesen. Dass es der EU »in Wahrheit« gar nicht um die Wahlen gehe, ist daher eine Kritik, die zu kurz greift. Die EU betrachtet die Sicherung der Wahlen als notwendige, wenn auch nicht ausreichende Maßnahme, wobei sie sich mit dem Raum Kinshasa begnügt.

Die Kontrolle über die Hauptstadt erleichtere es, auch den Rest des Landes zu kontrollieren, analysiert Luer Henken vom Hamburger Friedensratschlag. Andere behaupten jedoch, das Vorgehen der EU fördere die weitere Zerrüttung des Kongo. Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung betont, dass sich sowohl die Rohstoffvorkommen als auch die Bürgerkriegsmilizen im Osten des Kongo befänden, fernab von den Einheiten der EU. Stabilisiert werde allenfalls die bisherige Kriegsökonomie: Milizen sorgten rund um die Rohstoffminen für Regionen der Stabilität und größtmöglichen Profit ohne Kontrollen und Arbeiterrechte. Ein Teil des Profits diene der Weiterfinanzierung des Bürgerkrieges.

Es ist aber fraglich, ob die EU ein Interesse daran hat, die Mafia aus Milizen, korrupten Politikern und multinationalen Konzernen zu stützen. »Organisierte Kriminalität, Terrorismus, Flüchtlingsströme, all das wird von Afrika nach Europa exportiert, wenn es nicht gelingt, die Lage dort zu beruhigen«, warnt die grüne Außenpolitikerin Kerstin Müller. Ähnlich sieht das Verteidigungsminister Jung: »Wenn wir die Lage dort nicht befrieden, werden wir mit Flüchtlingsströmen rechnen müssen, die nach Europa wollen. Da sind die Sicherheitsinteressen von Deutschland und Eu­ropa stark berührt.«

Einig ist sich die Linke darin, dass die EU »ein möglichst anspruchsvolles Einsatzgebiet zur Erprobung ihrer Schnellen Eingreiftruppe« suche, wie Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag es ausdrückt. Die so genannten »battle groups« der Europäischen Union, also Verbände mit einer Größenordnung von 1 500 Soldaten, die innerhalb von 15 Tagen unter anderem für Einsätze der Vereinten Nationen zur Verfügung stehen können, sollen erst ab 2007 aufgestellt sein. Aber die Situation ist günstig für einen Test. General Klaus Naumann, früher Generalinspekteur der Bundeswehr, bestätigt diesen Aspekt: »Das ist der entscheidende Punkt, der die Mission überhaupt rechtfertigt. Hier wird letztlich die Handlungsfähigkeit der EU einer wichtigen Prüfung unterzogen.«

Es gibt also mindestens vier Gründe für den Militäreinsatz. Entweder wird das Land stabilisiert, um es den Bedingungen des Weltmarkts anzupassen, oder es bleibt alles beim Alten, d. h. im Osten Kongos geht die Ausplünderung weiter. Auf jeden Fall sollen Flüchtlingsbewegungen verhindert werden, und üben müssen die EU-Truppen ja auch mal.

Unklar ist, was auf die Menschen im Kongo zukommt. General Viereck betont die Unparteilichkeit seines Kommandos, aber die Opposition fürchtet, die EU-Truppen könnten nach den Wahlen auf protestierende Massen schießen. Javier Solana, der oberste außenpolitische Beauftragte der EU, kündigt zwar an, Europa sei »mehr denn je entschlossen, den afrikanischen Ländern dabei zu helfen, sich für die zukünftigen Aufgabenstellungen zu rüsten«, und Minister Jung stellt eine Ausbildungshilfe für Polizei und Militär in Aussicht. Eine langfristige Strategie ist aber nicht zu erkennen.