Fällt Bielefeld?

In der Region Ostwestfalen-Lippe versuchen Neonazis, sich neu zu organisieren. Der Angriff auf ein autonomes Zentrum könnte damit zu tun haben. von peter sonntag

Nachdem Neonazis in Ostwestfalen-Lippe in den vergangenen Jahren herbe Niederlagen einstecken mussten, rufen sie für den Spätsommer zum Großkampftag. Am 16. September wollen Mitglieder der »Nationalen Offensive Schaumburg« in Minden aufmarschieren. In Gütersloh und Bielefeld treten am gleichen Tag die »Freien Nationalisten Gütersloh« zum Kampf um die Straße an.

»Die Nazis versuchen jetzt, von der Provinz in die Stadt zu ziehen, also von den kleineren Orten und Städten nach Bielefeld, das das Zentrum der Region ist. Damit wollen sie auch neue Strukturen in Bielefeld aufbauen, da hier seit einiger Zeit ein Vakuum herrscht«, sagt Michael Bengt von »Courage gegen rechts«, einem losen Aktionsbündnis von Antifas aus der Gegend. Schließlich sei im August 2003 mit dem »Postmeister« ein wichtiger Treffpunkt der rechten Szene geschlossen worden, nachdem Antifas wochenlang dagegen protestiert hatten.

Bernd Stehmann, der Anführer der Szene, sei danach in eine »Lebenskrise« gestürzt und trete öffentlich kaum mehr auf, nachdem er in den Jahren davor geradezu »rechte Streetwork« betrieben habe. »Der ist zu den Bushaltestellen gegangen, wo sich die jungen Neonazis getroffen haben, und hat versucht, die zu organisieren«, erzählt Bengt. Die Erfolge, die er dabei zum Teil verzeichnen konnte, hätten ihm in der Szene hohes Ansehen eingebracht. Mit seinem Rückzug nach der erzwungenen Schließung des »Postmeisters« sei dann die Szene regelrecht »implodiert«.

Der neue Schwung bei den Rechtsextremisten soll vor allem auf eine Verstärkung »von außen« zurückzuführen sein. Sehr aktiv in der Region seien Christian Menzer und Martin Winter, die Anführer der »Freien Nationalisten Gütersloh« beziehungsweise der »Nationalen Offensive Schaumburg«. Dass es eine Zusammenarbeit zwischen den Gruppen gibt, ist anzunehmen. Der Aufmarsch in Minden ist von Winter angemeldet, die beiden in Gütersloh und Bielefeld von Menzer. Auch der Bielefelder Staatsschutz spricht von bestehenden Kontakten zwischen Winter und Menzer.

Marcus Winter galt bis zu ihrer Auflösung im März 2005 als Anführer der »Kameradschaft Weserbergland« und ist vorbestraft wegen schwerer Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Bengt beschreibt Winter als »Psychopathen«, der extrem gewalttätig sei. Die »KS Weserbergland« hatte ihre Aktivitäten nach den Verboten der »KS Tor« und der »Baso« in Berlin aus Furcht vor Repressalien eingestellt und agiert seitdem unter dem Namen »Nationale Offensive Schaumburg«.

»Wenn man einmal durch die Fußgängerzone von Detmold geht, hat man am Ende gut 20 Typen mit ›White-Power‹-T-Shirts oder ›88‹-Aufdrucken gesehen.« Das erzählt Claudia Schulte vom Autonomen Kultur- und Kommunikationszentrum Alte Pauline. Die Neonazis, die in der Nacht vom 24. auf den 25. Juni fast alle Fenster im Erdgeschoss des linken Zentrums mit Gullideckeln und Steinen einwarfen, waren vermutlich Auswärtige, aber keine Unbekannten. In der Nähe von Detmold hätten Angehörige von Winters »Nationaler Offensive« eine Sonnenwendfeier veranstaltet, sagt Schulte.

Auch der in der Sache ermittelnde Staatsschutz nennt auf Nachfrage der Jungle World die Sonnenwendfeier in Zusammenhang mit dem Angriff. »Ein konkreter, beweiserheblicher Tatverdacht ergab sich daraus jedoch bis dato nicht. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen«, sagt Harald Brüntrup, der Leiter des Kriminalkommissariats 32 in Bielefeld, das sich mit Rechtsextremismus auseinandersetzt. Sehr kurz nach dem Angriff erschien auf der Internetseite der Kameradschaft unter dem Titel »Mir stinken die Linken« ein hämischer Kommentar, in dem detailliert von der Tat berichtet wurde. Deshalb wird in der Alten Pauline davon ausgegangen, dass es die Schaumburger waren.

»Seit dem Beginn unserer öffentlichen Kampagne zur Blue Bar haben Neonazis verstärkt damit begonnen, Aktionen gegen uns zu starten«, heißt es auf der Website des autonomen Zentrums. In der Kneipe hätten sich nach Informationen von Schulte regelmäßig Neonazis aus einer Gruppe von »Säufern und Schlägern« um den ebenfalls wegen Körperverletzung vorbestraften Tobias Budde getroffen. Neben dem erwähnten Angriff sei ein Linker tagelang von Neonazis observiert worden. Per E-Mail bedrohten sie ihn: Man wisse, wo er sich mit wem treffe, und werde ihn »erwischen«. Zwar gebe es in Detmold selbst keine Kameradschaftsstrukturen, sagt Schulte. »Weniger gefährlich ist die Gruppe um Budde dadurch indes nicht.« Zudem seien die Mitglieder der »Nationalen Offensive Schaumburg« auch öfter in der Blue Bar gewesen, um »Informationen abzuschöpfen«.

Schulte, Bengt und unabhängige Antifas aus Ostwestfalen-Lippe glauben, dass die Neonazi­szene versucht, ihre Aktionen in der Region zu koordinieren und neue Strukturen aufzubauen. Darauf deuten sowohl die enge Zusammenarbeit zwischen den rechten Kadern Winter und Menzer als auch die Versuche der »Nationalen Offensive« hin, öffentlich aufzutreten und mit Angriffen Aufmerksamkeit zu erregen. Der Bielefelder Staatsschutz und der Verfassungsschutz in Nord­rhein-Westfalen sehen keine organisierten Kameradschaftsstrukturen, sondern eher »lockere Zusammenschlüsse verschiedener Gruppierungen«, nennen aber die gleichen Personen.

Am kommenden Samstag findet im niedersächsischen Bad Nenndorf ein »Gedenkmarsch« an einem ehemaligen britischen Internierungslager statt. Angemeldet hat ihn zwar der bekannte Neo­nazi Thomas Wulf, doch soll nach Informationen des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Deister auch Marcus Winter an der Organisation beteiligt sein. Es ist bereits der dritte Marsch von Neonazis zu dem ehemaligen Gefängnis in diesem Jahr, doch kamen bisher jeweils nur zehn bis 15 Teilnehmer. Möglicherweise hat man sich deshalb dieses Mal um einen prominenten Anmelder bemüht. Unter dem Motto »NS-Verherrlichung stoppen!« rufen Antifagruppen zur Gegendemonstration in Bad Nenndorf auf.