Grün steht allen

Wer wieder regieren will, darf bei den Koalitionspartnern nicht zu wählerisch sein. Die Grünen bereiten sich auf diverse Farbkombinationen vor und werden der FDP auch sonst immer ähnlicher. von axel klingenberg

Sie sind nicht nur seit dem vergangenen Jahr mit 51 Sitzen die kleinste Oppositionspartei im Bundestag. Auch sind sie derzeit an keiner einzigen Landesregierung beteiligt und damit bundespolitisch weitgehend bedeutungslos. Ausschließlich auf kommunaler Ebene dürfen die Grünen noch ihren vollen Gestaltungswillen zeigen. Dabei bevorzugen sie rot-grüne Koalitionen, doch Bündnisse mit der Union und sogar mit der FDP kommen ebenfalls vor. Joschka Fischer, die graue Eminenz, riet seinen Parteifreunden daher per Spiegel-Interview, sich gezielt auch auf Koalitionen jenseits von Rot-Grün vorzubereiten – was umgehend zu aufgeregten Dementis führte. Spekulationen darüber, dass die große Koalition bereits vor Ablauf der Legislaturperiode zerbrechen könnte, tragen zu diesen strategischen Überlegungen einiges bei.

Tatsächlich lehnte Fischer derartige Koalitionen jenseits der Kommunalparlamente noch nach den letzten Bundestagswahlen rigoros ab, insbesondere die Liberalen hielt er als Regierungspartner für völlig inakzeptabel. »Da müsste sich die FDP erst neu erfinden, bevor es eine Koalition mit den Grünen gibt«, tönte er damals. Mittlerweile hält schon Guido Westerwelle eine derartige Zusammenarbeit nicht mehr für völlig ausgeschlossen.

Warum auch nicht? Schließlich versuchen die Parteien in ähnlichen Bevölkerungsschichten Stimmen zu gewinnen. Der durchschnittliche Wähler der Grünen hat mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 2 317 Euro die höchsten Bezüge überhaupt. Er gilt als überdurchschnittlich gebildet (62 Prozent besitzen das Abitur oder die Fachhochschulreife) und ist außergewöhnlich oft als Beamter oder Angestellter im höheren öffentlichen Dienst beschäftigt. Auch Selbständige und Unternehmer sind in grünen Wählerkreisen längst keine Minderheit mehr.

Dagegen fahren die Grünen regelmäßig in Vierteln mit einem hohen Anteil an Arbeitern und Arbeitslosen die schlechtesten Wahlergebnisse überhaupt ein – von dem desaströsen Abschneiden in Ostdeutschland ganz zu schweigen. Dass Hans-Christian Ströbele bei den Bundestagswahlen 2002 und 2005 in Berlin jeweils das einzige Direktmandat der Partei erringen konnte, widerspricht dem nicht, denn traditionell zählen die Groß- und Universitätsstädte zu ihren Hochburgen. Speziell in Kreuzberg griff wohl zusätzlich noch der grüne Mythos aus vergangenen, bewegten Tagen.

Bedenkt man weiterhin, dass das Durchschnittsalter des ideellen Grünen-Wählers mit 38,1 Jahren sehr niedrig ist, wird deutlich, dass dieser vor allem eines sein möchte: aufstrebend. So definieren sich zwar viele ihrer Anhänger immer noch als links, doch drängt es die Grünen schon seit langem mit Macht zur Mitte. Der Wandel von der Partei der Gutmenschen zur Partei der Besserverdienenden ist schon zu einem großen Teil vollzogen. Ein grundsätzlicher Widerspruch zum neoliberalen Konsens ist daher nicht zu befürchten. Die Grünen sind jung, wohlhabend und flexibel.

Ihr Fraktionsvorsitzender Fritz Kuhn ist sich dessen bewusst. »Wir wollen wachsen bei Leuten, die sich die Frage stellen, wie man wirtschaftlichen Erfolg mit sozialen Themen verbinden kann. Kleine Betriebe, Existenzgründer, Jungunternehmer, die etwas schaffen wollen – das ist die Klientel, die wir noch stärker erreichen und in Verbindung mit unseren Themen Ökologie, Verbraucherschutz, Kinderpolitik überzeugen müssen«, sagte er Anfang des Jahres der Welt. Im grünen Grundsatzprogramm liest sich das dann so: »Eine freiheitsorientierte Wirtschaftsordnung, die auch wirtschaftliche Effektivität ermöglicht, folgt daher dem Ziel, den Einzelnen ein hohes Maß an wirtschaftlicher Eigeninitiative zu ermöglichen.« Weiterhin ist dort zu lesen: »Unsere Politik hat das Ziel, die Erwerbslosigkeit abzubauen. Neben einer Qualifikationsoffensive und einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik kommt es hierbei darauf an, Investitionen in Arbeit zu erleichtern. Ein wichtiges Ziel ist die systematische Senkung der hohen Lohnnebenkosten.«

Deutlich wird die politische Entwicklung auch am aktuellen Bericht der grünen Demografie-Kommission: »Das alte Muster – Lernen in der Jugend, Arbeiten in der mittleren Lebensphase und Ruhestand ab 65 – wird zukünftig auf immer weniger Menschen zutreffen«, heißt es darin. Gefordert sei eine grundsätzliche Bereitschaft der Bürger zu lebenslangem Lernen. Politik und Wirtschaft sollen im Gegenzug die Weiterbildung älterer Menschen fördern. Das dürfte in der Praxis ähnlich erfolgreich sein wie der Appell an die Unternehmer, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Auch von einem »späteren Renteneintritt« ist in dem Papier die Rede. Eine betriebliche Gesundheitsförderung, ergonomische Arbeitsplätze und ein altersgerechter Einsatz der Beschäftigten könnten »eine lange Lebensarbeitszeit« möglich machen.

Der Göttinger Politologe Franz Walter brachte es auf den Punkt: »In Fragen von Arbeitsmärkten, einer steuerpolitischen Vereinfachung, auch einer haushälterischen Konsolidierungspolitik unter dem Rubrum der ›Nachhaltigkeit‹ könnten Christdemokraten, Liberale und Grüne zumindest bei der Abfassung eines Koalitionsvertrages rasch zu einem einvernehmlichen Arrangement kommen.« Die so genannte Jamaika-Koalition wäre lange Zeit undenkbar gewesen, da die Grünen als ein Ableger der Sozialdemokratie galten. Denkbar waren ausschließlich rot-grüne Koalitionen. Diese Zeiten sind definitiv vorbei, auch wenn im derzeitigen Berliner Wahlkampf genau dafür geworben wird.

Die Grünen stehen aktuell vor dem Problem, sich gleichzeitig in Konkurrenz zur Linkspartei und zur FDP zu befinden. Alle drei Parteien dienen nach wie vor, obwohl die Volksparteien SPD und CDU/CSU viele Mitglieder und Wähler verloren haben, als Mehrheitsbeschaffer. Während die Liberalen jedoch eindeutig die CDU als Partnerin präferieren und die Linkspartei derzeit ausschließlich mit der SPD zusammenkommen kann, sind die Grünen völlig orientierungslos für alle Seiten offen.

Auch Reinhard Loske, der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, hält Schwarz-Grün für eine Möglichkeit, seine Partei an einer künftigen Regierung zu beteiligen. Allerdings wiegeln die allermeisten Funktionsträger immer noch aufgeregt ab, wenn sie auf mögliche Koalitionen abseits von Rot-Grün angesprochen werden – wohl auch, um die Stammwähler nicht zu verprellen. Dabei könnte zur Schau getragene Offenheit der Partei schon deshalb nutzen, weil sich damit ihre Verhandlungsposition gegenüber der SPD verbessert. Fritz Kuhn ist sich dessen wohl bewusst: »Wir sollten Koalitionen nicht mehr als historische Projekte verklären.«