Ein Gespräch mit dem israelischen Historiker Zeev Sternhell über den Krieg und seine Folgen für Israel

»Deutsche Kampftruppen sind schwer zu akzeptieren«

Zeev Sternhell wurde 1935 in Polen geboren und kam 1951 nach Israel. Er ist emeritierter Professor für Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem und lebt in Tel Aviv. Auf Deutsch erschienen von ihm zuletzt: »Die Entstehung der faschistischen Ideologie – Von Sorel zu Mussolini« (Hamburger Edition, 1999) und »Faschistische Ideologie – Eine Einführung« (Verbrecher Verlag, 2002)

Der Krieg ist beendet, zumindest vorläufig. Wer hat gewonnen?

Israel jedenfalls nicht. Gemessen an den offiziellen Zielen, die am ersten Tag ausgegeben wurden, war der Krieg ein Misserfolg. Wir konnten weder die entführten Soldaten befreien noch die Hizbollah zerschlagen.

Wer ist dafür verantwortlich?

An erster Stelle der Ministerpräsident und seine Umgebung, an zweiter Stelle die Armeeführung. Die mittelmäßigen Leute, die die letzten Wahlen gewonnen haben, sind für dieses militärische Versagen verantwortlich, das in der israelischen Geschichte beispiellos ist. Auch wenn es notwendig war, der Hizbollah einen Schlag zu versetzen, hätte ein kluger Staatsmann eine günstigere Gelegenheit abgewartet und effektiver gehandelt.

Jetzt lautet die Frage: Kann die Regierung weitermachen? In der Öffentlichkeit wird der Rücktritt des Ministerpräsidenten Ehud Olmert gefordert, manche wollen auch den Rücktritt des Verteidigungsministers Amir Peretz. Wichtig ist aber vor allem, dass aus den Fehlern gelernt wird.

Welche Fehler meinen Sie?

Ich denke, dass ein Land nicht wegen einer Provokation an seiner Grenze in den Krieg ziehen sollte – selbst wenn dabei acht Soldaten getötet und zwei weitere entführt werden. Für den Kriegsfall muss alles vorbereitet und alle Eventualitäten müssen bedacht sein. Der mangelhafte Schutz der Zivilbevölkerung war dabei nur eines von vielen Versäumnissen. Ebenso war die Armee, wie im Laufe des Kriegs immer deutlicher wurde, nicht gut auf eine Auseinandersetzung mit der Hizbollah vorbereitet.

Warum nicht?

Man hat einfach nicht darüber nachgedacht. So unvorstellbar es ist – die Entscheidung, auf den Übergriff der Hizbollah mit militärischen Mitteln zu reagieren, fiel in weniger als drei Stunden. Niemand kennt die genauen Gründe dafür, aber wahrscheinlich war es so, dass die israelische Luftwaffe dem Ministerpräsidenten glaubhaft gemacht hat, dass sie dazu in der Lage sei, den Job alleine und in wenigen Tagen zu erledigen. Olmert wiederum hat die Regierung davon überzeugt. Ein Resultat dieses kopflosen Vorgehens konnten Sie im Norden Israels sehen, wo selbst in den letzten Kriegstagen noch 200 Raketen einschlugen.

Wie bewerten Sie die Kriegsführung?

Ein Krieg gegen eine Guerilla ist niemals leicht. Bei der Hizbollah haben wir es zudem mit einer Organisation zu tun, die von Syrien und dem Iran massiv unterstützt wird. Außerdem war das Problem, dass unsere Regierung sich nicht entscheiden konnte, was sie wollte. Sie wusste von Anfang an nicht, ob sie sich mit Luftschlägen ohne richtige Bodenunterstützung zufrieden geben sollte. Deshalb wurden zunächst umfassende Luftschläge befohlen, in der illusorischen Hoffnung, man könne dadurch die libanesische Bevölkerung gegen die Hizbollah aufbringen.

Es hätte stattdessen gezielte und begrenzte Schläge auf die Stellungen der Hizbollah im Süden des Libanon geben müssen. Danach hätte man anfangen können, über die Freilassung der entführten Soldaten zu verhandeln. Oder aber man hätte gezielte Luftschläge durch eine umfassenden Bodenoffensive unterstützen müssen.

Sie hätten eine stärkere Bodenoffensive befürwortet?

Niemand kann sagen, was passiert wäre, wenn es von Anfang an eine Bodenoffensive gegeben hätte. Aber sicher war es ein Fehler, sie erst am Ende zu beginnen. In den letzten 60 Stunden des Krieges wurden 34 Soldaten getötet, was ein großer Schock für die israelische Gesellschaft war. Nach der Entscheidung, den Krieg fortzuführen, war nicht mehr die Frage, ob es eine Bodenoffensive hätte geben müssen, sondern wann sie hätte begonnen und wie sie hätte geführt werden müssen.

Welchen Einfluss hatte die israelische Gesellschaft auf die Kriegsführung?

Manche behaupten, dass die offene, dem Schutz des Individuums verpflichtete israelische Gesellschaft zu einer Schwächung des Landes im Krieg geführt hat. Aus der Geschichte kennen wir viele Beispiele dafür, dass nicht die politischen und militärischen Befehlshaber für Misserfolge verantwortlich gemacht wurden, sondern die für dekadent befundenen, humanistischen und säkularen Werte der Aufklärung. In Israel war diese Ansicht bislang auf einige Siedlerkreise beschränkt, nun besteht die Gefahr, dass auch die säkulare Rechte diese Auffassung übernimmt.

Aber es ist eine Tatsache, dass es die israelische Demokratie war, die ihre Bewährungsprobe im Krieg bestanden hat. Bewundernswert war nicht die Leistung der F-16-Kampfflugzeuge, sondern die Freiheit, Kritik üben zu dürfen, die auch im Krieg nicht gemindert wurde.

Gleichzeitig hat die israelische Öffentlichkeit Hingabe und Kampfgeist gezeigt – Eigenschaften, die charakteristisch sind für die Israelis in Uniform. Woran es gemangelt hat, waren Politiker von Format und die geschickte Anwendung der vorhandenen Mittel.

Wie beurteilen Sie die Stärke der Hizbollah nach dem Waffenstillstand?

Die Hizbollah ist ein integraler Bestandteil der schiitischen Bevölkerung im Süden, der nicht verschwinden wird. Wir können sie nicht zerschlagen, ohne dass es zu vielen Opfern unter der schiitischen Zivilbevölkerung kommt. Das aber können und wollen wir nicht. Es ist klar, dass die Hizbollah sich nicht entwaffnen lassen wird. Die Frage ist: Wird sie weiter von den Syrern und den Iranern aufgerüstet, so dass sie eine Gefahr für Israel bleibt? Schon jetzt besitzt die Hizbollah Raketen, die Tel Aviv treffen können.

Doch das Problem ist weniger der Libanon als der von Israel besetzte Golan. Es wäre wünschenswert, ein Friedensabkommen mit Syrien zu erreichen. Ohne die Syrer an ihrer Seite kann uns die Hizbollah nicht richtig gefährlich werden.

Dann bliebe immer noch der Iran. War dies der Beginn eines Kriegs gegen den Iran?

Ich hoffe nicht. Hoffentlich findet sich noch eine regionale Lösung, eine Art Gleichgewicht des Schreckens. Aber es ist klar, dass wir an unserer Grenze eine Organisation, mit der wir keinerlei Gebietsstreitigkeiten haben und deren einzige Existenzberechtigung darin liegt, so viel Unheil in Israel anzurichten, wie sie nur irgendwie kann, auf Dauer nicht dulden können. Auch wenn die Hizbollah momentan den Staat Israel nicht existenziell gefährdet, bleibt sie eine Bedrohung, und wir können es nicht akzeptieren, dass sie weiter vom Iran aufgerüstet wird. Eine existenzielle Gefahr für Israel wäre gegeben, wenn es dem Iran gelänge, Nuklearwaffen zu bauen.

Ist Ariel Sharons und Ehud Olmerts Politik des einseitigen Rückzugs endgültig gescheitert?

Der einseitige Rückzug aus dem Gaza-Streifen war besser als nichts. Aber leider folgte ihm kein Friedensprozess. Dabei ist genau das, einen Frieden mit den Palästinensern zu erreichen und uns im Rahmen eines Abkommens aus der Westbank zurückzuziehen, für uns sehr dringlich. Ohne ein solches Abkommen hilft uns ein einseitiger Rückzug nicht weiter.

Was erwarten Sie sich von einer UN-Truppe, die im Libanon eingesetzt werden soll?

Das hängt davon ab, was für eine Truppe es sein wird. Ich mache mir keine Illusionen: Weder die bisherige UN-Truppe im Libanon, die Unifil, noch irgendeine andere internationale Truppe wird gegen die Hizbollah kämpfen, sei es uns zuliebe oder auch nur, um die Hizbollah daran zu hindern, sich weiter zu bewaffnen. Hoffentlich kann die internationale Truppe sie wenigstens daran hindern, weiter Raketen auf israelisches Gebiet abzufeuern. Bislang haben wir auf europäische Nato-Soldaten gehofft, auf gut ausgebildete und ausgerüstete Kampftruppen, die tatsächlich dazu in der Lage wären, den Waffenstillstand durchzusetzen. Wenn es nur eine neue Unifil-Truppe wird, werden wir weiterhin dazu gezwungen sein, das Problem alleine zu lösen.

Was halten Sie von einer Beteiligung deutscher Soldaten?

Ich wäre nicht sehr glücklich darüber, deutsche Soldaten an unserer Grenze zu sehen. Ich würde es vorziehen, wenn Deutschland sich so verhalten würde, dass nichts mehr an das Deutschland erinnert, welches das jüdische Volk kennen gelernt hat. Ich und mit mir die meisten von uns würden Deutschland lieber weiterhin als Land von ökonomischer und kultureller Bedeutung sehen. Deutsche Soldaten könnten logistische Aufgaben übernehmen oder medizinische Hilfe leisten. Aber deutsche Kampftruppen? Wissen Sie, es gibt in Israel noch viele Erinnerungen, und wir sollten die Erinnerungen der Menschen respektieren, für die es sehr schwierig wäre, deutsche Kampftruppen zu akzeptieren.

Ist die Gefährdung Israels nach dem Krieg gestiegen oder gesunken?

Es ist dreist, wenn Olmert verkündet, dass sich das strategische Gleichgewicht in der Region zugunsten Israels verändert habe. Vielmehr hat der Umstand, dass wir ohne Vorbereitung und ernsthafte Planung in den Krieg gezogen sind, eine neue Gefahr geschaffen, weil Israel viel von seiner Fähigkeit zur Abschreckung verloren hat. Allerdings sind wir um eine Erfahrung reicher. Wir werden in Zukunft wieder in angemessener Weise reagieren, wenn es erforderlich ist. Es ist jetzt allen bewusst geworden, dass wir es bei der Hiz­bollah mit einer Organisation zu tun haben, die ein Ableger des Iran ist und deren Ziel es ist, Israel zu zerstören.

Vielleicht werden wir nun, wie es schon nach dem Rückzug der israelischen Armee im Sommer 2000 der Fall war, einen brüchigen Waffenstillstand bekommen. Beim nächsten Mal – und viele Leute in Israel sind sich sicher, dass es, ob nun in ein paar Monaten oder Jahren, ein nächstes Mal geben wird – wird es ohne Zweifel wieder Tote auf beiden Seiten geben. Aber wir werden besser vorbereitet sein und hoffentlich überlegter vorgehen.