Bandenkrieg in Bagdad

Die Milizenherrschaft im Irak führt zum Zerfall staatlicher Strukturen. Mit einer Teilung des Landes kann die Gewalt nicht beendet werden. von thomas uwer

In Zeiten der Krise sind Mahner gefragt, Leute, die unübersichtlichen Situationen mit klaren Vorstellungen begegnen. Joseph »Joe« Biden jr., demokratischer Senator aus Delaware und stellvertretender Vorsitzender des Senatsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, ist ein solcher Mensch. Fünf Punkte beinhaltet sein Plan zur Lösung der Irak-Krise und eine Idee: Wenn die Bevölkerungsgruppen im Irak nicht zusammenleben wollen, dann lasst sie uns eben trennen. »Die Idee ist, (…) jeder ethno-religiösen Gruppe – Kurden, sunnitische und schiitische Araber – Raum zu geben, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln«, schrieb er in einem Kommentar für die New York Times im Mai. Der Koautor des Plans, Leslie Gelb, ging im Jahr 2003 bereits weiter. Gelb, der dem Council of Foreign Affairs vorstand und als Berater unter Jimmy Carter diente, forderte damals die Teilung des Irak in drei unabhängige Staaten.

Bekanntermaßen ist es anders gekommen. Oder doch nicht? Zumindest in der arabischen Welt glauben nicht wenige, die Teilung des Landes sei von Anfang an die »geheime Agenda« der US-Regierung gewesen. Sie sehen sich durch Bidens Plan bestätigt. Es gehe im Irak um die Schaffung »kleiner, unbedeutender Staaten«, die »fügsam gemacht werden können, um amerikanische und israelische Interessen für immer zu sichern«, scheibt die saudi-arabische Tageszeitung Arab News.

Eine Meinung, die auch Intellektuelle wie der ägyptische Autor Anis Mansour vertreten. »Es ist nicht wahr, dass die USA im Irak gescheitert sind«, erklärte er dem katarischen Fernsehsender al-Jazeera. Denn die Teilung des Landes nach dem Prinzip »divide et impera« sei das, was Amerika »eigentlich gewollt hat«. Was hilft es, daran zu erinnern, dass Biden Demokrat ist und die Meinungsseiten US-amerikanischer Zeitungen nicht das Amtsblatt ihrer Regierung sind? Stellt doch das Konzept eines föderalen Irak, wie seinerzeit der Sturz Saddam Husseins, weiterhin eine Bedrohung für die Regimes der zentralistischen und autokratisch regierten arabischen Staaten dar. Die saudi-arabische und die ägyptische Regierung rufen daher seit 2003 ihre »irakischen Brüder« zur Einheit und müssen doch zusehen, wie diese sukzessive zerfällt. Nicht zwischen Arabern und Kurden, sondern zwischen sunnitischen und schiitischen Arabern hat sich ein Konflikt entwickelt, der immer unversöhnlicher wird.

Dass aber eine Dreiteilung des Landes bevorsteht, ist so unwahrscheinlich wie eine plötzliche Einigung, die zur faktischen Befriedung des Landes führt. Nicht die staatliche Teilung, sondern Zerfall ist die Alternative, die der alltägliche Krieg der irakischen Milizen nahe legt. Dieser Zerfall vollzieht sich nicht konstitutionell, sondern infolge der faktischen Entmachtung und der Auflösung staatlicher Strukturen und ist daher ein Problem, das sich durch eine ethnisch-konfessionelle Separation ebenso wenig lösen lässt, wie ein Waldbrand gelöscht wird, wenn man Laub- und Nadelbäume trennt.

Denn es trifft zwar zu, dass schiitische Milizen die sunnitische und sunnitische Milizen die schiitische Bevölkerung terrorisieren. Todesschwadronen ermorden Geistliche, Politiker, Händler, Ärzte und Passanten. Die Zahl der getöteten Menschen hat im Sommer mit nahezu 1 000 pro Monat einen neuen Höchststand erreicht und steigt weiter. Doch es ist häufig nicht erkennbar, welche Fraktion oder Bande für welches Verbrechen verantwort­lich ist. Oft wissen nicht einmal die Opfer der Gewalt, wer sie gerade terrorisiert. Die spezifische Form bandenmäßiger Organisation macht sunnitische und schiitische, islamische und weltliche Terroristen einander gleich, und alle zusammen sind von den ebenfalls weit verbreiteten kriminellen Banden ohne ideologischen Hintergrund kaum unterscheidbar.

Sunnitische wie schiitische Gangs üben lokale Macht aus. Sie kontrollieren Stadtteile, Dörfer oder einen Abschnitt der Überlandstraße. An diesen Orten tritt Waffengewalt an die Stelle staatlicher Ordnung, die Aktion verdrängt das politische Programm. Die Gewalt richtet sich nicht nur nach außen, sondern in gleicher Weise auch gegen Angehörige der eigenen Konfession oder Bevölkerungsgruppe.

So ist Muqtada ­al-­Sadrs islamistische Miliz ebenso verantwortlich für einen Teil der Morde in sunnitischen Stadtteilen Bagdads wie für den Terror gegen Frauen oder den Mord an schiitischen Klerikern wie Majid al-Khoey und Sayyid Farqad al-Qizwini. Wer nur den ersten Teil davon sieht, kann das Problem der Milizenherrschaft im Irak nicht verstehen. Dieses liegt weniger in separatistischen Absichten als vielmehr darin, dass den bewaffneten Banden beider Konfessionen jedes rationale Ziel abhanden gekommen ist, das weiter reicht, als die Kontrolle über den nächsten Stadtteil zu gewinnen.

So drängen zwar die schiitischen Parteien auf die Gründung einer autonomen Region ähnlich der kurdischen im Norden. Ob sie aber wirklich noch eine effektive Kontrolle über die örtlichen Milizen haben, ist mehr als fraglich. Blockiert wird dieses Unternehmen von den sunnitischen Parteien, aber auch von Muqtada al-Sadr, dessen Partei im Parlament und in der Regierung vertreten ist, während seine Milizen sie in den Straßen bekämpfen. Eine Paradoxie, die nicht zuletzt auch darin ihren Ausdruck findet, dass Teile jener Todesschwadronen, die Bagdad unsicher machen, sich aus den Sicherheitsdiensten rekrutieren, deren Aufgabe die Bekämpfung solchen Terrors ist.

Für einen beträchtlichen Teil der Irakis bedeutet dies wiederum, dass sie Sicherheit bei jenen Milizen suchen müssen, die die Ursache für die anhaltende Unsicherheit sind. Das mindert auch den Einfluss der religiösen Autoritäten, Anfang September zog sich Ayatollah Ali al-Sistani, der höchste schiitische Kleriker, beleidigt aus der Politik zurück. Er war es, der im Jahr 2004 bewirkte, dass die US-amerikanischen Truppen al-Sadr, dessen Miliz sie bekämpft hatte, ungeschoren davonkommen ließen. Nun gibt Sistani auf, weil viele Schiiten sich nicht an ihn, sondern an den Milizführer halten – denn der hat die Waffen.

An diesem Problem werden auch die derzeit heiß diskutierten Teilungsvorschläge nichts ändern. Sie entpuppen sich vielmehr als mühsamer Versuch, in der heiklen Irak-Frage Distanz zum angeschlagenen US-Präsidenten herzustellen. Und das ist, will man den Irak nicht gleich den islamistischen und kriminellen Milizen überlassen, gar nicht so leicht. Denn eine Teilung scheint einfach, doch praktikabel ist sie nicht.

Auf die Forderung nach einer weitgehenden Autonomie der Regionen hatten sich die irakischen Parteien bereits beim Entwurf der Verfassung im Grundsatz geeinigt. Ungeklärt ist indessen jene Frage, auf die weder Biden noch die anderen Befürworter einer Separation eine Antwort haben: wie diese zu bewerkstelligen ist. »Mit Hilfe der UN« und einer internationalen Konferenz, meint Biden, sollte das schon möglich sein. Und damit wäre man wieder dort, wo alles begann – nur mit schlechteren Voraussetzungen. Denn internationale Unterstützung bei dem Versuch, die Irak-Krise zu lösen, wird es heute noch weniger geben als vor dreieinhalb Jahren. Auch deshalb dürfte George W. Bush bei seiner Parole (»den Kurs halten«) bleiben, statt den Irak zu zerlegen.