Sein liebstes Hemd

Eine Kölner Ausstellung widmet sich Rolf Dieter Brinkmann und der Popliteratur. von wolfgang frömberg

Im Jahr 1975 ist Rolf Dieter Brinkmann in London von einer schwarzen Limousine überfahren worden. Nun bekommt man in einem Kellerloch in seiner Wahlheimat­stadt Köln die Gelegenheit, sich Brinkmanns letzte öffentliche Spoken Word Performance, vorgetragen auf dem Cambridge Poetry Festival, anzuhören. »The Last One« heißt die CD, die in den Gewölben des Kunsthauses Rhenania hinter einem Vorhang abgespielt wird, wo sich eine Art Ofen befindet. Das Ambiente passt schon. Böse Zungen behaupten, der Dich­ter aus Vechta sei längst ausgebrannt gewesen, als der Tod ihn quasi on the road ereilte. Aber die 2005 veröffentlichte CD-Box »Wörter Sex Schnitt«, bestückt mit Aufnahmen fürs Radio, beweist, dass Brinkmann in den Siebzigern weiterhin Experimente durchführte, die seinem Literaturverständnis zufolge konsequent waren. Und der postum erschienene Gedichtband »Westwärts 1 & 2« war bereits im Trauerjahr ein voller Erfolg. Tote leben halt besser.

Dem Poparchivar Uwe Husslein, seines Zeichens Initiator der bis zum 19. November laufen­den Ausstellung »Außerordentlich und obszön – Rolf Dieter Brinkmann und die Popliteratur«, ist zu wünschen, dass sich neben ehemaligen Weggefährten auch ein paar junge Pop­interes­sierte in die materialreiche Hommage verirren. Immerhin laufen im umfangreichen Rahmen­programm auch selten gezeigte Filme (Will-Tremper-Reihe) sowie Lesungen (Oswald Wie­ner), die kaum etwas mit schnöder Historisierung zu tun haben. Die Zeit, in der Rolf Dieter Brinkmann drastisch dichtete, qualvoll erzählte und zärtlich wütete – die Sechziger-Jahre-Nachkriegsära –, kann ohnhin nicht oft genug gewürdigt werden.

Er habe sich auf Brinkmanns Arbeiten bis Ende der Sechziger, also auf die Phase des »Pop­impulses«, konzentrieren wollen, erklärte der Kurator bei der Eröffnung. Anwesend waren neben Vertretern der frühen Kölner Kunst­szene auch Barbara Kalender und Jörg Schröder vom März-Verlag. Dort ist 1969 die legendäre Antho­logie »Acid« erschienen, die Rolf Dieter Brinkmann gemeinsam mit Ralf Rainer Rygulla und Jörg Schröder herausbrachte. »Acid«, berühmt für das Loch­stanz-Cover, versammelte Einfälle, Ideale und Techniken, die damals in den Köpfen zahlreicher Künst­ler zu arbeiten begannen, weil die »neue ame­rikanische Szene« sie ihnen eingeflüstert hatte. Diese Strömung war aus dem Treiben der literarischen Beat Generation der fünfziger Jahre um Jack Ke­rouac und Allen Ginsberg hervorgegangen. Sie wurde erweitert durch Wil­liam S. Burroughs’ Cut-Ups und erlebte eine fortlaufende Neuorientierung in Zeiten des Kalten Kriegs.

Der März-Verlag, der sich zunächst durch pornografische Literatur finanzierte, sendete als progressiver Laden in der miefigen BRD schnell unterschiedliche Signale aus. Während die Verwalter der klassischen Moderne ihren ­Brech­reiz angesichts des Programms kaum unterdrücken konnten, war das Unternehmen für politisierte und ent­politisierte Vertreter der Gegenkultur eine gute Adresse. Der »Popimpuls« hörte in den Anfangstagen noch auf den Namen »postmoderner Impuls«.

Wie die Tagebuch-Collagen Brinkmanns, die man in der Ausstellung ringförmig zu Heiligenscheinen drapiert hat, lässt sich auch der Katalog des März-Verlags als kompakt arrangierte Montage bezeichnen. Das Neben­einander von Geschichte, Politik und literarischer Avantgarde, das in einem kleinen Ausschnitt alter März-Ausgaben aus Hussleins privaten Beständen präsentiert wird, ist Programm. Radical Chic, Aufklärung und Trivialisierung wurden bei März nicht einfach zum Thema gemacht, sie machten das Konzept aus. Der einzige zeitgenössische Beitrag zur Ausstellung, ­»Tussi-Recher­che« von Margret Eicher, die auf bekannten Werbeplakaten gängige Verkauf­slogans gegen Lyrik von Dieter M. Gräf eingetauscht hat, wirkt im Vergleich dazu leider ziemlich abgeschmackt.

Die postmoderne Literatur setzte auf die Flucht aus dem stillen Dichterkämmerlein. Ihre Protagonisten verwendeten eine Kampf­­technik, die wir heute als »multimedial« bezeichnen würden. Einerseits wurde das Schöngeistige des Schriftstellerlebens negiert, anderseits arbeitete man fleißig an der Verfeinerung bzw. Vergröberung des Literaturbegriffs. Die Brinkmannsche Definition lautete: »Der Film in Worten«. Aus den Worten – aus den Gedichten und Über­setzungen von Helden wie Frank O’Hara, aus den Briefen und der geschnittenen Post­kartenprosa – wurden zuweilen tatsächlich bewegte Super-8-Aufnahmen, Comic-Strips, Hörspiele. In der Tradition von Kino, Dada und Surrealismus rückten Bildende Kunst, triviale Unterhaltung und das Schreiben wieder enger zusammen.

Vom Allround-Künstler Dieter Roth ist die Anekdote überliefert, er habe seine »Scheiße­gedichte« verfasst und in handgemachte Edi­tionen verpackt, weil er als Autor herkömm­licher Romane stets versagt hatte. Das grafische Gestalten geschriebener Worte und die Alltagsthemen der damaligen Popliteraten waren Techniken, die Roths verzweifelter Kunstfertigkeit entgegenkamen. Zwar verteidigte man das Seriel­le gegen das Originale, produzierte dann aber doch »auratische« Produkte wie die Zeitschrift Der Gummibaum, weil man eigentlich nur die Gegenwart unterhaltsam protokollierte, sich aber der Massenkultur nicht bedingungslos anbiedern wollte.

Der Ausstellung geht es um das Zusammenwirken der Persönlichkeit Brink­manns mit anderen Künstlerpersönlich­keiten. Wer die poststrukturalistisch dominierten sechziger Jahre und die damals aufgekommene postmoderne Literatur etwa mit dem »Tod des Autors« in Verbindung bringt, findet allerdings Hinweise u.a. in den Sample-Techniken von William S. Burroughs’ »Scrapbook« oder auf den nicht signier­ten, von der Pop Art inspirierten Gemäl­den der Kölner Künstlergruppe »EXIT – BILDERMACHER«. Während deren Mitglieder Thomas Hornemann und Berndt Höppner die Stadt bald verließen, blieb ihr Kollege Henning John von Freyend nicht nur in Köln, sondern er war auch Rolf Dieter Brinkmann bis zu dessen Tod freundschaftlich verbunden.

John von Freyends leuchtend bunte Porträts dokumentieren den omnipräsenten Autor – als dominanten Typen, der sich hinter seinem Werk gar nicht verstecken konnte. Besonders gut kommt das Gemälde von Brinkmanns Lieblingshemd zur Geltung. Es wurde schlau in einer Reihe von Schwarzweiß­fotos platziert, die Brigitte Friedrich machte, während Brinkmann das türkisblau gemusterte Shirt trug. Diese Aufnahmen wiederum zeigen den als sexistisches Arschloch und menschen­feindlichen Giftzwerg verrufenen Brink­mann in spitzbübischen, jungenhaften Posen. Seiner Frau Maleen streicht er eine Strähne aus dem Gesicht. Anzeichen für das, was Brinkmanns eigene Sensibilität ausmachte, die kein anderer als Marcel Reich-Ranicki für »außerordentlich und obszön« erklärte – das Bemühen um reine Gegenwart.