Der flinke Altkanzler

In seinen Memoiren rechtfertigt Schröder noch einmal die Agenda 2010 und seine Ablehnung des Irak-Kriegs. von stefan wirner

Was mag sich Angela Merkel denken? Schröder hier, Schröder da, Schröder links, Schröder rechts, Schröder unten und dann schon wieder oben. Das Plakat des Spiegel, auf dem er mit all seinen staatsmännischen Falten zu sehen ist, schmückt die Straßen, er ist im Fernsehen zu sehen, die Zeitungen sind voll mit Geschichten über ihn. Hört das denn nie auf? fragt sich die Bundeskanzlerin vermutlich.

Nein, noch ist es nicht vorbei. Schröder hat die Deutschen bislang nie gelangweilt, er hat immer eine Überraschung im Angebot. Seine neueste Rolle ist die des flinksten Altkanzlers der Welt. In der vorigen Woche legte er, nur ein Jahr nach dem Ende seiner Amtszeit, seine Memoiren vor. Er demonstriert damit, wie sehr die Politik und das Geschäft auch in Deutschland inzwischen miteinander verschmolzen sind. »Lieber Gerd, herzlich willkommen zuhause«, begrüßte ihn der Generalsekretär der SPD, Hubertus Heil, am Donnerstag im Willy-Brandt-Haus in Berlin. Die Wahl des Orts sollte betonen, dass Schröder noch immer ein Sozialdemokrat ist: ein Aushängeschild der Partei, ein Markenname. Die Partei profitiert von Schröder, und er profitiert von der Partei.

Mit seiner jüngsten Kritik am Regierungsstil Merkels hat er geschickt für sein Buch und die SPD geworben. »Gelegentlich scheint mir ein Basta zu fehlen«, sagte er der Bild am Sonntag. Die Reaktionen aus der CDU/CSU dürften noch zum großen Interesse an Schröders Buch beigetragen haben. Vom »Nachtreten« war da die Rede. Nur Merkel sagte nichts. Eine Kanzlerin, die sich gar nicht erst in die Niederungen der Politik begibt – mal sehen, wie lange sie diese Rolle durchhält.

Andere hingegen tauchten auf bei Schröders Buchvorstellung: der konservative Premierminister von Luxemburg, Jean-Claude Juncker, der die Laudatio hielt, der frühere Innenminister Otto Schily, der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel, der Schriftsteller Siegfried Lenz, der SPD-Künstler Klaus Staeck und der ehemalige Regierungssprecher Uwe Karsten Heye, der Co-Autor des Buches ist. Fehlte eigentlich nur Günter Grass.

Die Anwesenden konnten hören, wie Schröder zugab, dass er im vorigen Jahr gerne auch als Kanzler einer Großen Koalition weitergemacht hätte. »Ich wollte ja nicht aufhören. Aber ich musste«, sagte er. Diejenigen, die schuld daran gewesen seien, dass er nicht weitermachen durfte, nennt Schröder im Buch beim Namen: den Vorsitzenden der IG Metall, Jürgen Peters, und den Vorsitzenden von Verdi, Frank Bsirske. Nach der Verabschiedung der Agenda 2010 im Jahr 2004 »wollten sie das Reformprogramm als solches und damit verbunden mich als Bundeskanzler zu Fall bringen«.

Die Fähigkeit zur Selbstkritik, die ihm von vielen Kommentatoren in der vorigen Woche bescheinigt wurde, lässt er in der Frage der rot-grünen Sozialreformen vermissen. Die Agenda 2010, deren Name von seiner Ehefrau Doris erfunden wurde, wie er verrät, ist für ihn nach wie vor »ein zukunftsträchtiges Reformprojekt zur Sicherung der Substanz des Sozialstaates«. Die damalige Kritik der Parteilinken habe nur dazu geführt, »dass eine neue Linkspartei entstehen konnte«. Und wer war schuld daran, dass die NPD im Jahr 2004 in den sächsischen Landtag einzog? »Die Saat der Hartz-IV-Proteste war aufgegangen.« Starrsinnig verteidigt Schröder seine Reformen, obgleich etliche Untersuchungen zeigen, dass unter der rot-grünen Regierung die Zahl der Armen in Deutschland erhöht und der Unterschied zwischen Arm und Reich vergrößert wurde.

Weitsichtig indessen klingt mittlerweile das, was er vor dem Irak-Krieg gesagt hatte. Im Februar 2003, eine Woche nach der Rede Colin Powells vor dem Weltsicherheitsrat in New York, in der der damalige US-amerikanische Außenminister dem Irak Kon­takte zu al-Qaida und die Herstellung von Massenvernichtungswaffen unterstellt hatte, schickte Schröder eine Delegation des Auswärtigen Amts in die USA. Sie sollte den Sicherheitsberatern von George W. ­Bush noch einmal erläutern, warum die Bundesregierung einen Krieg ablehnte. Als Gründe ließ er den Amerikanern u. a. mitteilen: die »Gefahren für die territoriale Integrität des Irak«; »Gefahren für die regionale Stabilität, zu denen eine mögliche Stärkung des Iran« gehöre. Im Irak drohe ein »sehr langes Engagement mit hoher finanzieller und personeller Belastung«. Schröder hat Recht behalten.

Er erzählt auch, er habe Bush im Jahr 2001 versichert, »dass eine bewiesene Zusammenarbeit zwischen al-Qaida und Saddam Hussein politisch nicht anders zu bewerten sei als die Unterstützung von al-Qaida durch die Taliban«. Noch im Mai 2002, als Bush zu Besuch in Deutschland weilte, habe er ihm zugesagt: »Sollte sich der Irak wie zuvor Afghanistan tatsächlich als Schutzraum und Zufluchtsort für al-Qaida-Kämpfer erweisen, würden wir zuverlässig an der Seite der USA stehen.«

Hätte Deutschland die USA in diesem Fall also auch im Irak unterstützt? Im Jahr 2003 behauptete die Regierung von Bush, dass es eine Zusammenarbeit von al-Qaida mit Saddam Hussein gebe, aber es entsprach, wie man heute weiß, nicht den Tatsachen.

»Für mich hatte das Nein zum Irak-Krieg zu keinem Zeitpunkt einen antiamerikanischen Beigeschmack«, hebt Schröder hervor. Seine damalig Rede vom »deutschen Weg« hatte aber eindeutig eine nationalistische Konnotation. Und so sehr er auf die Desinformationen hinweist, die die US-Regierung über den Irak verbreitete, so ausgiebig wiederholt er selbst die zum Teil falschen Behauptungen, die vor dem Kosovo-Krieg über »die Serben« aufgestellt wurden. Nach wie vor benutzt er das Vokabular, mit dem man eigentlich die Gräueltaten der Nazis beschrieben hat. Er beschwört die »Schreckensbilder des serbischen Vernichtungsfeldzuges gegen die albanische Bevölkerung« und meint: »Die Bilder erinnerten an die Gräueltaten der deutschen Sonderkommandos im Zweiten Weltkrieg.« Nur, dass die Serben Föten grillten, wiederholt er nicht. Das behauptete ja auch Rudolf Scharping, sein damaliger Verteidigungs­minister.

Es sei ihm in seiner Außenpolitik um eine »relative Unabhängigkeit von den USA« gegangen, bekennt Schröder, oder anders gesagt: »So überzeugt ich die Bedeutung des transatlantischen Verhältnisses betonte, so klar war auch, dass ich eine Behinderung der offensiven Vertretung deutscher Wirtschaftsinteressen in der Welt, auch gegen amerikanische Konkurrenten, nicht hinnehmen würde.« Er erwähnt die »strategische Partnerschaft zu Russland und auch China« und lobt den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der für ihn ein »ehrlicher Makler« sei, indes ihn an Bush befremdet habe, dass dieser sich als »›gottesfürchtig‹ und im Einklang mit dieser für ihn höchsten Instanz verstand«. Schröder schreibt: »Das Problem, das ich mit einer solchen Position habe, beginnt dort, wo sich der Eindruck aufdrängt, politische Entscheidungen seien die Folge des Gesprächs mit Gott.«

Am Ende seiner Memoiren entwickelt er, nun ganz elder statesman, eine Vision für die Sozialdemokratie, eine »Agenda 2020«, in der es um den »Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und die Überwindung des weltweiten Wohlstandsgefälles« gehen soll. Mit einem Mal klingt Schröder selbst amerikanisch. Nämlich wie Al Gore.