Der Nazi im Wolfloch

Schwarzwaldreise auf der Landkarte

Wandern im Schwarzwald ist schön. Fast noch schöner aber ist es, das süddeutsche Mittelgebirge mit dem Finger auf der Landkarte zu erkunden. Rasend schnell geht es über zwölf-, manchmal vierzehnhundert Meter hohe Gipfel. Notschrei. Schauinsland. Feldberg. Die Reise führt durch schmale Täler, Gehöfte huschen vorbei, Titisee, Hinterzarten, Schluchsee. Und kleine Ortschaften mit bizarren Namen, die viel vom Leid früherer Zeiten erahnen lassen. Vorderes Elend und Hinteres Elend, Bittersthöfe und Wolfloch. Hier lebte es sich einst ungemütlich. Nass. Kalt. Düster. Doch es gibt auch Hoffnung: Neuwelt, Himmelreich. Und, auf knapp 1 000 Meter Höhe, der Potsdamer Platz. Ein Wanderparkplatz mitten im Wald.

Der Finger fährt weiter. Katzental. Hexental. Neben dem Oberhöllsteig liegt Heiligenbrunnen. Wie passend. Und noch weiter. Weißtannenhof. Bestimmt schön dort. Hmmm. Einsiedel. Da. Pfaffenhof – kann man sich schon denken. Und … Halt! Der Finger fährt zurück. Kann das sein? Nazihof? Nazis! Jetzt aber aufgepasst. Wo einer ist, da wartet meist eine ganze Gang, im Hinterhalt, die Obstbrandflaschen schon gezückt.

Nach kurzer Suche kommt weiteres Unheil ans Licht. Zwei mal fünf Fingerbreit weiter rechts steht es schwarz auf weiß: Nazihäusle. Da klingen auch die Schweighöfe nebenan gleich noch ein bisschen bedrohlicher. Wer schweigt, stimmt zu. Nazis, Wolfloch, schweigende Zustimmung – existiert ausgerechnet hier, am Südzipfel Deutschlands, im toleranten Dreiländereck eine bislang unbekannte »national befreite Zone«? Eine Hochburg der Rechtsextremisten in Nazihöfen? Der Ungewissheit muss ein schnelles Ende bereitet werden. Zum Glück gibt es Experten. Also Karte zu, Adressbuch auf. Experte gesucht, gefunden und gefragt.

»Im Schwarzwald werden die Höfe gerne nach den Besitzern benannt«, sagt der Germanist und Namensforscher Konrad Kunze. »Wenn also ein Anton einen Hof besaß, dann wurde daraus der Toni(s)hof, beim Joseph der Seppenhof«, erklärt Kunze weiter, der Professor an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg und Autor des dtv-Atlasses für Namenskunde ist. »Oft werden auch mehrere Generationen von Besitzern aneinandergereiht, in dem Ort Schönbach gibt es etwa den Martinsfranzentonishof, der nach einem Anton Schandelmaier benannt ist, dessen Vater Franz und dessen Großvater Martin hieß.«

Aha. Und in der Zeit des Nationalsozialismus wurde etwa Obersturmführer Anton Rieders Schwarzwälder Wehrbauernhof, der Einfachheit halber, zum Nazihof? Mitnichten. »Die Nazihöfe sind Höfe, deren Besitzer den Rufnamen Ignatius trugen«, sagt Kunze. »Und den hat man abgekürzt und gut alemannisch schon vor Jahrhunderten einfach Nazi genannt.« So einfach ist das.

Schön, dass die Alemannen ein so unverkrampftes Verhältnis zu ihren Nazis pflegen. Was vor Jahrhunderten gut war, kann heute nicht schlecht sein, scheint ihre Devise zu sein. Aber muss es deshalb immer noch eine Bushaltestelle namens Nazihäusle geben? Schließlich sind bloß einer verschwindend geringen Anzahl von Menschen die Feinheiten des Alemannischen vertraut, und allen anderen käme bei »Nazi« niemals ein Ignatius in den Sinn. Daher kann auch die beste namenskundliche Erklärung eines nicht verhindern: dass diese Nazis einem selbst die schönste Fingerreise verderben.

patrick kunkel