»Eine letzte Barrikade gegen die Politik der Abrissbirne«

Klaus Lederer

In Berlin wollen die SPD und sie Linkspartei erneut zusammen regieren, die Koalitionsverhandlungen sind abgeschlossen. Die Linkspartei erhielt die Ressorts »Wirtschaft, Technologie und Frauen«, »Integration, Arbeit und Soziales« sowie »Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz«. Lediglich die Landesparteitage könnten den ausgehandelten Vertrag noch ablehnen.

Klaus Lederer ist seit Ende vorigen Jahres Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der Linkspartei. Der promovierte Jurist arbeitet auch als Anwalt. Mit ihm sprachen Markus Ströhlein und Regina Stötzel.

Ihre Partei ist erneut an der Berliner Regierung beteiligt. Sollen wir gratulieren?

Ich weiß nicht, ob diese Tatsache Anlass für Triumphgeschrei oder Freudengeheul sein sollte. Für mich stellt sich aber keine Prinzipienfrage.

Kann die Linkspartei etwas anderes sein als der zahme Koalitionspartner, der die Vorschläge der SPD abnickt?

Für uns stand fest, dass wir nicht unbedingt in die Regierung gehen mussten. Wir hatten jedoch in den Sondierungen politische Korridore ausgelotet, die erneute Verhandlungen sinn­voll erscheinen ließen. Es ging uns um die Mög­lichkeiten, einen Sektor für die öffentlich geförderte Beschäftigung zu schaffen, Modellprojekte für die Gemeinschaftsschule einzurichten und die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge auszuschließen. Des Weiteren war uns die Fra­ge wichtig, wie man die Mittel im Kampf gegen den Rechtsextremismus aufstockt und bündelt. Bei diesen Themen haben wir uns an­genähert. Ein Dissens hat sich in der Frage der Studiengebühren abgezeichnet, die wir grundsätzlich ablehnen.

Nun muss der Landesparteitag entscheiden, ob wir auf der Grundlage des neuen Koalitions­vertrags in die Regierung gehen sollen oder nicht.

Klaus Wowereit hat nach dem Urteil des Bun­desgerichtshofs in Karlsruhe gesagt, man könne über den künftigen Kurs »frei entschei­den«. Wo liegen die Freiheiten der Berliner Regierung und die der Linkspartei?

Natürlich sind wir nicht völlig frei. Wir können auch jetzt nicht mit Geld um uns werfen. Das Bundesverfassungsgericht hat aber Entschuldungshilfen abgelehnt, so dass wir insoweit keinen Vorgaben mehr folgen müssen. Der Ball liegt jetzt im politischen Raum. Aus linker Perspektive stellt sich die Frage nach einer höheren Steuerquote und nach einer gerechten Verteilung der Mittel im Bund-Länder-Finanzausgleich. Wir können nun anders diskutieren, wie Geld eingesetzt werden soll und welche sozialen Angebote aufrechterhalten werden sollen. So ermöglichen wir beispiels­weise sozial schwachen Menschen, mobil zu sein. Wir sind eine letzte Barrikade gegen die Politik der Abrissbirne, die als Reflex auf das Urteil in Karlsruhe von allen anderen Kräften im Abgeordnetenhaus ge­for­dert wird. Auf Bundesebene können wir uns ge­gen die Reform der Unternehmens- und Körperschaftssteuer stellen.

Ihre Partei will den öffentlichen Beschäf­ti­­gungssektor fördern. Hier sollen 2 500 nach Tarif entlohnte Stellen geschaffen wer­den. Bisher wurden aber bereits 30 000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen und 30 000 Ein-Euro-Jobs eingerichtet.

Wir sprechen hier über drei verschiedene Dinge. Zum einen geht es um den öffentli­chen Dienst. Hier werden keine Leute ent­lassen, nur werden nicht alle Stellen, die durch ein altersbedingtes Ausscheiden frei werden, wieder neu besetzt. Zweitens geht es um die Ein-Euro-Jobs, für die wir die Verantwortung nicht übernehmen. Wir haben Hartz IV abgelehnt. Und über die Einrichtung dieser Jobs entscheidet die Agentur für Arbeit, nicht der Senat.

Drittens muss man sich fragen, welche An­gebote man den Erwerbslosen machen kann. Mit dem Modellpro­jekt ÖBS gehen wir einen neuen Weg. Er ist bundesrechtlich noch nicht möglich und muss erst durchgekämpft werden. Wir wollen tariflich bezahlte Beschäftigungs­ver­hältnisse in den Bereichen schaffen, die zur­zeit weder staatlich noch privat abgedeckt werden.

Ihre Partei spricht sich wie die Gewerkschaften für Mindestlöhne aus – ein Ziel, das ohnehin schwer erreichbar scheint. In Berlin haben Sie der Abschaffung der Ladenschlusszeiten gegen den Willen der Gewerkschaften zugestimmt. Passt das zusammen?

Wenn man eine Forderung der Gewerk­schaften für richtig hält, muss man nicht jede andere befürworten. Wir teilen die Forderung nach einem Mindestlohn und viele weitere. Was die La­denschluss­zeiten angeht: Wir behaupten nicht, dass die Umsätze nach der Frei­gabe der Öffnungszeiten in die Höhe schnellen werden. Aber wir befürchten auch nicht, dass die Beschäftigten zum Dauer­einsatz herangezogen werden. Es gibt jetzt einen größeren Freiraum, die Angestellten einzusetzen. Wir haben aber versucht, einige Hürden aufrechtzuerhalten. Das betrifft vor allem die Sonn­tagsarbeit. Man sollte diese Neuerung also weder feiern noch verteufeln.

In Ihrem Wahlprogramm ist die Rede von Berlin als Stadt der Kultur. Zukünf­tig soll die Kultur dem Verantwortungs­bereich des Regierenden Bürgermeisters untergeordnet sein.

Bei den Verhandlungen wurde durchgesetzt, dass der Kulturetat nicht abgesenkt wird. Das war nach dem Karlsruher Urteil alles andere als selbstverständlich. Das Aushandeln der Ressorts ist eine andere Sache. Wir wollten wieder drei Ressorts, im alten Zuschnitt, aber wir konnten uns bei den Verhand­lungen nicht hundertprozentig durchsetzen. Dass wir Kultur und Wissenschaft verloren haben, tut weh. In diesen Bereichen gibt es viele Kern­themen, die uns politisch wichtig sind und um die es sich mit oder ohne Ressort zu kämpfen lohnt. Da werden wir nicht nachlassen.

Einerseits sagt Ihre Partei, sie wolle so­ziale Standards aufrechterhalten, ande­rerseits heißt es, alle Berliner müssten Opfer bringen. So soll etwa die Grund­steuer erhöht werden, die auch alle Mieter betrifft. Blindengeld und Lehrmittelfreiheit sind bereits abgeschafft. Es kommt einem so vor, als werde an den Stellen gestrichen, wo nicht so genau hingesehen wird.

Man muss die Situation vor und nach dem Karlsruher Urteil unterschei­den. Um in Karlsruhe eine Chance zu haben, mussten wir uns dem Vergleich mit anderen Bundesländern stellen. Wir haben versucht, dies nicht zur Grundlogik der letzten Koalition zu machen, konnten uns davon aber auch nicht ganz befreien. Das Blindengeld wurde nicht abgeschafft, es wurde nur auf das Niveau anderer Länder abgesenkt. Wir haben festgeschrieben, dass es mit uns eine Absenkung des Landespflegegeldes nicht geben wird. Die Lehrmittelfreiheit wurde zwar in der vorigen Legislaturperiode eingeschränkt, aber für Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV eben nicht abgeschafft.

Die Grundsteuer ist in der Tat problematisch. Es gibt nur drei Steuerarten, bei denen wir auf Landesebene Gestaltungsspielraum haben. Mit einer Erhöhung der Grunderwerbssteuer haben wir kein Problem. Bei Gewerbe- und Grundsteuer mussten wir abwägen. Großkonzerne, wie man annehmen könnte, trifft die Gewerbesteuer in Berlin kaum noch. Eher Kleine und Mittelständler. Die Grund­steuer trifft zunächst die Grundstückseigentümer, die sie in der Regel verkraften. Für die Mieterinnen und Mieter ist die Steuer eine Belastung, aber in einem Rahmen, den wir für politisch vertretbar halten.

Die Gewerbesteuer wurde nicht erhöht, weil es nicht genügend Unternehmen gibt, die betroffen gewesen wären?

Nein. Die Gewerbesteuer wurde abgelehnt, weil sich Berlin in einem Umbruch befindet und die Gewer­besteuer im Umland jetzt schon niedriger ist. Weil Brandenburg zusätzlich EU-Mittel erhält, gibt es ein Fördergefälle zwischen Berlin und Brandenburg. Wenn wir die Klein- und mittelständischen Un­ternehmen in Berlin halten wollen, dann können wir die Gewerbesteuer nicht anfassen.