»Wir heißen die Grünen willkommen«

Julian Bank

In der vorigen Woche erreichte der zehnte Castor-Transport nach 58stündiger Fahrt das Zwischenlager in Gorleben. Wie jedes Jahr demonstrierten tausende Atomkraftgegnerinnen und -gegner gegen den Transport. Es kam zu Demonstrationen, Spaßaktionen und auch zu Sitzblockaden. Mehr als 16 000 Polizisten wurden eingesetzt.

Julian Bank ist Sprecher der Initiative »X-tausendmal quer«, die sich alljährlich den Transporten entgegenstellt. Mit ihm sprach Stefan Wirner.

Wie bewertet »X-tausendmal quer« die jüngsten Proteste?

Aus unserer Sicht waren sie durchaus ein Erfolg. Es hat eine gemeinsame Blockade der Gruppen »Widersetzen« und »X-tausendmal quer« mit rund 1 000 Menschen am Verladekran gegeben. Wir haben die Nord- und die Südstrecke zum Zwischenlager blockiert und verharrten dort 17 Stunden. Zusätzlich gab es zahlreiche andere, vielfältige Aktionen gegen den Transport, und das alles hat gezeigt, dass das Thema Atomkraft immer noch und gerade jetzt wieder viele Menschen bewegt. Auch dazu, auf die Straße zu gehen und zu protestieren.

Laufen sich die Proteste nicht auch tot? Von 140 Containern, die eines Tages im Zwischenlager stehen sollen, wurden 80 inzwischen eingelagert.

Es gibt nach wie vor viele Menschen, die ins Wendland kommen. Es geht nicht nur um die konkrete Frage, ob Gorleben zum End­lager wird oder nicht. Gorleben ist die Achillesferse der Nutzung von Atomkraft in Deutschland. Die Proteste setzen ein klares Zeichen, dass die Atomkraft keine Perspek­tive haben darf.

Die Bewegung hat anfangs gesagt, sie wolle die Transporte verhindern. Das hat nicht funktioniert. Dann hat sie gesagt, der Preis solle in die Höhe getrieben werden. Auch das hat nicht geklappt, weil ein Transport mittlerweile mehrere Container mit sich bringt. Müsste man nicht über die Strategie nachdenken?

Proteste sind immer vielfältig. Je vielfältiger sie sind, desto besser ist es. Der jährliche Castor-Transport ist sicherlich immer ein Höhepunkt für die Anti-Atom-Bewegung, welcher nach wie vor den politischen Preis für die Nutzung von Atomkraft entscheidend erhöht. Als neue Strategie kommt aber zum Beispiel die Kampagne »Atomausstieg selber machen« hinzu. Es geht darum, dass der einzelne den Ausstieg aus der Atom­energie befördern kann, wenn er seinen Stromanbieter wechselt. Wir sind überzeugt, dass dies ein weiteres starkes Instrument im Kampf gegen die Atomenergie ist.

Solche Boykottaktionen zeigen doch meistens eher die Schwäche der Bewegung an. Wenn die Proteste auf der Straße nichts fruchten, werden Boykotte erwogen, die dann im Sande verlaufen.

Nein, ganz im Gegenteil. Die Proteste auf der Straße gehen weiter, und es kommen neue Formen hinzu. Es geht nicht nur um die Macht der Konsumentinnen und Kon­sumenten, die dort zutage tritt, sondern es handelt sich auch um ein politisches Zeichen, weil die Kampagne von vielen Organisationen getragen wird. Das entfaltet eine völlig neue Dynamik.

Außerdem ist das Thema Atomkraft aktueller denn je. Selbst der Atomkonsens, welcher in unseren Augen nie der Ausstieg aus der Atomenergie war, als welcher er gefeiert wurde, wird nun von den Stromkonzernen aufgekündigt. Und das ist für viele Menschen ein Anlass, jetzt wieder auf die Straße zu gehen, den Anbieter zu wechseln oder andere Zeichen zu setzen.

Nun hat ja ein Vertreter dieses Atomkonsenses, der grüne Politiker Reinhard Bütikofer, mit gegen den Castor-Transport demonstriert. Wie bewertet die Bewegung diese Teilnahme?

Die Anti-Atom-Bewegung hat sicher ein ambivalentes Verhältnis zu den Grünen. Im Jahr 2001, als sie an der Regierung waren, haben sie uns abgeraten, gegen den Castor zu demonstrieren. Die Grünen aber haben es nicht geschafft, das Endlagerprojekt Gorleben zu kippen. Nach sieben Jahren an der Regierung haben sie mit ihrem Atomausstieg, der in unseren Augen ein Etikettenschwindel war und ist, auch den Atomausstieg nicht hinbekommen. Selbst heute haben die Grünen eine merkwürdige Strategie. Sie wollen Gorleben, obwohl es kein geeigneter Standort ist, nicht als Endlager ausschließen.

Und trotzdem freuen wir uns, wenn grüne Politiker wie Bütikofer erkennen, dass der Druck für einen wirklichen Atomausstieg letztendlich von der Straße kommen muss. Wir wollen uns natürlich nicht vereinnahmen lassen, aber wir heißen die Grünen ebenso wie auch alle anderen Bürgerinnen und Bürger willkommen, wenn sie sich unserem gewaltfreien Protest auf der Straße anschließen wollen.

Aber ist die Teilnahme von Bütikofer nicht der nächste Etikettenschwindel? Ist es nicht völlig durchschaubar, dass die Grünen, weil sie nicht mehr an der Regierung sind, zwischendurch mal wieder ihr »außerparlamentarisches Standbein« schwingen wollen? Müsste man nicht eher sagen: Bütikofer, bleib mal schön zuhause! Du hast den Atomkonsens erschwindelt und willst dich jetzt wieder an die Bewegung dranhängen!

Deswegen sage ich ja, dass es ein ambivalentes Verhältnis ist. Wir werden die Grünen sicher nicht ohne Widerstreben in die Bewegung aufnehmen. Aber nicht wir hängen uns an die Grünen dran, sondern sie kommen zurück zur Anti-Atom-Bewegung. Und diesen Schritt begrüßen wir durchaus.

Ist das wirklich glaubwürdig, dass die Grünen zurückkommen, wenn man gleichzeitig hört, dass sie landauf, landab über schwarz-grüne Bündnisse debattieren, sie in vielen Städten und Gemeinden längst eingehen und nichts anderes im Sinn haben, als möglichst bald wieder zu regieren?

Reinhard Bütikofer war ja auch nicht die ganze Nacht unter den Protestierenden. Er hat sich da hingestellt, ist ein paar Stunden geblieben, aber vor der Räumung wieder verschwunden. Das zeigt natürlich, dass es sich in gewisser Weise um eine Show handelt. Aber dennoch sind es viele Menschen, die die Grünen wählen und denen das Thema Atomkraft wirklich am Herzen liegt. Diese Menschen möchten wir willkommen heißen. Und insofern heißen wir auch Reinhard Bütikofer auf der Straße, auf dem Stroh willkommen.

Die Bundesregierung streitet darüber, ob Gorleben ein Endlager werden soll. Die CDU will das, während Bundesumweltminister Sigmar Gabriel von der SPD die Suche nach einem alternativen Standort fordert, die Erkundungen im Salzstock aber fortsetzen will. Was sagen Sie zu diesen unterschiedlichen Meinungen in der Regierung?

Wir kritisieren Gabriel, denn es ist völlig klar, dass Gorleben kein sicheres Endlager sein kann. Es gibt dieses Beispiel: Wenn man mit drei kaputten Autos zum Tüv fährt, kann man nicht erwarten, dass man mit einem weiterfahren darf, nur weil es am wenigsten kaputt ist. Gorleben kann keine Option sein. Zunächst gehört ohnehin die Produktion weiteren Atommülls eingestellt, bevor über die Frage eines Endlagers gesprochen wird.

Es ist ja immer wieder die Rede von der »Renaissance der Atomenergie«. Die russische Gazprom etwa plant, 40 neue Atomkraftwerke zu bauen. Wie kann man dem begegnen?

Eine Internationalisierung der Bewegung ist besonders wichtig. Wir haben nächstes Jahr den G 8-Gipfel in Heiligendamm. Da will die Anti-Atom-Bewegung mit auf der Straße sein, weil die G8 ein guter Adressat für dieses Thema sind. Denn eine zukunftsfähige Energiepolitik ist jenseits der Atomenergie und jenseits fossiler Energieträger zu suchen.