Nicht ganz normal

Auch in Rumänien gibt es neuerdings eine Antifa. Sie hat viel zu tun. Ost-Erweiterung I. Erster Teil einer Serie über die Antifa in Osteuropa. von wasja budei

Schwarz-rote Fahnen, bunte Haare und vermummte Gesichter auf den Boulevards von Bukarest: Es gab etwas zu sehen in der Rushhour des 10. November. In der rumänischen Hauptstadt versammelten sich an diesem Tag etwa 250 Menschen, um für Solidarität und gegen soziale, ethnische und sexuelle Diskriminierung zu demonstrieren. Umringt von der Polizei und mehreren Fernsehteams, sorgten die vorwiegend jugendlichen Demonstranten mit Slogans wie »Alle sind verschieden – alle sind gleich« für Aufmerksamkeit. Auf ihren Flugblättern wandten sie sich gegen die Ausgrenzung von Minderheiten, gegen gesellschaftliche Hierarchien und autoritäre Umgangsweisen. Die Passanten reagierten zumeist reserviert, gelegentlich aber auch neugierig und gesprächsbereit.

Die Demonstration fand statt anlässlich eines antifaschistischen Aktionstags am 9. November. Die Veranstalter, autonom-libertäre und sozial engagierte Gruppen, verbanden das Gedenken an die Opfer des Holocaust mit dem Protest gegen rassistische und homophobe Zustände in der rumänischen Gesellschaft. Erst seit dem Jahr 2004 erkennt die Regierung Rumäniens die staatliche Verantwortung für den Mord an mehreren 100 000 Juden und Roma zwischen 1941 und 1944 an.

Vor dem zukünftigen Holocaust-Mahnmal, dessen Grundstein am 9. Oktober dieses Jahres gelegt wurde, plädierte Razvan Martin von der Agentur kritischer Pressebeobachtung für eine öffentliche Auseinandersetzung mit dieser Geschichte und forderte für die Roma den Zugang zu Bildung und soziale Standards. Am Abend nach der Demonstration wurden Filme über die Deportation der Roma nach Transnistrien während des Faschismus gezeigt, über die Gayparades 2005 und 2006 und die Ressentiments in der rumänischen Bevölkerung gegen die ungarische Minderheit. Eine Party mit Konzert beendete den Aktionstag.

Der Begriff »Antifaschismus« stellt in Rumänien immer noch ein Tabu dar. Im Staatssozialismus unter Nicolae Ceausescu wurde er politisch instrumentalisiert, heute wird er mit der »Expansion des Sowjetkommunismus« assoziiert, der den nationalen Interessen Rumäniens geschadet habe. Regimekritiker wurden unter Ceausescu als »Faschisten« diffamiert, und selbst Ion Iliescu, der erste Präsident des demokratischen Rumänien, bezeichnete protestierende Studenten und Intellektuelle während des Wahlkampfs im Jahr 1990 als »Faschisten«.

Vor der Demonstration versandten die Veranstalter ein Manifest mit dem Titel: »Warum eine antifaschistische Aktion?« Darin wurde dargelegt, wie die Rhetorik des rumänischen Faschismus von 1940 bis 1944 in der heutigen Gesellschaft weiterwirkt. Namhafte Historiker und Politiker stellen die faschistische Ära nach wie vor als nationale Blüte Großrumäniens dar.

Die rumänische Antifa-Bewegung gehört zur anarchistisch-libertären Subkultur. Ihren Ursprung hatte sie in der Punkszene Craiovas in den neunziger Jahren, seit einiger Zeit sind Timisoara und Bukarest die Zentren. In Iasi, an der Grenze zu Moldawien, soll im kommenden Jahr das nächste »Ladyfest« stattfinden.

Die Notwendigkeit der antifaschistischen Arbeit wurde bereits bei den Vorbereitungen deutlich: Die für den Druck der Plakate und Flyer engagierte Firma verweigerte zunächst den Auftrag mit der Begründung, keine Homosexuellen unterstützen zu wollen. Der Generalsekretär der Bukarester Stadtverwaltung, Dimitru Stanescu, äußerte bei der Anhörung zur Genehmigung der Demonstration im Kreise von Polizeidirektoren seine Zweifel, ob ein Protest gegen heutige Diskriminierung rechtens sei. Er forderte vor der Demonstration eine genaue Auflistung der Parolen auf den Transparenten und der Sprechchöre.

Hooligans und Anhänger der neofaschistischen »Noua Dreapta« (Neue Rechte) kündigten schließlich an, die Demonstration angreifen zu wollen. Bereits im Juni hatte die extrem nationalistische Organisation gemeinsam mit militanten Fußballfans die zweite Gayparade in Bukarest angegriffen. Nur ein rabiater Polizeieinsatz stoppte die Angreifer. Vorausgegangen war die mit Unterstützung der Orthodoxen Kirche organisierte Kampagne »Gegen Homosexualität – für Normalität«. 500 Menschen zogen mit Ikonen und Keltenkreuzen durch Bukarest.

Das Motto des Aktionstags der Antifa, »Normalität? – Nein, danke!«, bezog sich auf diese Ereignisse. »Mit diesem Motto wollten wir uns eindeutig gegen ein Konzept stellen, das Menschen in Kategorien wie ›normal‹ und ›anormal‹ zwingt. Diese Kategorien sind nicht nur in neonazistischen oder rassistischen Ideologien zu finden, sie sind Teil unserer Gesellschaft und Teil der Moralvorstellungen der Orthodoxen Kirche«, sagte eine der Organisatorinnen.

Die überraschend hohe Teilnehmerzahl von 250 Menschen minderte schließlich die Furcht vor Übergriffen. Die Polizei stockte die Anzahl ihrer Beamten auf und musste die Demonstration entgegen den Auflagen teilweise vom Bürgersteig auf die Straße verlagern. Polizisten in den Nebenstraßen hinderten 50 rechte Hooligans daran, an die Demonstration heranzukommen. Dennoch gelang es diesen, an einer U-Bahn-Station drei Antifas anzugreifen.

Trotz der Unterstützung durch Roma-Organisationen und die Jüdische Gemeinde, freie Mediengruppen und mehrere Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Rechte von Flüchtlingen, Schwulen und Lesben oder Menschen mit Behinderung einsetzen, machten junge Menschen, Anarchisten, Punks und Alternative den Großteil der Demonstranten aus. Die von Diskriminierung direkt Betroffenen waren nur vereinzelt vertreten. Ihre Skepsis gegenüber öffentlichen Protesten zu überwinden, wird die größte Herausforderung für die nächste Aktion sein.

Entsprechende Kontakte konnten bereits wenige Tage später bei Protesten gegen die Abschaltung illegal gezapften Stroms in einem der ärmsten Roma-Viertel in Bukarest geknüpft werden. Am 13. und 14. November verweigerten die Bewohner der Polizei und der Feuerwehr den Zugang zu ihren Häusern, es kam zu Ausschreitungen.

Die Lösung des Konflikts war kurios: Gigi Becali, ein Rechtspopulist, der bekannt ist für seine rassistischen Äußerungen, versprach, die 400 000 Euro Schulden aus Stromrechnungen für die Roma-Familien zu bezahlen. Der Millionär entschärfte somit den Druck auf die Stadtverwaltung und erkaufte sich, wie bereits während den Flutkatastrophen im Jahr 2005, Beliebtheit und Wählerstimmen für seine Partei der Neuen Generation.