Einsame Maulwürfe

Die tschechische Antifa ist zerstritten, und in der Öffentlichkeit ist sie nicht gut angesehen. Zweiter Teil der Serie über die Antifa in Osteuropa, Osterweiterung II. von daniela honigmann, prag

Im Café »Krtkovo kolona« (»Maulwurfkolonne«) im Prager Stadtteil Bubenec ist es ruhig. Die zwei Leute an der Theke witzeln mit dem Barmann, an einem der Tische sitzen drei Gäste. »Heute ist es sogar relativ voll hier«, stellt der 24jährige Michal fest, denn an manchen Abenden findet niemand den Weg ins Café. »Mit der antiautoritären Linken geht es abwärts«, klagt der zweite Michal, der 26 Jahre alt ist, »und vor allem stoßen kaum noch neue, junge Leute zu uns.« Die Prager Linke hat ein Nachwuchsproblem.

Und das hat seine Gründe. Die Szene ist zersplittert und damit wenig attraktiv, zerfleischen sich die einzelnen Gruppierungen doch gegenseitig mit Hingabe. Die Anarchisten seien nahezu inaktiv und sowieso nur Alkoholiker, hört man; die Antifa sei eine kickboxende Kampftruppe, die Krieg spiele, und mit den Kommunisten will sowieso keiner zusammenarbeiten, weil ihre Ansichten sich kaum von denen der Faschisten unterschieden.

Von einem geschlossenen Auftreten kann also keine Rede sein. Das macht es Youngstern wie dem 19jährigen Dan von der Kampagne »Love Football, Hate Racism« nicht leicht. »Es gibt zu wenig Leute, die sich für Antifaschismus interessieren. Und es gibt keine enge Zusammenarbeit zwischen antifaschistischen Initiativen«, erzählt er.

Dabei war das ursprünglich die Hauptmotiva­tion für die Gründung der »Ceskoslovenská anarchistická federácia« (Tschechoslowakische anar­chis­tische Föderation, CSAF), der größten linken autonomen Organisation Tschechiens, im Jahre 1995. Inzwischen ist sie eine Art Dachorganisation, unter der sich mehrere kleinere Initiativen sammeln. »Auf dem Land, in den Prager Vororten oder in Mähren läuft die Arbeit der CSAF sehr gut, sind ihre Gruppen viel sichtbarer und stärker als in Prag«, erläutert der 26jährige Michal. »In Brünn zum Beispiel gibt es einen sehr aktiven Zusammenschluss. Von allen Gruppen, die die CSAF hat, ist die Prager die schlechteste.« Tatsächlich ist die Organisation in der Subkultur der Hauptstadt kaum präsent.

Möglicherweise liegt das daran, dass sich neo­nazistische Aktivitäten auf ländliche, vor allem struk­turschwache Gebiete konzentrieren. Gegen jene richten sich die Aktivitäten der tschechischen Antifaschistischen Aktion (Afa), die seit dem Jahr 2003 zur CSAF gehört. 1996, auf dem Höhepunkt der Nazigewalt im Land gegründet, ist ihre Stra­tegie vor allem eine militante. In alljährlich stattfindenden »Sniper Camps« rüstet sie sich mit Selbstverteidigungskursen gegen unabhängige Nazigruppen, die äußerst gefährlich sind. Im August wurde beispielsweise eine Demonstration von 30 Mitgliedern des »Národní odpor«, des rechtsextremen »Nationalen Widerstands«, vor der israelischen Botschaft aufgelöst, weil sie mit Messern, Baseballschlägern und Gaspistolen bewaffnet waren.

Auf Demonstrationen gegen solche Aufmärsche sind Mitglieder der Afa jedoch selten anwesend. Fast nie beteiligen sie sich an größeren Bündnissen, was sie so begründen: »Allgemein ist die linke Szene (zu der wir uns aber nicht zählen) gehemmt. Wir sehen ein Problem in dem Interesse vieler antifaschistisch orientierter Gruppen an der offiziellen Politik und an Kooperationen mit Parteien.« Deshalb nahm die Afa auch nicht Teil an der Kampagne »No Basis«, die sich im Herbst 2006 auf Initiative humanistischer Gruppen gegen die mögliche Einrichtung einer neuen US-Raketenbasis in Tschechien organisiert hatte. Diese Bewegung war mit etwa 40 teilnehmenden Organisationen die seit Jahren größte. Zuletzt kam im Jahr 2000 ein Bündnis, auch unter Teilnahme der Afa, gegen die in Prag stattfindende Tagung des Internationalen Währungsfonds und der Welt­bank zustande.

Doch abgesehen von solchen seltenen über­greifenden Projekten kocht jede Gruppe ihr eigenes Süppchen. »Der größte Spalt in der hiesigen Linken verläuft zwischen Marxisten und Anarchisten«, erläutert Nikola, ein Mitglied von »Revolution«, einer internatio­nalen kommunistischen Jugendorganisation. Ideologische Unterschiede werden gehegt und gepflegt, und das auf Kosten der eigenen Effektivität. »Bei Naziaufmärschen kom­men keine hundert Leute zur Gegendemons­tration, wir sind immer deutlich in der Min­derheit«, berichtet Nikola. Und die Teilneh­mer solcher De­mons­trationen schafften es dann nicht einmal, die vor Nazis wimmelnde Gegend nach Auflösung der Veranstaltung in größeren Gruppen zu verlassen und für sich selbst einen minimalen Schutz zu gewährleisten.

Zu den internen Reibereien kommt das schlechte Image, das die antiautoritäre Linke in der tsche­chischen Gesellschaft hat. Kooperationen, wie sie als »Bündnis gegen Rechts« in Deutschland üblich sind, sind in Tschechien eine Seltenheit. Michal kann das erklären: »Dass die Öffentlichkeit unserer Arbeit ablehnend gegen­übersteht, liegt an dem großen Einfluss der Massenmedien. Demonstrationen gegen Nazis haben einen schlechten Ruf. Es heißt, dass da nur Radikale, Gewaltbereite und Drogenabhängige hingingen. Die normalen Leute wollen damit nichts zu tun haben.«

Dementsprechend standen sich am vorigen 1. Mai nur rund 400 Anarchisten und etwa gleich viele Mitglieder des »Národní odpor« gegenüber. Mitten in der Prager Neustadt nahm die Bevölkerung kaum Notiz von dem Geschehen. »Dass so wenige Gegendemonstranten gekommen sind, ist leider normal in Tschechien«, resümiert Tamara von der CSAF. »Hier besuchen hauptsächlich Anarchisten antifaschistische Demonstrationen. In Deutschland ist das anders, da kommen auch viele Mütter und Väter oder ältere Leute zu solchen Aktionen. Hier nicht.«

Es findet sich folglich kein antifaschistischer Grundkonsens, auch nicht in der Linken selbst. Schlimmer noch, Neonazis werden bisweilen durchaus geduldet. Bei einer Kundgebung von »No Basis« mit rund 200 Teilnehmern in Prag haben sich weder Grüne noch Humanisten oder Kommunisten an der Anwesenheit von fünf jungen Männern mit Seitenscheiteln und Thor-Stei­nar-Jacken gestört. Und wie zur Bestätigung sand­te Redner Petr Uhl, ehemaliger Dissident und heu­te Mitglied der Grünen, eine Gruß­adresse in Rich­tung der Nationalisten: »Ich sehe hier auch Vertreter der Rechten. Das ist gut, denn auch ihre Meinung ist Teil unserer Demokratie.«