Farewell, Fairtrade!

Das Lieblingskind der Anti-Globalisierungsbewegung, der »Faire Handel«, ist zu einer Imagekampagne des Kapitalismus verkommen. von wolfgang johann

Diese Woche wurde den G 8-Führern, Dele­gierten und -Journalisten in Glen­eagles fair gehandelter Tee, Kaffee, Zucker und Bananen serviert und sie erhielten Geschenke aus fair gehandelter Schokolade.« (Die Fairtrade-Stiftung Großbritannien zum G 8-Treffen vom 6. bis 7. Juli 2005 im Gleneagles Hotel in Perthshire, Schottland)

»Durch die Kooperation mit Transfair wird nicht das Unternehmen Lidl als ›fair‹ zertifiziert. (…) Grundsätzlich begrüßt der Weltladen-Dachverband, dass Lidl fair gehandelte Produkte in sein Sortiment aufnehmen will. (…) Eine grundsätzliche Kritik an der Ausweitung des Verkaufs fair gehandelter Produkte auf Discounter zu diesem Zeitpunkt halten wir für nicht gerechtfertigt.« (Erklärung des Weltladen-Dachverbandes vom 30. März 2006)

Zwei Beispiele von vielen, die Auskunft über die sozialen Utopien der zentralen Akteure des Fairen Handels geben. Irgendwie fehlt da nur noch der unvermeidliche Bono von U 2, aber bis zum G 8-Gipfel in Heiligendamm wird er sicherlich noch seinen Platz neben Putin, Blair & Co. finden. Für das Gute auf Erden darf einem kein Weg zu weit sein.

Im »Fairen Handel« werden Produkte wie Kaffee, Tee, Honig, Kunsthandwerk und Textilien vertrieben, die meist in Dritte-Welt-Läden, zum Teil auch in Supermärkten verkauft werden. Das Besondere daran ist, dass sie, von Ausnahmen abgesehen, von Kooperativen in der so genannten Dritten Welt stammen, mit wenig Zwischenhandel vertrieben werden, so dass die Einhaltung sozialer Mindeststandards gewährleistet ist, der Einkaufspreis deutlich über dem Weltmarktpreis liegt, im Voraus bezahlt und ausbeuterische Kinderarbeit ausgeschlossen wird; letztlich geht es um die konkrete Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Produzenten.

Der Faire Handel ist ein Beispiel für ein besseres Auskommen im durchkapitalisierten Weltmarkt. Ein Beispiel für das Überwinden desselben ist er nicht. Die Bewegung entstand in Westeuropa Mitte der siebziger Jahre und propagiert(e) Politik mit dem Einkaufskorb. Verbraucher sollen mit ihrer »bewussten« Kaufentscheidung genossenschaftliche Strukturen in der so genannten Dritten Welt stärken oder aber Firmen mit miesen Arbeitsbedingungen zur Änderung ihres, wie man heute sagt, Code of Conduct zwingen. Wesentliche Akteure sind in der BRD neben der evangelischen und katholischen Kirche die rund 900 »Weltläden«.

Bekannt wurde der Faire Handel durch den legendären »Nicaragua-Kaffee« in den achtziger Jahren. Immer zu hart gebrannt, wofür der qualitativ hervorragende Kaffee nichts konnte, aus Solidarität in den Magen gekippt, getragen von der Hoffnung, dass das kleine Nicaragua dem bösen Uncle Sam die Stirn bieten könne und die soziale Revolution voranschreite, ebenso wie die Emanzipation von den Zumutungen des Weltmarkts. Trotz aller Widrigkeiten gab es beim Nicaragua-Kaffee immerhin einen klaren Bezug zu sozialen Kämpfen, die über den kapitalistischen Zustand hinauswiesen.

Das ist lange her. Ähnlich wie der Faire Handel auf sein kapitalistisches Normalmaß zurechtgeschliffen wurde, so wurden auch den Sandinisten (FSLN) in Nicaragua unter Daniel Ortega einige Flausen wie soziale oder gar Geschlechtergerechtigkeit ausgetrieben. Wer im Mainstream mitmacht, wird finanziell und mit Jobs belohnt und von den Me­dien gelobt. Das gilt für den Fairen Handel wie für Daniel Ortega, der im November 2006 zum zweiten Mal Staatspräsident von Nicaragua wurde. Dieser machte den Kniefall vor dem ultra­konservativen Klerus und stimmte einem Abtreibungsgesetz zu, das Frauen jegliche Rechte nimmt und sie auf Gebärmaschinen reduziert.

»Das Neckarsulmer Lebensmittel-Handelsunternehmen Lidl und Transfair – Verein zur Förderung des Fairen Handels mit der Dritten Welt e.V. – haben sich auf eine Zusammenarbeit beim Verkauf von fair gehandelten Produkten verständigt. Die beiden Partner haben dazu einen entsprechenden Kooperationsvertrag geschlossen.« Mit diesen lapidaren Worten verkündeten Transfair e.V. und Lidl am 30. März des vergangenen Jahres in einer gemeinsamen Erklärung ihre Kooperation. Transfair e.V. ist die zentrale Siegelorganisation des Fairen Handels und überwacht die Einhaltung der Kriterien desselben. Dafür erhält der Verein eine Siegelgebühr.

Transfair & Co. haben mit ihrem Lidl-Deal und für ein bisschen Geld, Anerkennung und Schulterklopfen alle Grundsätze über Bord geworfen. Die Vereinbarung mit dem Billig-Discounter Lidl wurde abgenickt und wird mitgetragen von den 38 Transfair–Mitgliedern, darunter Brot für die Welt, Misereor, der Weltladen-Dachverband, die Verbraucher-Initiative, der BUND, das Forum Eine Welt der SPD, der Bund der Katholischen Jugend, die Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend, die Heinrich-Böll-Stiftung, das DGB-Bildungswerk, die Friedrich-Ebert-Stiftung, terre des hommes. Von den 38 Organisationen, die im Alltag nicht müde werden, ihr Engagement für soziale Gerechtigkeit zu betonen, gehören viele dem so genannten rot-grünen Milieu an. Jede einzelne dieser Organisationen ist mitverantwortlich für diesen Kniefall und das Verscherbeln der eigenen Ethik. Besonders makaber: Während die Gewerkschaft Verdi Lidl zu Recht wegen katastrophaler Arbeitsbedingungen kritisiert, trägt das DGB-Bildungswerk als Transfair-Mitglied den Deal mit. Die klassische sozialdemokratische Doppelzüngigkeit hat es schon immer erlaubt, in einem Satz beispielsweise sowohl entschieden für wie auch grundsätzlich gegen Atomenergie zu sein.

Und noch etwas fällt auf: Der Deal wird von denjenigen mitgetragen, aus deren Reihen viele seit Jahren in Sachen Fairer Handel aus Bundes- und Landeshaushalten umfangreich alimentiert werden. Wie peinlich den Transfair-Mitgliedern dieser Deal im Nachhinein offenbar ist, sieht man daran, dass bis heute niemand auf den Offenen Brief der »Aktion 3. Welt Saar« vom 4. Mai 2006 geantwortet hat, in dem angeregt wird, die sozialen »Standards bei Transfair leicht anzuheben«. Für Lidl ist der Deal ein genialer Imagecoup, gerade nachdem die Kritik an den schlechten Arbeitsbedingungen sowie der Preisdrückerei gegenüber Bauern in der Dritten Welt wie auch (Milch‑)Bauern hierzulande erste Wirkungen zeigte.

Alles in allem ist der Faire Handel keine antikapitalistische Alternative mehr. Er bedeutet jedoch eine konkrete Verbesserung der Lebenssituation der Produzenten, und er kann, die Bezugnahme auf soziale Bewegungen hier wie dort vorausgesetzt, ein Druckmittel sein, um Firmen zur Einhaltung sozialer Mindeststandards wie Gewerkschaftsfreiheit und Ausschluss von ausbeuterischer Kinderarbeit zu zwingen. Wenn man diese Begrenztheit respektiert, hat das Ganze Sinn. Wenn man den Fairen Handel aber, wie viele in der Fairtrade-Bewegung, für eine Antwort auf die berechtigte Lenin’sche Frage »Was tun?« hält, wenn man regelrecht danach giert, mit den Regierungschefs der Welt und Konzernmanagern an einem Tisch fair gehandelten Kaffee zu trinken, und wenn einem selbst die moderate Verdi-Kritik an den Arbeitsbedingungen bei Lidl zu weit geht, dann sollte man sich und seinen Mitmenschen jegliches Nachdenken über eine sozial gerechtere Welt ersparen. Es hat keinen Zweck.

Der Autor ist Mitarbeiter der »Aktion 3. Welt Saar« und arbeitet dort im Dritte-Welt-Laden mit.

www.a3wsaar.de