Aliens essen Familienvater auf

Die Linke hat die Kapitalismuskritik verlernt, behauptet Jürgen Elsässer in seinem Buch »Angriff der Heuschrecken«. Doch viel mehr als Polemik und Populismus hat der Autor auch nicht im Angebot. von bernhard schmid

Ein Manifest für einen linken Populismus möchte Jürgen Elsässer mit seinem neuen Buch vorlegen, und genau das ist ihm mit »Angriff der Heuschrecken« auch gelungen. Verhandelt wird darin die Frage, wie in Zeiten, da das Massenelend auch in die Kernländer des Kapitalismus zurückkehrt, die Linke wieder an die »ganz normalen Leute« oder jedenfalls an die Opfer der Verhältnisse herankommen kann.

Nun wird diese Frage ja nicht erst seit gestern gestellt, sondern hat im Gefolge von 1968 eine Vielzahl unterschiedlicher linker Strömungen mit wechselndem Erfolg umgetrieben. Manche Gruppierungen traten mit Patentrezepten an, andere versuchten es in einem Prozess von Trial and Error. Oft freilich endete die Sache damit, dass die Linken aufhörten, links zu sein. Um »den« Leuten näher zu kommen, wollte man nicht länger mühselig versuchen, linken Ideen in Deutschland etwas Raum zu verschaffen – die Linken wurden vielmehr ihrerseits »deutsch«. Daran, also am Risiko, selbst so zu enden, müssen linke Thesen gemessen werden.

Elsässer meint, Ansätze für eine Politik gefunden zu haben, die die Verhältnisse grundlegend verändern kann. Der zeitgenössische Kapitalismus wandle sich und produziere auch im reichen Deutschland Verwerfungen, an die etwa im Stuttgart der achtziger Jahre so nicht zu denken war. Diese Beobachtung ist grundsätzlich richtig, höchst fragwürdig ist freilich die hemds­ärmelige Analyse, die der Autor damit verknüpft – und als Grundlage seiner Strategie heranzieht.

»Aliens« hätten das Kommando über die Wirtschaft übernommen, schreibt Elsässer unter Bezug auf ein Buch von Christoph Spehr aus dem Jahr 1999 – weshalb »der Kapitalismus seine Produktionsgrundlagen vertilgt und die mensch­liche Arbeitskraft ausspuckt«.

O-Ton Elsässer: »Seit den siebziger Jahren haben Aliens mit der Kolonisation der Erde begonnen. Im Unterschied zu den traditionellen Kapitalisten leben die Außerirdischen nicht von der Abschöpfung des Mehrwerts, sondern von der Zerstörung der Mehrwertproduktion. Heuschreckenschwärme vertilgen Industriekonzerne auf der ganzen Welt, spucken die darin enthaltene menschliche Arbeitskraft aus und stoßen das ausgeweidete Skelett meistbietend ab - das ist die Quelle ihres Profits.

Flankiert wird der ökonomische und militärische Terror von einem Gehirnwäscheprogramm. Sie erzeugen eine Kunstwelt, um die Menschen über ihre wahre Situation hinwegzutäuschen. Die Matrix wirkt mittels Hypnose – das Kaninchen muss auf die Schlange starren und an die Giftzähne glauben. Folglich ist es für Aliens essenziell, die Erdlinge in der Karnickel-Situation zu halten und möglichst jede Form von zwischenmenschlichem Kontakt zu verhindern. Deswegen muss beispielsweise auch das Rauchen verboten werden. Hast du mal Feuer? ist nämlich eine der leichtesten Übungen in Interaktion und selbst von Verklemmten lernbar.«

Mit derart plakativen Formulierungen beschreibt Elsässer die ökonomischen und sozialen Wandlungen, die seit den siebziger Jahren in den kapitalistischen Kernländern vor sich gehen. Akteure sind dabei »die multinationalen Finanzmärkte und die globalen Finanzmärkte« oder auch »die Heuschrecken«, wie Elsässer sie gerne nennt. Sie entzögen dem »ordinären« Kapital, das bis dahin im Ausbeutungsprozess zumindest die Grundlagen der Reproduktion der menschlichen Arbeitskraft gewahrt habe – was freilich auch damals nur in den Metropolen und nur sehr bedingt in der Dritten Welt zutraf –, zunehmend die materiellen Grundlagen.

Elsässer entmaterialisiert dabei die Kapitalismuskritik, er löst den Gegenstand seiner Kritik aus jedem gesellschaftlichen Kontext heraus. Der Angriff der »Aliens« erscheint als das Vordringen einer von außen kommenden zerstörerischen Kraft in ein bis dahin funktionierendes System. Eine solche Kapitalismuskritik ohne Bezüge zum konkreten gesellschaftlichen Kräfteverhältnis wäre Marx, auf den Elsässer sich beruft, sicherlich sehr fremd gewesen. Dabei lässt sich der Umbruch in den Erscheinungsformen des westlichen Kapitalismus, der unter dem Begriff des »Neoliberalismus« zusammengefasst wird, durchaus als Resultat der inneren Widersprüche einer kapitalistischen Weltgesellschaft analysieren.

Die finanziellen Mittel, die beispielsweise in spekulativen Anlagen auf den Finanzmärkten geparkt werden, sind ja zuvor entweder dem Produktionsprozess entnommen worden, weil sich dort (wie quasi überall seit dem Ende der fordistischen Phase ab zirka 1975) die Ausbeutung verschärft und/oder die Produktivität deutlich erhöht hat. Oder aber sie stellen wirklich nur fiktives Kapital dar; aber dieses ist vor periodischen Entwertungen keineswegs sicher, wie das Platzen der New-Economy-Blase vor Augen geführt hat. Damit setzt sich die Materialität der Produktionsverhältnisse gegenüber den virtuellen Spekulationsgeschäften tendenziell wieder durch.

Hinzu kommt, dass die Akteure der Umbrüche hin zu einem neuen (»neoliberalen«) Regulationsmodell, das teilweise die materiellen Grundlage des alten verjubelt, keineswegs außerhalb der »normalen« politischen und ökonomischen Sphäre stehen, wie Elsässer suggeriert. Zum Beispiel bei der Privatisierung öffentlicher Dienste: Beim Börsenverkauf der deutschen Telekom erwarben Millionen deutscher Familienväter (und nicht allein irgendwelche anonymen »Heuschrecken«) Anteile, in der Hoffnung, dass auch für sie etwas dabei abfallen möge. Davon würde Elsässer bei seinem Versuch, die leer ausgegangenen Familienväter gegen »die Heuschrecken« aufzuwiegeln, ganz gern abstrahieren. Er betrachtet die Familienväter geradezu als neues revolutionäres Subjekt und positives Gegenmodell zu den »dauermobilen Singles«, die im Einklang mit den Flexibilitätserfordernissen des Neoliberalismus leben und die »Häuslebauer« auf der Strecke ließen.

Auf der Ebene der politischen und ökonomischen Entscheidungen hat man es ebenfalls mit ganz konkreten Akteuren zu tun. Der »Neoliberalismus« wurde bekanntlich ab 1973 zuerst in Chile nach dem Putsch Pinochets eingeführt, der von den USA tatkräftig unterstützt und von der westdeutschen Regierung unter Willy Brandt mindestens mit wirtschaftlichem Druck auf die Allende-Regierung vorbereitet und politisch begleitet wurde. Dieses südamerikanische Land diente den westlichen Mächten als Laboratorium für die radikale Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen sowie die Umwandlung des Staats durch den Abbau sozialstaatlicher und den Aufbau rein repressiver Funktionen.

In der Folgezeit ließen sich die USA und Großbritannien in der Ära Reagan / Thatcher von den Ergebnissen inspirieren. Aber die weiteren Strukturveränderungen am westlichen Kapitalismus in den Kernländern wurden auch von anderen Akteuren, denen Elsässer bewusst oder unbewusst sehr viel näher steht, betrieben und verwaltet. Beispielsweise wurde das Verscherbeln der französischen Telekom nicht von schwer identifizierbaren »Heuschrecken« beschlossen, sondern von einer sozialdemokratischen Regierung (1997). In ihr saß damals jener Mann, der neben dem Saarländer Oskar Lafontaine Elsässers neuer politischer Held ist, als loyaler Minister: der französische Linksnationalist und seinerzeitige Innenminister Jean-Pierre Chevènement.

Als Gegenmodell zu den Umbrüchen des Kapitalismus, die den Arbeitskräften zunehmend die bisher noch vorhandenen Garantien entziehen, lobt Elsässer, »wie sich progressive Regierungen zwischen Peking, Brasilia und Caracas gegen den Neoliberalismus wehren«. Grundlage der kapitalistischen Reichtumsschöpfung sei in diesen Ländern immer noch die reale Produktion, die immerhin noch etwas für die Reproduktion der Arbeitskräfte abwerfe. Diese Nationalökonomien besäßen mithin ein »Störpotenzial für die Welteroberungsstrategie der Heuschrecken«.

Was Elsässer als einen Gegensatz beschreibt, ist in Wirklichkeit nur die Kehrseite der Medaille: In früheren Jahrzehnten waren viele, hohen Mehrwert schaffende Tätigkeiten in den Kernländern des Kapitalismus – in Europa und Nordamerika – konzentriert, und die meisten anderen Länder waren auf eine Rolle als Rohstofflieferanten reduziert. Heute dagegen stoßen die höchst entwickelten Länder eine Reihe von Aktivitäten ab, um nur noch Kernfunktionen auf ihrem Staatsgebiet zu behalten. Industrielle Fertigungstätigkeiten werden im Weltmaßstab in der VR China, in geringerem Maße auch in Indien konzentriert. Welche Auswirkungen dies auf die internationale kapitalistische Ökonomie haben wird und inwiefern es – auch politische – Kräfteverschiebungen bewirkt, bleibt abzuwarten und näher zu analysieren. In jedem Falle handelt es sich nicht um eine reale Gegenbewegung zur Abwanderung vieler arbeitskräfteintensiver Industrien aus den früheren Metropolen, sondern um denselben Prozess. Die multinationalen Konzerne, von Elsässer unter die »Heuschrecken« gerechnet, tragen einen maßgeblichen Anteil daran. Als Grundlage einer Gegenstrategie, die sich, wie Elsässer meint, auf »das Proletariat und die bedrohten Staaten« werde stützen können, taugt die Entwicklung wohl nicht.

Ein wichtiger Gradmesser für Linke, gerade für ihren Universalismus, war und ist ihre Haltung zur Einwanderung. Selbstverständlich wolle er »für politisch Verfolgte« das Asylrecht garantiert wissen, schreibt Elsässer. Verschweigend, dass auch dieses ehemals vom Grundgesetz garantierte Menschenrecht seit 1993 sehr stark eingeschränkt worden ist und dass der von ihm in zahllosen Passagen seines Buches favorisierte Oskar Lafontaine dabei eine Vorreiterrolle spielte: Bereits im August 1990 forderte er als einer der ersten Sozialdemokraten eine Änderung von Artikel 16 des Grundgesetzes. Zwar will Elsässer die Rechte der hier lebenden Einwanderer nicht antasten, aber er plädiert dafür, dass nun endlich Schluss sein müsse mit neuer Zuwanderung, da diese vom Kapital zur Lohndrückerei organisiert werde.

Der Streit darüber, ob Migration nur ein Mittel des Kapitals sei, um die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt zu verschlechtern, oder aber notwendig aus der wachsenden weltweiten Ungleichheit resultiere und mit der Forderung nach Rechts- und Lohngleichheit am besten zu beantworten sei, ist so alt wie die Arbeiterbewegung selbst. Hier bietet Elsässer, unter Berufung auf Oskar Lafontaine, Altbekanntes und sehr wenig Progressives im Gewand der Originalität.

Jürgen Elsässer: Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und globaler Krieg. Pahl-Rugenstein, Bonn 2007, 220 S., 17,90 Euro