»Die CSU war eine verwöhnte Partei«

Ludwig Stiegler

Das Chaos in der CSU hält an. Noch ist völlig unklar, wann Edmund Stoiber seine Ämter niederlegt und wer sein Nachfolger im Amt des CSU-Vorsitzenden werden soll. Dennoch scheinen die bayerischen Sozialdemokraten nicht davon profitieren zu können.

Ludwig Stiegler ist seit dem Jahr 2004 Landesvorsitzender der bayerischen SPD. Seit 1999 gehört er dem Bundesvorstand und seit 2005 dem Präsidium der SPD an. Im Jahr 2002 war er vorübergehend Fraktionsvorsitzender der Partei im Bundestag. Mit ihm sprach Stefan Wirner.

Was ist der eigentliche Grund für Stoibers Rücktritt auf Raten?

Der eigentliche Grund liegt darin, dass die CSU die Reformpolitik Stoibers nicht unterstützen wollte. Die Partei war darin verwöhnt, immer nur gute Nachrichten und Schecks unter die Bürger zu verteilen. Ab dem Jahr 2003 musste sie aber auch schwierige Entscheidungen vertreten. Das hat die Partei sehr verstört, und deshalb ist sie von Stoiber abgefallen.

Alles andere, die Frau Pauli, die Krise und was da dazugehört, das waren nur Anlässe und nicht die Ursache dieses innerparteilichen Krieges. Dieser ist ausgebrochen, weil Bürgermeister aufbegehrt haben, ich erinnere nur an die Verwaltungsreform, an die Polizeireform, an das Büchergeld und viele andere Dinge.

Halten Sie diese Reformen für nötig?

Wir Sozialdemokraten haben sie nicht in diesem Umfang für nötig gehalten und uns dagegen gewandt. Aber darum geht es ja jetzt nicht. Es geht darum, dass die CSU zwar in der Landtagsfraktion die Stoiberschen Reformen einmütig beschlossen hat, sie aber draußen im Lande nicht vertreten wollte. Das ist die Verlogenheit dieser Partei.

Die CSU ist in einer schweren Krise, aber die bayerische SPD kann nicht davon profitieren. Woran liegt das?

Das stimmt nicht. Wir waren in den Umfragen im Niedergang und sind jetzt im Aufschwung. Es gibt Umfragen, die uns bei 27 Prozent sehen, da ist etwas in Bewegung. Einen schnellen Stimmungsumschwung kann man nach 50 Jahren CSU-Herrschaft nicht erwarten. Das dauert. Aber je länger diese Krise der CSU anhält, desto mehr lockert sich das Meinungsbild. Wir werden davon profitieren. Die CSU wird kaum mehr zu der Geschlossenheit zurückfinden, die die Voraussetzung für absolute Mehrheiten war.

Müsste die SPD nicht mehr Druck machen? Sie haben zwar vorübergehend Neuwahlen gefordert, aber davon hört man inzwischen nichts mehr. Ein Volksbegehren streben Sie nicht mehr an.

Unser Fraktionsvorsitzender im Landtag, Franz Maget, hat dies abgesagt, nachdem Stoiber seinen Rücktritt erklärt hat und die Grünen ausgestiegen sind. Wir waren uns immer darüber einig, dass wir einen Volksentscheid nur gewinnen können, wenn SPD, Grüne, FDP und eventuell auch die Freien Wähler zusammenwirken. Dann hätten wir die notwendige Power gehabt. Aber die Grünen und die FDP sind von der Fahne gegangen.

Man gewinnt oftmals den Eindruck, die bayerische SPD habe sich mit ihrer Rolle als zweite Kraft hinter der CSU abgefunden.

Abgefunden nie, aber wir haben enorme Probleme, weil wir eine relativ hoch betagte Partei sind mit einem Durchschnittsalter von 58. In vielen Ortschaften sind wir noch nicht oder nicht mehr mit aktiven Ortsvereinen vertreten. Die bayerische SPD muss viele strukturelle Probleme lösen. Momentan sind wir einfach nicht stark genug verankert. Es hat keinen Sinn, sich da etwas vorzumachen.

Viele Leute außerhalb Bayerns schauen immer recht amüsiert auf den Freistaat. Auch jetzt entsteht wieder der Eindruck, dass die Bayern nur ihren Anführer austauschen, dann kommt der Beckstein, und alle sind wieder zufrieden mit der CSU. Was ist mit den Bayern los?

Nach 50 Jahren Regierungszeit sind Staat und Gesellschaft in Bayern sehr stark mit der CSU verwoben. Sie sehen ja, auch die Verhandlungen über den Parteivorsitzenden der CSU werden nicht etwa in der Parteizentrale geführt, sondern in der Staatskanzlei, hier gibt es eine enge Verflechtung. Hinzu kommt die Verflechtung mit den Wirtschaftsverbänden.

Außerdem gibt es in Bayern keine tradi­tionelle Arbeiterbewegung. Die Masse der Arbeitnehmer in Bayern kommt aus einem landwirtschaftlichen Umfeld und ist nicht in einem großindustriellen Umfeld sozialisiert wie etwa in Nordrhein-Westfalen. Das führt dazu, dass die traditionellen Verhaltensmuster einer ländlich-bäuerlichen Gesellschaft zum Teil noch erhalten sind. Man sieht das gut bei Audi in Ingolstadt. Die Leute sind alle in der IG Metall, aber sie wählen CSU. Das sind die Probleme, mit denen es die bayerische SPD zu tun hat.

Welche Strategie haben Sie dagegen?

Meine Strategie ist ein geduldiger Aufbau in den Ortschaften. Wir werden in Bayern die Machtfrage nur stellen können, wenn wir wirklich in jeder Gemeinde mit einem Ortsverein vertreten sind. Wir brauchen eine tiefere gesellschaftliche Verankerung. Wir haben sie zurzeit nicht.

Die CSU ist in der Krise, aber es scheint sich nicht auf die CDU auszuwirken. Die SPD kann auch auf Bundesebene nicht von dem Wirrwarr in der CSU profitieren.

Viele Ereignisse sind derzeit in den Umfragen noch gar nicht spürbar. Das dauert. Aber wir werden die Auswirkungen in den nächsten Wochen erleben.

Wie zufrieden sind Sie mit der Rolle der SPD in der Großen Koalition?

Ich bin zufrieden. Wir sind der stabile Teil, unsere Minister leisten eine hervorragende Arbeit, und Kurt Beck hat als Parteivorsitzender gezeigt, dass er das Heft in der Hand hat. Wir haben allerdings erhebliche Probleme mit unserem traditionellen Klientel in den Gewerkschaften. Das tut sich nach wie vor schwer mit den nötigen Reformen. Wir erleben ja derzeit wieder eine Kampagne, die uns sehr viel an Zustimmung kostet. Das ist das Drama der SPD.

Welche Kampagne meinen Sie?

Die der IG Metall gegen die Rente mit 67. Die IG Metall plant eine Plakatak­tion, lädt SPDler zu den Nachtschichten ein, da werden Drohkulissen aufgebaut, und das erzeugt bei unseren Mitgliedern erhebliche Irritationen.

Die Reformen gehen vor allem auf Kosten der Lohnabhängigen, während bei der Unternehmenssteuer schon wieder Entlastungen für die Unternehmer geplant sind.

Man muss sehen, dass wir bei der Unternehmenssteuerreform primär keine Steuersenkung wollen, sondern die Steuerbasis halten möchten. Wir sehen ja die Abwanderung, die Erosion der Steuerbasis. Und wenn wir da nicht handeln, werden wir am Ende weniger haben als mit der Reform. Das ist aber vor dem Hintergrund guter Ergebnisse der Unternehmen nicht auf Anhieb einsichtig. Wir haben einen langen Überzeugungsprozess durchzustehen, der uns allen viel Kraft abverlangt.

Herr Stiegler, Sie kommen aus Weiden in der Oberpfalz wie übrigens ich auch. Haben Sie noch ein Wort für den Weidener Oberbürgermeister Hans Schröpf von der CSU übrig, der nach 30 Dienstjahren zum zweiten Mal wegen Betrugs verurteilt wurde und seinen Rücktritt immer noch nicht einreichen will?

Das ist eine Tragödie. Hans Schröpf war in seinen jungen Jahren ein hervorragender Oberbürgermeister. Aber die CSU hat ihn degenerieren lassen. Sie liegen ja immer ihren Spitzenpolitikern zu Füßen und wundern sich dann, wenn die Leute keine Kritik mehr gewöhnt sind. Wir werden in Weiden dieses Jahr sicherlich Neuwahlen erleben.