Mit Stiefeln in SA

Kameradschafter und NPD arbeiten in Sachsen-Anhalt immer enger zusammen. Die Zahl der rechtsextremen Übergriffe steigt. Eine Landesschau von peter sonntag

Wir stehen früher auf.« Mit diesem Slogan wirbt das Land Sachsen-Anhalt für sich. Gemeint sein könnten vor allem die landestypischen Neonazis. Zuletzt warfen am frühen Morgen des 6. Januar mehrere Neonazis in Sangerhausen Molotowcocktails in ein von Asylbewerbern bewohntes Haus, nachdem sie von einer Feier beim bekannten Nazikader Enrico Marx im benachbarten Sotterhausen gekommen waren. Verletzt wurde bei dem Anschlag niemand, weil Bewohner rechtzeitig wach wurden. Die Polizei konnte zwei bekannte Rechte festnehmen, denen nun versuchter Mord und schwere Brandstiftung vorgeworfen wird. Gegen zwei weitere Verdächtige wird ermittelt.

Im vergangenen Jahr hat Sachsen-Anhalt einen Spitzenplatz eingenommen, nicht nur was die Zunahme an rechten Übergriffen angeht. Auch einige der in den Medien am meisten beachteten Aktionen von Neonazis fanden in dem Bundesland statt. Beispielsweise die Verbrennung des Anne-Frank-Tagebuchs während einer »Sonnenwendfeier« in Pretzien und die Misshandlung eines zwölfjährigen Jungen in Pömmelte Anfang Januar 2006. In Parey zwangen Neonazis im Oktober einen 16jährigen Mitschüler, mit einem Schild über den Schulhof zu laufen, auf dem geschrieben stand: »Ich bin im Ort das größte Schwein, ich lass’ mich nur mit Juden ein.« (Jungle World, 28 und 42/06)

Vor kurzem fand erneut einer der größeren Aufmärsche in Magdeburg statt. Alljährlich gedenken dort einige hundert bis tausend Alt- und Neonazis der Bombardierung der Stadt im Januar 1945 (Jungle World 02/2005). In Sachsen-Anhalt wird Neonazis einiges geboten. Der geneigte Bräunling kann sich in freien Kameradschaften engagieren, in der NPD oder in deren Jugendorganisation, den Jungen Nationaldemokraten (JN). Daneben gibt es nach Angaben des Innenministeriums acht Online-Vertriebe und zwei Ladengeschäfte. Bestellen und kaufen kann man dort neben Szeneklamotten auch die CDs von 14 bekannten rechten Bands.

Wer es ganz abstrus mag, wird bei einer der beiden »kommissarischen Reichsregierungen« vorstellig. Die »Exilregierung Deutsches Reich«, der vom Innenministerium rund 100 Personen zugerechnet werden, unterhält sieben »Pass- und Meldestellen« in Sachsen-Anhalt. Dort können »Reise- und Personaldokumente« beantragt werden, und man spricht auch schon mal einen Bußgeldbescheid oder gar ein Todesurteil aus. So krude ein solches Auftreten sei, es handele sich um ideologische Propaganda und sei ernst zu nehmen, sagt Martin Krems, der Sprecher des Innenministeriums von Sachsen-Anhalt. »Die sind organisatorisch stabil, und sie vernetzen sich mit Leuten, die gesellschaftliche Positionen besetzen wollen.« So sei Andreas Kahl, der Landesvorsitzende der NPD, der bei den Bürgermeisterwahlen in Halle im November 1,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, Mitglied der »Exilregierung« gewesen.

Im Oktober hat die Landesregierung ein Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus beschlossen. Dazu gehört ein monatlicher Bericht über die aktuelle Lage. Nach den ersten beiden Berichten, die auch eine detaillierte Analyse der rechten Szene in Sachsen-Anhalt enthalten, stieg die Zahl der rechten Strafaten von Januar bis Oktober 2006 um 21,9 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres. Diese hohe Zahl sei auch auf eine erhöhte Sensibilisierung und Bereitschaft der Bevölkerung, Anzeige zu erstatten, zurückzuführen, heißt es in dem Bericht. Aber eine erhöhte Gewaltbereitschaft bei Rechten sei allerorten, nicht nur in Sachsen-Anhalt, deutlich festzustellen, sagt Krems.

Die Täter von Pömmelte und Parey entstammten nicht der organisierten Neonazi­szene. »Es gibt in Sachsen-Anhalt neben den organisierten Kameradschaften und Parteistrukturen einen großen unorganisierten Bereich.« Als »Verharmlosung« möchte Krems das jedoch nicht verstanden wissen; diese Unorganisierten seien ebenso gewaltbereit und deshalb nicht minder gefährlich. Die Kameradschaften in Sachsen-Anhalt hätten sich in den vergangenen Jahren neu strukturiert, sagt Stephanie Heide vom Arbeitskreis Rechtsextremismus, der unter dem Dach von Miteinander e.V. organisiert ist. Angefangen mit der »Wernigeroder Aktionsfront«, die Ende 2005 den ersten Stützpunkt der JN im Harz eingerichtet hat, seien danach viele Kameradschaften vollständig in die Jugendorganisation eingetreten.

»Ihr Ziel, bis Ende 2006 zehn Stützpunkte aufzubauen, haben sie damit fast erreicht«, sagt Heide, sieben seien es inzwischen geworden. Zwar träten die Kameradschaften noch immer als »Freie Nationalisten« auf, sie seien aber von der Mitgliedschaft her oft deckungsgleich mit der JN. Die Zusammenarbeit von NPD und »Freien« manifestiert sich auch darin, dass Neonazis aus den Kameradschaften Führungspositionen in der Partei einnehmen, wie etwa ein Mitglied im Landesvorstand der NPD, Jens Bauer, der Kontakte zu den »Nationalen Sozialisten Magdeburg« pflegt, oder Michael Schäfer, der von der »Wernigeroder Aktionsfront« zum Bundesvorstand der JN kam. Die NPD in Sachsen-Anhalt gibt sich ehrgeizig und kündigte auf ihrem Landesparteitag an, bei den Kreistagswahlen am 22. April dieses Jahres in sechs von neun Lokalparlamente einziehen zu wollen.

Nach eigenen Angaben hat die Partei in Sachsen-Anhalt 240 Mitglieder in zehn Kreisverbänden. Von der Strategie, die Augen zu verschließen, habe man sich im Land Sachsen-Anhalt verabschiedet, sagt Michael Krems. »Das, was immer von der Bevölkerung gefordert wird, nämlich Zivilcourage, muss auch von der Politik vorgelebt werden.«

Doch es gibt auch Kritik an dem Aktionsprogramm der Landesregierung. Roman Ronneberg, der Geschäftsführer von Miteinander e.V., erzählt, dass es keine Koordination zwischen der Landesregierung und den freien Trägern wie dem Arbeitskreis Rechtsextremismus oder der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt gegeben habe. Zwar würden Referenten zu einzelnen Veranstaltungen eingeladen. »Eine wirkliche Zusammenarbeit mit den freien Trägern auf Augenhöhe ist von der Landesregierung scheinbar nicht gewollt«, meint Ronneberg.