Szenemüll entsorgen

Vieles spricht für eine Teilnahme an den Protesten gegen den G8-Gipfel. Die Linke sollte sie als Tribüne für emanzipatorische Debatten nutzen. von juliane nagel

Bereits seit dem Jahr 2005 widmen sich Globalisierungskritikerinnen und -kritiker dem G 8-Treffen in Deutschland. Sie ziehen übers Land, präsentieren jungen Linken in der Provinz und an den Rändern der Großstädte bunte und bewegte Bilder, die Lust auf Aktion machen und auch Argumentatives enthalten. Tagesordnungen und Jahresplanungen der Linken und der Zivilgesellschaft sind gefüllt – man rüstet sich für das Anti-G 8-Festival. Damit ist keineswegs das offizielle Kulturereignis gemeint, mit dem sich Künstler wie Herbert Grönemeyer singend an die acht Regierungschefs wenden, um eine Geste des Großmuts für die Armen und Ausgebeuteten im globalen Süden zu erbitten. Dass der Nachlass von Schulden in die PR-Strategie der G 8 passt und keine Trendwende für die bis zum Hals in Zahlungsverpflichtungen steckenden Entwicklungsländer darstellt, dürfte an dieser Stelle kein Thema sein.

Man erinnere sich an den Gipfel in Glen­eagles im Jahr 2005, wo mit dem Beschluss, eine Milliarde US-Dollar Zins- und Tilgungszahlungen zu erlassen, lediglich rund zehn Prozent des Entschuldungsbedarfs erreicht wurden, noch dazu nur für ausgewählte Entwicklungsländer. Bono Vox besang diese Augenwischerei Hand in Hand mit Tony Blair.

Gemeint ist an dieser Stelle das linke und zivilgesellschaftliche Spektakel, das mit allerlei bunten Zettelchen, Hochglanzplakaten und Reklame von lokalen und internationalen Bünd­nissen mit zahlreichen Veranstaltungen vorbereitet wird. Großdemonstration, Camp, Alternativgipfel, Blockade, dezentral-militant oder symbolisch-kreativ – das gesamte Repertoire möglicher Aktionsformen wird von der miteinander sich verquickenden radikalen, institutionalisierten und zivilgesellschaftlichen Linken aufgeboten. Als Krönung wird das Land Mecklenburg-Vorpommern aufgefordert, das Recht auf Protest durch die Bereitstellung von geeigneten Räumen und Unterkünften zu gewährleisten. Welch Sternstunde des kooperativen Miteinanders in einer funk­tio­nie­ren­den Demokratie!

Nicht so traumhaft dürfte es den linken Mixed­pickles dann im Juni 2007 ergehen. In diesem Sommermonat zeigt sich das wahre Gesicht der wehrhaften Demokratie. Eines der härtesten Landespolizeigesetze wartet dort auf die Protestwilligen. Es wurde von der Links­partei mitbeschlossen, bevor sie die Regierung im September verlassen musste. Nun darf ihr das Opponieren, das inbrünstige Wettern, vor allem gegen die Kosten des Gipfels, wieder Spaß machen. Die NPD hat offensichtlich ebensolche Freude daran.

Während also Behörden Kameras aufbauen, gesammelte Daten auswerten und Schlagstöcke polieren, rüsten sich zumeist männliche Akteure der radikalen Linken für das »Schlachtfeld«, um endlich mal wieder den authentischen Kampf ums Ganze zu führen. Dies wird mit allerlei Symbolik und Rhetorik garniert, die man schon längst ad acta gelegt zu haben glaubte. Brunftschreie wie »Eingreifen-Umzingeln-Blockieren«, »Fight the Game – Fight the Players«, »We are winning« kommen wie aus Motivationsschulungen entsprungen daher und begleiten den Reflex, ab jetzt alles, jeden Missstand und jede Aktion, inhaltlich auf den Gipfel auszurichten oder andersherum die Kritik am G8-Gipfel auf die Lebensrealität des »normalen Menschen« zu beziehen.

In einer autoritär orientierten Gesellschaft wie hierzulande, wo Kürzungen im sozialen Bereich und Entmündigungen mit wenig wirk­samen Strohfeuern des Widerstands beantwortet wurden und inzwischen einfach nur noch hingenommen werden, wo 14 Prozent der Bevölkerung sagen, dass Juden zu viel Ein­fluss hätten, wo um die 60 Prozent sich durch zu viele in Deutschland lebende Nicht-Deutsche gestört fühlen – in einem solchen Staat auf die revolutionäre und wirksame Schlagkraft der Proteste gegen einen zweitägigen Gipfel zu hoffen, erscheint absurd bis gefährlich.

Den Protestwilligen stehen diejenigen gegenüber, deren Ziel es in den vergangenen Jahren war, sich ihrer linken Identität zu entledigen und alle Kräfte auf die Sezierung der verbliebenen linken Szenen oder Protestbewegungen zu konzentrieren. In antideutschen Diskutierclubs wird der Distinktionsdrang so weit getrieben, dass man sogar polemische Äußerungen vernimmt, die G 8 seien ja eigentlich eine tolle Sache.

Dabei blenden sie aus, dass sich größere Teile der »No-Globals« in Deutsch­land den selbstkritischen Debatten der vergangenen Jahre gewidmet haben. Wird auch nicht konkret über den Nahost-Konflikt oder Waffenlieferungen nach Israel oder Palästina diskutiert, scheint die Zeit der Verkürzungen des globalen kapitalistischen Verhältnisses auf das konkrete Agieren der Köpfe von Staat und Wirtschaft vorbei zu sein. Warum lässt sich dieser Fortschritt nicht verhalten honorieren, anstatt mit langweiligen Spitzfindigkeiten darüber aufzuwarten, dass die G8 vor dem Hintergrund dieser Analyse nicht mehr als ein Zusammentreffen von Charaktermasken seien? Vielleicht lohnt es sich, einfach mal ein bisschen Pragmatismus an den Tag zu legen und zu einigen konkreten Themen zu kommen.

Die G8 werden von den relevanten Aufrufern recht einmütig als ein Schnitt­punkt im globalen Herrschafts­verhält­nis kritisiert. Denn natürlich existiert der Kapitalismus als abstraktes gesellschaftliches Verhältnis nicht einfach so ohne seine Akteure, er wird mit Hilfe von Institutionen, Think Tanks etc. koordiniert und optimiert. Der IWF oder die WTO sind Beispiele für Instrumente der neoliberalen Ausbeutung. Die G8 geraten dabei immer mehr in eine Le­gi­ti­ma­tions­krise. Sie sind längst nicht mehr die »Größten«, also wirtschaftsstärksten Acht der Welt.

Auch der IWF verliert an Macht. Als Kreditgeber für den freien Kapitaltransfer hat er für die Industriestaaten keine wirkliche Relevanz mehr. Das hochverschuldete Argentinien oder asiatische Staaten haben sich aus der Schuldenfalle befreit und ihre eigenen Währungsfonds geschaffen. Und auch um die handelsbezogenen Liberalisierungsprojekte der WTO steht es seit dem Scheitern der Doha-Runde im Jahr 2006 nicht gut. Dort bildete sich ein strategisches Bündnis aus Entwick­lungs- und Schwellenländern gegen die einseitige Definition der Konditionen für Markt­öffnung, Subventionen und Schutzzölle durch die EU und die USA.

Diese Erosions- und De­le­gi­ti­ma­tions­prozes­se entspringen natürlich nicht zuerst einem emanzipatorischen Transformationswillen des Netzwerkes der neu Aufstrebenden, dürfen aber als ein positives Argument genutzt werden. Sie demons­trieren das Schei­tern von neoliberalen Instrumenten wie den Strukturanpassungsmaßnahmen des IWF.

Für die Volkswirtschaften der post-kommunistischen Staaten Mittelosteuropas war der Übernahmeboom durch das westliche Wirtschaftsmodell besonders unangenehm. So hat die unterfinanzierte Erweiterung der EU im Nachbarland Polen die soziale Spaltung eher forciert als verringert. Die inzwischen abgewählte sozialdemokratische Regierung war in diesem Prozess entscheidend. In Polen und weiter östlich und südlich liegenden europäischen Staaten ist eine linke oder gar zivilgesellschaft­liche Gegenmacht bekannterweise marginal. Die Aufrufe zum Protest gegen die G8 sind in den so genannten Transformationsstaaten mit anderen Maßstäben zu messen als in Westeuropa. Die polnischen Globalisierungskritiker, von Anarchisten bis zu arbeiterbewegten Gewerkschaftern, können von den Protesten ganz anders profitieren als übersättigte deutsche Linke.

Dabei tut es Not, dass die letztgenannten ihren engen Horizont erweitern, denn westeuropäische Stereotype reichen nicht aus, um die Realität des Kapitalismus im Osten zu verstehen. Andererseits müssten sich deutsche Linke darauf einlassen, bestimmte Grundlagen der eigenen Debatten einer kontroversen Auseinandersetzung zu unterziehen. Der Bruch mit dem Zwang zur Lohnarbeit oder der differenzierte Blick auf den Nahost-Konflikt, der Israel nicht als Boll­werk der USA im ölreichen Nahen Osten denunziert, sollten trotzdem nicht ausgespart werden, denn die Partner aus Mittelost- und Osteuropa sind keine unkritisierbaren Leute, mit denen man bestimmte Din­ge lieber nicht bespricht. Für den Dialog der europäischen und der internationalen Linken sind die Proteste gegen die G8 der richtige Ort. Ob andererseits die kritische deutsche Linke für eine solche Auseinandersetzung offen ist, ist fraglich.

Derzeit buhlen vor allem die Linkspartei und die Wasg darum, am zentralen Bündnis zur Vorbereitung der Proteste teilzunehmen. Ganz pragmatisch betrachtet ist es für die Bewegung von Vorteil, solche Partner zu haben, die über Finanzen, Kontakte, einen besseren Zugang zur Öffentlichkeit und über bestimmte in einer bürgerlichen Demo­kratie existente parlamentarische Möglichkeiten verfügt. Bei den Protesten in Genua im Jahr 2001 sahen sich die Rifondazione Comunista und schließlich auch die Democratici di Sinistra in der Pflicht, sich über verbale Bekenntnisse hinaus mit den Protestierenden zu solidarisieren.

Es ist keine vergebliche Liebesmüh, linke Parteien über die Finanzierung von Flugblättern oder die Anmeldung von Demonstrationen oder Campingplätzen hinaus auf den Prüfstand zu stellen. Mit der Frage der staatlichen Gewalt und der Reaktion darauf sollten gerade solche institutionalisierten Akteure konfrontiert werden.

Das pragmatische Fazit kann also nur lauten, den G8-Gipfel als eine Tribüne für emanzipatorische Debatten und reflektierte Proteste zu nutzen und den ganzen Szenemüll über Bord zu werfen. Dabei gilt es, Grundlagen kritischer linker Theorie und Praxis in einem diffusen Bündniswirrwarr nicht zu vergessen, Bündnisse als Resonanzboden für eigene Inhalte zu nutzen und einseitige selbstreflexive Spitzfindigkeiten wie auch tosende Revolutionsromantik hinter sich zu lassen.

Die Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse und das Sinnieren über emanzipatorische Alternativen entwickelt und entfaltet sich natürlich auf Grundlage der bestehenden Gesellschaft. Das kann infolge individuell erfahrener Umbruchssituationen oder als Ergebnis von politischer Sozialisation und in politischen Gruppen geschehen. Vielleicht trägt der Protest oder der praktische Widerstand gegen den G8-Gipfel ein wenig dazu bei.

Juliane Nagel ist Mitarbeiterin des der Linkspartei nahe stehenden Internetportals linXXnet.de und des »Leipziger Bündnisses gegen G8«.