Blonde Wiesen

Deutscher Wald, lockige Mädchen und ein SS-Mann, fotografiert von einer amerikanischen Jüdin. Collier Schorr stellt im Badischen Kunstverein Karlsruhe aus. von georg patzer

Ein strahlend blauer Himmel. Der Blick schweift sanft in die Ferne, zum schönen bergverzierten Horizont. Ganz vorne ragt ein kleiner Zaun ins Bild, der dünne Draht ist zwischen Holzpfählchen gespannt, ein paar Blüm­chen schaukeln im sommerlichen Wind. Aber eine gelbe Blume ganz oben ist am Draht festgehakt, wie auf einer Wäscheleine aufgehängt, ein Grashalm mit roter Blüte ist festgezurrt. Ein absurdes Arrange­ment, das die Poesie der unberührten Natur jäh zerstört, den ganzen schönen romantischen Ausblick zunichte macht.

Aber vielleicht ist er das ja schon lange. Die New Yorkerin Collier Schorr (Jahrgang 1963) nähert sich der deutschen Natur auf ihre Weise: drastisch, mit grell ausgeleuchteten Blümchen, die fast aussehen, als seien sie koloriert, am Computer nachbearbeitet. Deutsche Romantik? Blümchenpoesie? C. D. Friedrich-Ausblicke? Die will sie nicht haben. Und verweist damit, mehrfach gebrochen und genau reflektiert, auf einen sehr mächtigen Aspekt der deutschen Geschichte.

Aber Farbfotos sind eher selten in ihrem Werk zu finden. Im Badischen Kunstverein Karlsruhe präsentiert sie in ihrer ersten deutschen Einzelausstellung vor allem großformatige Schwarzweiß­fotografien. Porträts von Bekannten und Freunden aus Schwäbisch Gmünd, das sie seit 18 Jahren jeden Sommer für einige Wochen besucht. Aber auch diese Fotos in verschiedenen Formaten sind keine roman­tisierenden Ansichten. Schon gar keine normalen Abbilder: Collier Schorr spielt mit den Identitäten, gibt ihnen Rollen und lässt sie verschiedene Facetten ihrer Persönlichkeit und Emotionen ausprobieren. Und sie lässt die Interpretation völlig offen, ja, verwirrt sie manchmal zusätzlich.

So zeigt sie in »Shrapnel« einen Jugendlichen, der Wunden auf dem Rücken präsentiert, an der Wirbel­säule, an der linken Schulter. Der Titel legt nahe, dass es Kriegsverletzungen sind, sie stammen aber von einem Skateboard-Unfall. Auf anderen Fotos stehen zwei blonde Kinder nebeneinander und sehen in die Kamera, ein junger Mann mit bloßem Oberkörper hält ein Pferd am Zügel, ein Mädchen steht vor ein paar Bäumen, eine Frau liegt nackt auf der Wiese, ein kleiner Junge läuft in Lederhose durch einen Garten. Beschauliche, verzauberte und verzaubernde Bilder sind es: Ein Mädchen sitzt in seinem Sommerkleidchen auf einer Wiese, die blonden Haare fallen über den Rücken. Auf einem anderen Foto sieht man es noch einmal, von hinten, jetzt scheint seine Haarpracht mit den hochstehenden Halmen zu verwachsen: ein blondes, deutsches Prinzesschen im Märchenland.

Viele von Schorrs Bildern verweisen auf die deut­sche Geschichte, mit der die Künstlerin in Schwäbisch Gmünd konfrontiert war. Es war eine fremde und befremdende Welt, in der sie eine mehrfache Außenseiterin war. Verwundert war sie über den Umgang mit dem deutschen Patriotismus: die einzige Flagge im Ort wehte über der US-Army-Base. An einem Hausgiebel fiel ihr die Inschrift »ANN FRAN« auf: »Ich merkte, dass ich etwas sah, was sonst niemand sah. Keinem der Einwohner ist das je aufgefallen.«

Deswegen sieht man auf einigen Fotos auch Jugendliche, die eine Naziuniform tragen, die sie aus einem Kostümverleih besorgt hat: Sie stehen in der Gegend, in der ihre Großeltern ihre Uniformen einst vergraben haben. Ein junger Mann trägt eine SS-Uniform, die blonden Haare schimmern, die Riemen und Knöpfe blitzen, in seinen Händen hält er einen Stahlhelm mit Runen und sieht in eine ungewisse Zukunft. Gebrochen wird diese rechtsradikale Stilisierung durch Äpfel und Orangen im Helm.

Ihre Bilder sind perfekt inszeniert, gestochen scharf, mit einem studiohaft künstlichen Aufbau, bis ins kleinste Detail durchkomponiert. Sehr distanziert beobachtet Schorr ihre Umwelt, und dennoch liegt etwas Geheimnisvolles und Unbestimmtes in den Fotos. Einerseits besitzen die Aufnahmen eine Eindringlichkeit, etwas scharf Analytisches und trotzdem eine große persönliche, fast private Nähe zu den Abgebildeten. So nähert sie sich auch den Modellen mit einer Mischung aus Respekt und dem Willen zur Entlarvung, liebevoll, anteilnehmend und gefühlvoll.

Wie dem jungen Mann, der für sie die SS-Uniform anzog. Schorr erzählt: »Beim Anziehen ist er durch alle Stadien von Gefühlen gegangen: Staunen, Angst, Scham, Wut. Er hat quasi die emotionale Geschichte Deutschlands in einer halben Stunde durch­lebt.« So nah war er seiner eigenen Geschich­te wohl noch nie gekommen. Von einem alten Mann, der sie immer sehr freundlich be­handelt hat, erfuhr sie, dass er Aufseher in Dachau gewesen ist. Kaum jemand aus dem Ort wusste das. Ihn selbst lichtete sie mit all seinen Gebrechen ab, und seinen kleinen Enkel fotografierte sie in Lederhosen wie für ein Familienfoto aus vergangenen Tagen.

Vier Vitrinen zeigen im Badischen Kunstverein den Ausgangspunkt ihrer Arbeiten: Sammlungen von kleinen Bildern, die sie zu einem Thema komponiert, Bücher und Zeitschriftenausschnitte dazulegt. Zum Beispiel München 1972: Da liegt das Foto eines Freundes, der sich eine Jarmulke aufgesetzt hat, neben einem Foto eines Jungen mit einer maskenhaften Skimütze, und ein Zeitungsausschnitt berichtet über Schwimmer wie den jüdisch-amerikanischen Goldmedaillen­gewinner Mark Spitz. Mit solchen Ensembles erforscht sie bildhaft auch ihre eigene Geschichte und die ihr selbst unsichere Identität als Jüdin, als Tochter eines Armeefotografen, der sich einmal mit geliehenen Orden ablichtete, als Amerikanerin nach Vietnam- und Irak-Krieg.

Das Judentum ist also nicht Schorrs einziges Thema, auch wenn es sich ihr in Deutsch­land geradezu aufgedrängt hat. Aber dass sie Jüdin ist, auch wenn sie nur selten in die Synagoge geht (und erschreckt war, als sie einmal in Stuttgart zum Gottesdienst wollte und nur sieben alte Männer antraf), steht für sie außer Frage. Ihr »jüdischstes Bild« ist das von den beiden Mädchen, die in einer Scheune stehen: »Als wenn sie sich gerade verstecken würden.«

Immer wieder spielt auch die ungewisse Identität von Jugendlichen eine Rolle, an­dro­gyne Gestalten sind zu sehen, noch unfertige. Wie in dem kurzen Film von einem jungen Menschen in einer Uniform, der vor der Kamera steht und sich dreht und guckt: Da wird gar nicht erkennbar, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Oder auf den vielen Fotos von Jugendlichen, die so sicher und unsicher zugleich in der Sommerlandschaft stehen. In einer Sequenz von neun Fotos reflektiert sie gleichzeitig den Schaffensprozess mit der Kamera: In einer Waschküche sah sie das Foto eines jungen Wehrmachtssoldaten in grüner Obergefreitenuniform hängen. Als sie versuchte, es zu fotografieren, spiegelte sich immer der Blitz in der Glasscheibe, egal, wo sie sich hinstellte. Da entschloss sie sich einfach, diese Blitze ins Werk mit aufzuneh­men.

Collier Schorrs Werk ist sehr vielschichtig. Ihre Bilder sind uneindeutig, erzählen viele Geschichten gleichzeitig, sind nicht festzulegen, nicht auf »jüdische Kunst« oder Gender Studies. Sie sind hochreflektiert, spielen mit den Genres ebenso wie mit der Geschich­te der Fotografie, der Weltgeschichte und einer grundlegenden Unsicherheit. Und haben dennoch einen großen, eigenen ästhetischen Reiz.

Collier Schorr: Forests & Fields. Badischer Kunstverein Karlsruhe. Bis 18. März