Schlacht am Ende des Tunnels

Die Festnahme eines Kongolesen in Paris führte zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Konservative ­nutzten die Situation, um politische Phrasen zu dreschen. von bernhard schmid, paris

Die Autorität ist auf unserer Seite. Schwarzfahrer, Aufrührer und Gewalttäter finden sich auf der anderen Seite«, also auf der Linken. Mit diesen Worten machte der konservative Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy am Mittwoch in der vergangenen Woche die innenpolitischen Fronten klar. »Die Ereignisse von der Gare du Nord lassen den Rechts-Links-Gegensatz wieder aufleben«, hieß es im gleichen Tenor auf der Titelseite der konservativen Tageszeitung Le Figaro, die Autoren konnten ihre Freude über die neue Polarisierung kaum verhehlen.

Passiert war folgendes: Am späten Dienstagnachmittag wurde der 32jährige kongolesische Staatsbürger Angelo H., der in der Pariser Vorstadt Sevran lebt, im Pariser Nordbahnhof von Fahrkartenkon­trolleuren angehalten. Er trug keinen Fahrausweis bei sich. Daher nahmen ihn die Angestellten der Pariser Verkehrsbetriebe auf unsanfte Art und Weise fest und brachten ihn zu ihrem Kontrollposten innerhalb des Bahnhofs. Daraufhin forderten einige Jugendliche, die die Szene beobachtet hatten, vehement die Freilassung des jungen Mannes.

Dass die Angelegenheit in den folgenden Stunden eskalierte, hat auch mit den örtlichen Gegebenheiten zu tun. Die Gare du Nord, der drittgrößte Bahnhof der Welt, besteht unterirdisch aus einem mehrere hundert Meter langen schlauchartigen Tunnel, der zwei Metrostationen miteinander verbindet. Daran sind die Ankunfts- und Abfahrtsbahnsteige mehrerer Vorortzüge angedockt, die in die nördlichen und östlichen Pariser Banlieues fahren. Deswegen ist der Ort ein beliebter Treffpunkt und Aufenthaltsort für viele migrantische Jugendliche, die hier im Pariser Stadtgebiet ankommen, und regelmäßiger Schauplatzen von Kontrollen, die manchmal musclé, also schlagkräftig, ausfallen.

Nach der Festnahme des Kongolesen versuchte eine größere Zahl von Jugendlichen vor Ort, ihrem Unmut Luft zu machen. Gleichzeitig wurden mehrere Polizeieinheiten in den Bahnhof beordert. Der anfängliche spon­tane Protest einiger, die die Szene mit dem Kongolesen beobachtet hatten, geriet zum Ventil für häufig erlittene Kränkungen und Diskriminierungen durch das Bahnhofspersonal, was sich in Parolen gegen die Ordnungshüter und Sarkozy ausdrückte. Blumentöpfe und andere Gegenstände wurden auf die Polizeibeamten geworfen, die ihrerseits mit Tränengaspatro­nen schossen und Mühe hatten, den riesigen Bahnhof mit seinen verschachtelten Gängen komplett evakuieren zu lassen. Wie häufig in solchen unkontrollierten Situationen nutzten Anwesende die Gelegenheit, um einige Schaufenster einzuwerfen und zu plündern. Die Polizei brauchte mehrere Stunden, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Von den 22 Festgenommenen wurden die ersten beiden binnen 48 Stunden zu Haftstrafen von mehreren Monaten ohne Bewährung verurteilt.

Wie sich Ende vergangener Woche herausstellte, haben Nicolas Sarkozy, der seit einer Woche nicht mehr als Innenminister amtiert, und sein Nachfolger François Baroin gelogen, als sie behaupteten, Angelo H. sei »ein illegaler Einwanderer, der sich seit 15 Jahren gesetzeswidrig in Frankreich aufhält und 22 Vorstrafen hat«. Es wäre auch kaum vorstellbar, dass der Kongolese in einem solchen Fall nicht längst abgeschoben worden wäre.

Nach einer Intervention seines Anwalts wurde jedoch publik, dass er keineswegs »illegal« nach Frankreich kam, sondern im Alter von zehn Jahren im Rahmen der Familienzusammenführung völlig legal einreiste. Zudem hat er nicht 22 Vorstrafen, sondern sieben, von denen sechs – wegen kleinerer Diebstähle und ähnlichen Delikten – schon deutlich mehr als ein Jahrzehnt zurückliegen. Die Assoziationskette, »illegaler Einwanderer«, Gesetzesbruch, Gewalt und Aufruhr, ist aber wohl von vielen Franzosen schon längst hergestellt worden.