Tag der deutschen Arbeit

In Thüringen häufen sich die Angriffe von Rechtsextremisten. Mit einer »antikapitalistischen Kampagne« versuchen sie vor dem und zum 1. Mai, ihre Anhängerschaft zu vergrößern. von andré seitz

Donnerstags veranstaltet das »Bündnis für soziale Gerechtigkeit«, das seit den Protesten gegen Hartz IV im Jahr 2004 existiert, auf dem Erfurter Anger Kundgebungen. Am 15. März sollte sich der Protest explizit gegen Nazis richten. Unter den Teilnehmern befand sich Angelo Lucifero, Stellvertretender Vorsitzender des Thüringer Verbandes von Verdi. »Die Donnerstagdemos richten sich gegen die soziale Demontage, wir beziehen aber mit ein, gegen Nazismus zu sein«, sagt Lucifero im Gespräch mit der Jungle World.

An jenem Donnerstag versammelten sich 20 Rechtsextremisten an einer anderen Stelle des Platzes zu einer Gegenkundgebung. »Ich wurde von drei Leuten von hinten geschlagen. Die sind dann weggerannt«, beschreibt Angelo Lucifero das Geschehen weiter. Er sei den Angreifern bis zum Ort der Nazi-Kundgebung gefolgt und dort erneut attackiert worden. Daraufhin habe er die erst kurz zuvor besorgte Schreckschusspistole gezogen, um die Angreifer zu vertreiben. »Eigentlich wollte ich sie nur mit dem Anblick der Waffe erschrecken, aber in Panik habe ich leider draufgedrückt.« Dabei soll er einen Mann leicht verletzt haben. Die Polizei sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht da gewesen.

Der Angriff auf Lucifero war nur einer von mehreren in den vergangenen Jahren. Immer wieder falle ihm auf, dass die Leute, die sich gegen Nazis wehren, im Osten weniger geschützt würden als im Westen, sagt Lucifero. Die Übergriffe der Rechtsextremisten hätten etwa ab dem Jahr 2004 zugenommen. Er selbst wurde damals allerdings bei einer Aktion gegen Nazis von der Polizei niedergeschlagen. Nunmehr werde nicht nur von den Nazis versucht, den Vorfall gegen ihn zu instrumentalisieren. »Manche wollen verhindern, dass ich weiter als Gewerkschaftsvertreter in Tarifverhandlungen gehe.«

Dass sich die Situation verändert hat, hört man häufig. »Bisher hatten die Nazis in Erfurt durch die Gegenwehr beispielsweise von Gewerkschaftern und der Linkspartei einen schwereren Stand als anderswo in Thüringen«, sagt eine Mitarbeiterin von Mobit, dem Thüringer Beratungsteam gegen Rechtsextremismus. Seit 2005 forcieren die Nazis ihre Aktivitäten in Erfurt, veranstalten Kundgebungen und Demonstrationen und organisieren sich. »In dem Jahr sind die ›Freien Aktivisten Erfurt‹ erstmals als Gruppe aufgetaucht«, sagt Florian von der Erfurter Antifagruppe AG 17. Im Februar 2006 gründete sich der Erfurter »Stützpunkt« der NPD-Jugendorganisation JN, wie die Nazis ihre Ortsgruppe nennen.

NPD und »freie Kräfte« arbeiten in Erfurt sehr eng zusammen und greifen auf den Schutz durch Nazihooligans zurück, erzählt Florian. Bei ihren eigenen Aktionen, bei denen freie Kräfte und NPD-Kader gemein­sam auftreten, setzten die Nazis derzeit auf ein streng legalistisches Konzept: »Es werden körperliche Konfrontationen bei ihren Aktionen vermieden, durch die Anwesenheit der Nazi-Hools wird jedoch trotzdem ein Bedrohungsszenario aufgebaut.« Abseits der eigenen politischen Aktionen verhielten sich die Nazis gewalttätiger. Erst kürzlich sei eine Solidaritätsdemonstration für das autonome Kopenhagener Jugendzentrum Ungdomshuset von Nazihooligans angegriffen worden.

Zu den Erfurter Aktionen reisen regelmäßig Rechtsextremisten aus Städten wie Weimar, Gotha oder Nordhausen an. Der Thüringer Verfassungsschutz berichtete von etwa 80 Teilnehmern einer Kundgebung der NPD am 10. Februar in Erfurt. »Gemeinsam mit den Naziordnern hat die Polizei an diesem Tag Antifas abgedrängt, als diese ein Gegentransparent entrollen wollten«, berichtet Florian. Auch an diesem Tag sei Angelo Lucifero von den Nazis angegriffen worden. Doch die Polizei erteile den Antifas, die gegen die Nazikundgebungen protestierten, rigoros Platzverweise. Auch am 15. März seien die verspätet eintreffenden Beamten als erstes gegen die Antifas vorgegangen, die sich den Rechtsex­tremisten nach den Angriffen entgegengestellt hatten.

Bis zum 1. Mai wollten die Nazis im Rahmen der so genannten Antikap-Kampagne unter dem Motto: »Arbeit für Millionen statt Profite für Millionäre!« wöchentlich in der Erfurter Innenstadt Propaganda betreiben. Für den Tag der Arbeit haben sie ebendort einen Aufmarsch angemeldet, zu dessen Gunsten sogar der Hamburger Neonazi Christian Worch auf seinen jährlichen Aufmarschversuch in Leipzig verzichten will.

Anmelder der Demonstration ist Ralf Wohlleben, der Landespressesprecher der Thüringer NPD, der auch über gute Kontakte zur freien Kameradschaftsszene verfügt. Er ist einer der Initiatoren der Kampagne, mit der die Nazis seit 2006 ausgehend von Thüringen »Freie Menschen statt freie Märkte« fordern. »Eine Offerte auch an die Anti-G 8-Protestszene«, meint Florian von der AG 17. Denn bei aller Abgrenzung sehen auch Angehörige der Bewegung das »Grundübel unserer Zeit« im »aus dem Ruder gelaufenen globalen Kapitalismus« und projizieren die Schuld auf die »Profitmaximierer«. Über »gigantische und lähmende Zinslasten« beschweren sich neben Wohlleben auch die Anhänger der Freiwirtschafts- und Regionalwirtschaftskonzepte, die es zum Beispiel bei Attac in Erfurt gibt.

Am 1. Mai soll unter anderen der Erfurter Jurastudent und »freie Kamerad« Peter Paul zum Thema »Antikapitalismus« sprechen. Paul, eine der führenden Personen der Erfurter Naziszene, sorgte im vergangenen Jahr für einen Eklat im Thüringer Landtag, weil er sich ein dreiwöchiges Praktikum bei der Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski (CDU) gesichert hatte. Aus dem Praktikum wurde nichts, nachdem Paul und andere Nazis in das Gästebuch der Ausstellung »Erschossen in Moskau« im Landtagsgebäude geschrieben hatten, die Befreiung vom Nationalsozialismus sei keine Befreiung gewesen. Einer Mitarbeiterin der PDS-Landtagsfraktion war der Eintrag aufgefallen.

Auch die NPD zieht es in den Thüringer Landtag. 2009 will sie den Einzug schaffen. Bei der Landtagswahl 2004 erreichte die Partei in Thüringen 1,6 Prozent der Wählerstimmen, bei der Bundestagswahl 2005 bereits 3,7 Prozent der Zweitstimmen. Für ihren Internetauftritt benutzt die Thüringer NPD den Domainnamen »landtagswahl-thueringen.de«.