Die Band aus dem Badehaus

Kids On TV haben die Zensoren von Myspace besiegt. Nun betreiben sie mit ihrer Platte die »total gender anarchy«. von didi neidhart

Es gehört sicher zu den Interessen einer Band, wegen ihrer Musik von den Medien wahrgenommen zu werden. Zwar kann man spätestens seit dem »Great Rock’n’Roll Swindle« auch mit schlechter Presse sein Image pflegen. Aber als im März die Seite der kanadischen Band Kids On TV im Internetportal Myspace ohne Vorwarnung gelöscht wurde, konnte von einer eventuell selbst erdachten Provokation keine Rede sein. Zwar häuften sich im Netz sofort teilweise homophobe oder auch nur schadenfrohe Kommentare und Postings, die der schwul-lesbischen Agit-Gruppe aus Toronto genau diese Absicht unterstellten. Wer sich nicht an die Regeln halte oder das Spiel mit der Subversion bei Myspace übertreibe, so lautete der Tenor, sei eben selbst schuld. Nur wussten Kids On TV nicht, gegen welche Regeln sie verstoßen haben sollten, hielt sich doch Myspace selbst in einer offiziellen Stellungnahme zum Vorfall überaus bedeckt und verwies nur auf »einen Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen«, den sich die Band habe zuschulden kommen lassen.

14 000 ­Myspace-Freunde zu verlieren, ist keine Kleinigkeit. Auch wurde für die gesamte Frühjahrstour und die Debüt-CD »Mixing Business With Pleasure« fast ausschließlich über die Website der Band geworben. Nach dem ersten Schock installierten Kids On TV aber gleich mehrere neue Seiten, auf denen sie auch als von Myspace erlegte Trophäen an einer Wand hängend zu sehen sind, und protestierten vehement.

Mittlerweile haben die Verantwortlichen des Internetportals die ursprüngliche Seite wiederhergestellt. In der vergangenen Woche hat die Band eine Mitteilung erhalten, in der Myspace abstreitet, die Internetseite gelöscht zu haben, und den Vorgang als Unfall oder das Werk von Hackern abtut.

Die Erklärung wirkt nicht überzeugend. Denn Kids On TV sind nicht die ersten, deren Seite gelöscht wurde. Im Dis­kus­sions­forum »Myspace Political Censorship« werden etliche Fälle belegt, wobei sich jenseits aller Spekulationen gewisse Muster erkennen lassen. Denn es sind scheinbar vor allem unkommerzielle Seiten mit schwulen, lesbischen und queeren Inhalten nicht mit den Nutzungsbedingungen von Myspace vereinbar, das zum Medienimperium von Rupert Murdoch gehört. Auch gab es bei Kids On TV keine »sexuell anstößigen« Fotos, es sei denn, die Betreiber von Myspace stören sich an Bildern von Männern in Unterhosen oder von Menschen, die sich einen Spaß daraus machen, eindeutige sexuelle Orientierungen durcheinander zu bringen. An der Werbung für Pornoseiten und an Halbnackten, die auf anderen Seiten zu finden und eindeutig als heterosexuell zu identifizieren sind, scheinen die Verantwortlichen nichts zu bemängeln zu haben.

Mit dem starken Protest der kanadischen Band schien man bei Myspace nicht gerechnet zu haben. Opferlämmer verhalten sich anders, und zum Märtyrertum gehört sowieso eine gewisse asketische Lustfeindlichkeit, die bei Kids On TV nicht zu finden ist.

Viel eher erinnert die Gruppe des Bassisten John Cafferey, des Schlagzeugers Minus Smile, des Gitarristen Wolf sowie der Videokünstlerin und Sängerin Roxanne Luchak an die »Flaming Creatures« aus Jack Smiths gleichnamigem legendären Film von 1963. Boy George hat die Musik der Band einmal trefflich als »Kamikaze Queer Pop« bezeichnet, in dem Jimmy Somerville auf die Beastie Boys träfe.

Gegründet im Herbst 2003 in einem Badehaus, trafen Kids On TV in Toronto auf ein Szenegewusel zwischen Indie-Rock, Kunst-Performances und queerem Underground. Das performative Element war schon damals in der Form von selbst inszenierten Bur­lesque-Shows vorhanden. In ihnen geht es weniger um den Striptease bis zur völligen Entkleidung als um das Gegenteil: um Verkleidung, Maskerade, Fantasy-Kostümierungen, aber auch um ein Spiel mit Geschlechter­identitäten sowie popmusikalischen Zitaten und Images, weshalb sich diese Unterhaltungsform auch speziell in Drag-King- und Drag-Queen-Kreisen größter Beliebtheit erfreut. So erklären sich auch die euphorischen Reaktionen auf die erste, 2006 absolvierte Europa-Tour der Band: eine schrille Rock-Show einerseits, eine extravagante und animierende Kostüm-Revue andererseits.

Zu den künstlerischen Arbeiten von Kids On TV gehören neben der Musik Filme, Videos und Kunstaktionen, aber auch genderpolitische Interventionen wie öffentliche »Sleep-Ins«. Vielfältig sind auch die Orte für Live-Shows. Die Band tritt in Kunstgalerien, Indie-Clubs und Discos auf und spielt auf Veranstaltungen mit Namen wie »Oktoberfist«, auf Bauernhöfen und immer wieder in Badehäusern und Saunen. Insbesondere die letztgenannten Etablissements haben Gutes im Pop hervorgebracht, begannen doch nicht nur DJ-Legenden wie Frankie Knuckles und Larry Levan ihre Karrieren in den von Schwulen besuchten New Yorker Badehauskomplexen der siebziger Jahre, sondern auch Sängerinnen wie Bette Middler, die dabei übrigens von Barry Manilow am Piano begleitet wurde.

Das Wissen um die Vielfalt und die Widersprüche der schwulen, lesbischen, queeren Geschichte und das gleichzeitige Infragestellen des daraus entstandenen Mainstream machen es Kids On TV leicht, wie zielsichere Goldgräber den Schatz der Referenzpunkte zu plündern. So gibt es neben dem auch in der My­space-Debatte oft zitierten Song über »Cockwolves« auch solche über den von Andy Warhol zum Star gemachten Holly Woodlawn, den schwulen Filmemacher und Performer Keith Cole oder den »Hanky Code«, auf dessen Grundlage mittels in verschiedenen Farben die sexuellen Vorlieben signalisierender, in den Gesäßtaschen steckender Taschentücher nonverbal angebandelt werden kann.

Eingebettet ist das alles in einen aus House, Queer-Punk, Euro-Rave und Musicals zusammengeklauten Bastard-Mix. Wie in Jack Smiths »Flaming Creatures« wird das Infragestellen von Identität selbstverständlich auch auf die Ästhetik angewendet. Die synthetisierte Musik ist das Äquivalent zum synthetisierten Geschlecht. Dazu gibt es Science-Fiction-Posen zwischen dem Gehabe einer Straßengang und der Parodie auf Superhelden. Einfacher gesagt: Kids On TV machen elektronische Tanzmusik im Sinne dessen, was John Waters einmal »total gender anarchy« nannte.

Kids On TV: Mixing Business With Pleasure (Chicks On Speed Records/Indigo)