Ein bisschen chaotisch

Bei den Präsidentschaftswahlen in Osttimor liegt der Kandidat der Fretilin vorn, doch die ehemalige Befreiungsbewegung verliert an Einfluss. von gilles bouché, melbourne

Obwohl keiner der acht Kandidaten die nötigen 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, fehlte es nicht an Gewinnern. Der UN-Sondergesandte Atul Khare beglückwünsch­te »die Bevölkerung Osttimors für ihre friedliche Teilnahme« an den ersten Präsidentschaftswahlen seit der Unabhängigkeitserklärung vor fünf Jahren. Dass es bei den Wahlen am Montag der vergangenen Woche nicht zu Gewalttaten kam, gilt angesichts der bürgerkriegsähnlichen Unruhen im Frühjahr 2006 bereits als großer Erfolg.

Über das vorläufige Ergebnis dürfte sich vor allem José Ramos Horta freuen. Den neuesten Rechnungen zufolge kommt der parteilose Premierminister und Friedensnobelpreisträger auf 22,6 Prozent der Stimmen. In einer Stichwahl am 8. Mai wird er gegen Fran­sisco »Lu-Olo« Guterres, den Kandidaten der Regierungspartei Fretilin, antreten, der mit 28,8 Prozent die meisten Stimmen erhielt. Der Kandidat der Demo­kratischen Partei (PD), Fernando »Lasama« de Araujo, kam mit einem Stimmenanteil von 18,5 Prozent auf den dritten Platz.

Bei der Stichwahl gilt Ramos Horta als Favorit, da ihm nach aller Voraussicht ein Großteil der Stimmen der Oppositionsparteien zufallen wird. Allerdings wollen Lasama und vier weitere Kandidaten das Ergebnis anfechten, sie verlangen eine Neuzählung der Wahlzettel in Anwesenheit von Vertretern aller Kandidaten. In einem Brief an die Nationale Wahlkommission (CNE) beklagen sie ein »Klima der Einschüchterung und des Terrors« in mehreren Bezirken und verlangen Aufklärung darüber, warum es eine Differenz von 30 Prozent zwischen der Zahl der registrierten Wähler und der Zahl der gültigen Wahlzettel gibt.

Möglicherweise war die Wahlbeteiligung unerwartet niedrig oder der Anteil ungültiger Stimmzettel ungewöhnlich hoch, doch Ramos Horta hat sich den Forderungen an­geschlossen und die Fretilin beschuldigt, durch Einschüchterung Wähler von den Urnen fern gehalten zu haben. Die Wahlkommission erklärte, dass die Abstimmung »ein bisschen chaotisch« verlaufen sei, dies aber das Ergebnis kaum beeinflusst habe. Entscheiden muss nun das Oberste Gericht.

Das Amt des Präsidenten ist nur mit geringen Machtbefugnissen verbunden, die Auseinandersetzungen dürften für alle Beteiligten vor allem eine Generalprobe für die bedeutenderen Parlamentswahlen am 30. Juni sein. Derzeit verfügt die Fretilin im Abgeordnetenhaus mit 55 von 88 Sitzen über eine bequeme Mehrheit. Die Partei, die viele Osttimoresen nach wie vor mit dem 24 jährigen Unabhängigkeitskampf gegen die indonesischen Besatzer verbinden, dominiert weiterhin in den östlichen Bezirken und verfügt über ein Netz an Aktivisten in den ländlichen Regionen. Jedoch haben die Krise im April und Mai 2006 (siehe Jungle World 23/06, 40/06) und der nur langsam fortschreitende sozio­ökonomische Aufbau der Partei geschadet.

Die Opposition ist stärker geworden. Die PD, ge­tragen von Osttimoresen, die während der Besatzung in studentischen Untergrundbewegungen waren, erhält vor allem Zuspruch von jungen Wählern aus den westlichen Bezirken. Ramos Horta und der mit ihm verbündete der­zeitige Präsident Xanana Gusmão zehren von ihrem Ruf als Repräsentanten der Befreiungsbewegung. Sie haben haben sich von der Fretilin getrennt, um nicht mit deren Regierungspraxis in Verbindung gebracht zu werden. Gusmão, der auf eine Kandidatur verzichtet hat, um bei den Parlamentswahlen antreten zu können, organisiert eine eigene Partei, den Nationalen Kongress für den Wiederaufbau Osttimors (CNRT).

Dass sich ein Parteiensystem herausbildet und die Politik sich vom Bezug auf den Unabhängig­keitskampf löst, spricht für eine Etablierung demokratischer Verhältnisse. Noch allerdings ist fraglich, ob die Wahlen im Juni ebenfalls friedlich verlaufen werden.