Ein unauffälliger Genosse

Der mutmaßliche Mörder des Nijmegener Aktivisten Louis Sévèke wurde in Spanien verhaftet. Er ist ein ehemaliger Hausbesetzer, der sich in einem Squat in Barcelona aufhielt. von antoine verbij, amsterdam

Anderthalb Jahre dauerte die Suche nach dem Mörder von Louis Sévèke. Nun scheint sie beendet zu sein. Der linke Aktivist war im November 2005 im Zentrum des holländischen Nijmegen mit zwei Schüssen getötet worden (Jungle World 36/06). Bis vor einigen Wochen hat die Nijmegener Sonderkommission »Bambuteam« alle möglichen Mordszenarien durchgespielt, mit allen möglichen Tätern und Motiven. Ohne Erfolg. Dann bekam das Polizeiteam von Kollegen aus Leiden unerwartet spektakuläre Informationen zugespielt.

Bei den Ermittlungen zu einer Serie von Bank­überfällen fanden sie in einem privat gemieteten Lagerraum unter anderem einen Laptop, auf dem ein Tagebuch gespeichert war. In dem Dokument waren Notizen nicht nur über die Banküberfälle zu finden, sondern auch über den Mord an Louis Sévèke. Der Autor des Tagebuchs, der 38jährige Rotterdamer Marcel T., wurde daraufhin in Barcelona ausfindig gemacht, wo er in einem besetzten Haus lebte. Am 16. März wurde er in einem Internet-Café verhaftet und an die niederländische Justiz übergeben. Bei seiner Vernehmung in Nijmegen gestand er den Mord an Sévèke. Auf einer Pressekonferenz teilte die Polizei mit, dass der geständige Mörder, genau wie dessen Opfer, in der Nijmegener Hausbesetzer­szene der neunziger Jahre aktiv war. Für Sévèkes Familie und Freunde war das ein großer Schock. Über das Motiv wollte die Polizei zunächst nichts mitteilen.

In den vergangenen Wochen wurden aber Ausschnitte des Tagebuchs in einigen Zeitungen veröffentlicht. Wie sie in die Hände von Journalisten gerieten, ist bisher unklar, vermutlich wurden sie von Polizeibeamten an die Presse weitergeleitet. Aus den Berichten erfährt man Genaueres über das angebliche Motiv. Marcel T. habe sich an Sévèke rächen wollen, weil dieser ihm Mitte der neunziger Jahre vorgeworfen habe, Informant des niederländischen Geheimdienstes zu sein.

Sévèkes Spezialität war es, Spitzel des Geheimdienstes in der Hausbesetzerszene vorzuführen und sie in Publikationen bloßzustellen. Ehemalige Hausbesetzer erinnern sich heute, dass die Atmo­sphäre damals sehr angespannt war und Sévèkes Vorführungen oft von aggressiven Vernehmungen begleitet wurden. Dem Tagebuch zufolge sah Marcel T. sich als Opfer dieser Praktiken von Sévèke. Ehemalige Hausbesetzer sowie die Familie und Freunde des Ermordeten sagen aber, dass es zwischen ihm und Marcel T. nie Auseinandersetzungen gegeben habe. Auch in Sévèkes Publikationen wird dieser nie erwähnt.

Von ehemaligen Mitstreitern wird Marcel T. als unauffälliger, etwas verträumter Typ beschrieben, der sich für Anarchismus und Literatur interessierte. Er arbeitete in der Buchhandlung eines der besetzten Häuser in Nijmegen. In seinem Tagebuch schreibt er, er sei für die radikale US-kanadische Öko-Gruppe »Earth Liberation Front« als Experte für Explosivstoffe tätig gewesen und habe 1995 und 1996 an der Vorbereitung von Bombenanschlägen auf Niederlassungen von Banque Paribas, Crédit Lyonnais und BASF im niederländischen Arnheim teilgenommen.

Sowohl die Aktivisten in Nijmegen als auch die in Barcelona berichten jedoch, dass Marcel T. politisch nie auffällig gewesen sei. Er habe immer nur am Rande an politischen Aktionen teilgenommen. Aus ihren Beschreibungen entsteht das Bild eines einsamen Mannes, der sich verfolgt fühlte. Verhaltensforscher, die die polizeilichen Verhöre von Marcel T. beobachten, sprechen von einer unruhigen, paranoiden Persönlichkeit.

Louis Sévèke hat in einem Interview über die Hausbesetzer gesagt: »Die Szene bietet eine wunderbare Gelegenheit, sich politisch zu entfalten. Sie neigt aber auch dazu, eine Insel zu bilden. Und es gibt Leute, die so eine Insel wollen, um sich aus der Gesellschaft zurückziehen zu können.«

Marcel T. war so ein Insulaner.