Grundsicherung im Becken

Professionelle amerikanische Trainingsmethoden sollen nun auch den deutschen Schwimmern helfen. von martin krauss

Örjan Madsen ist seit etwa einem Jahr Sport­direktor des Deutschen Schwimmverbandes (DSV). Bislang hatte der 61jährige Nor­weger nicht über Anfeindungen zu klagen. Weder die schlechten Ergebnisse der deutschen Schwimmer bei den Weltmeisterschaften Ende März in Melbourne, die der FAZ zufolge einem »Untergang« gleichkamen, noch der Umstand, dass bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin, die am Wochenende endeten, etliche Sportler wesentlich besser waren, hatten ihn öffentlichem Druck ausgesetzt.

Da kommt der Ärger halt von außen: Professor Werner Franke, Molekularbiologe aus Heidelberg, mit dem Schwimmsport eigentlich nicht vertraut und einer größeren Öffentlichkeit als schärfster Kämpfer gegen Doping bekannt, hat seine Folgerungen aus den WM bekannt gegeben: »Der Mann müsste eigentlich zurücktreten.«

Örjan Madsen hat bei seinem Amtsantritt ein auf die nächsten Olympischen Spiele in Peking ausgerichtetes »Projekt Weltklasse 2008« ausgearbeitet, und alle wichtigen Trainer, Schwimmer und Funk­tionäre im DSV deuten ihre Unterstützung an. Zuletzt fiel Madsen auf, indem er nach den aus Sicht des von ihm betreuten DSV-Teams verhauenen Welt­meis­ter­schaften Profi­schwimmer forderte. »Es ist eine Tatsache, dass 90 Prozent der Medaillengewinner von Melbourne Vollprofis sind«, sagte er, der selbst nicht nur promovierter Sportwissenschaftler, sondern auch international erfahrener Trainer ist, und führte am Beispiel der wesentlich erfolgreicheren US-Mannschaft weiter aus: »Die Amerikaner bekommen monatlich 1 750 Dollar vom Olympischen Komitee und haben Werbeverträge. Es ist naiv zu glauben, dass wir da mithalten können, wenn wir nicht ähnlich professionell trainieren.«

Genau das bringt Werner Franke in einem Interview, das er der Westfälischen Rundschau gab, in Wallung. Professionalisierung zu fordern, sei »gequirlte Dummheit«, »geradezu bescheuert« und »unverantwortlich«. Denn bezogen auf Doping gelte: »Totale Professionalisierung heißt Verführung.«

Was der Schwimmexperte Madsen fordert, ist etwas, das den Deutschen noch vom Fußball her bekannt sein dürfte: Methoden, die hierzulande gerne als »amerikanisch« bezeichnet werden. Vielleicht setzt sie ja das schon einem Verdacht aus. Madsen hat einen Austausch mit den US-Schwimmern angeschoben, er verlangt von den besten deutschen Schwimmern, sich auf Wettkämpfen regelmäßig mit der US-Spitze zu messen. »Und auch die deut­schen Trainer müssen Kontakt zu den amerikanischen Coaches bekommen, damit sie sehen, wie die mit ihren Athleten umgehen.«

Bereits vor den WM hatte Madsen ein in deutschen Schwimmerkreisen umstrittenes vierwöchiges Höhentrainingslager in der spanischen Sierra Neva­da verbindlich angesetzt. »Es ist und bleibt ein span­nendes Experiment«, kommentierte man bei der Deutschen Schwimmtrainer-Vereinigung das Trainingslager. »Sollte sich jedoch zeigen, dass für einige das Höhentraining nicht die gewünschte Leistungs­verbesserung erzeugt, muss man eben für diese Aktiven eine andere Lösung im Flachland finden.«

Werner Franke, der unverhofft auf­ge­tauch­te Kritiker, schäumt, die schlechten Resultate der deutschen Schwimmer seien »offen­sichtlich eine Folge dieses komischen Trainings in der Höhe«.

Madsen ficht das nicht an, er setzt im Juni ein neues vierwöchiges Höhentrainingslager an. Diesmal im amerikanischen Flag­staff/ Arizona, wo der DSV bereits des Öfteren war, aber diesmal mit einem besonderen Gast: US-Chefcoach Mark Schubert wird sich die deutschen Schwimmer anschauen und über Stärken und Schwächen sprechen.

Dass die deutschen Spitzenschwimmer in Melbourne so weit hinterherschwammen, erklärt sich Madsen mit Fehlern in der Detailtrainingssteuerung, etwa im so genannten Tapering, der Trainingsphase in den letz­ten Wochen und Tagen vor dem großen Wettkampf. Nichtschwimmexperte Franke hingegen hält von solchen Analysen nichts, »die haben schlicht und einfach zu lange durchgekloppt«, stellt der Professor in seiner Ferndiagnose fest.

Für Madsens Fehleranalyse spricht, dass etliche Athleten bei den Deutschen Meister­schaften in Berlin schneller waren als bei den Weltmeisterschaften in Melbourne, wo sie enttäuscht hatten. Und wenn diese Fehleranalyse richtig ist, hat Madsen auch Recht, wenn er seinen Weg weiter verfolgt. »Wenn wir diese Situation richtig nutzen, dann können wir ziemlich viel erreichen.« So fasst er die Krise über ein Jahr vor den Olympischen Spielen als ­Chance zur Durchsetzung seiner Ziele auf.

Die Annäherung an die erfolgreicheren US-Schwimmer und ihre Trainingsmethoden, die Örjan Madsen anstrebt, hat aber den Nachteil, dass die US-Strukturen nicht so leicht auf deutsche Verhältnisse übertrag­bar sind. Nicht nur der besondere Stellenwert des Schul- und Universitäts­sports mar­kiert einen Unterschied zum Vereinssport in Deutschland, der wenig mit Ta­lent­sich­tung arbeiten kann, sondern auf Freiwilligkeit und ehrenamtliche Trainer setzt. Im US-Schwimmsport wurde in den vergangenen Jahren auch eine Professionalisierung durchgesetzt. Die besten 96 Spitzenschwimmer aller Bundes­staaten werden in Charlotte, North Carolina, zusammengezogen. Finanziert von privaten Sponsoren wird hier auf höchstem Niveau trainiert. Etwas Vergleichbares in Deutsch­land aufzubauen, dürfte nicht nur wegen fehlender privater Finanz­quellen, sondern auch an der Macht der Verbands- und Vereinstrainer scheitern.

Dass aber die in den USA monatlich an jeden Athleten gezahlten 1 750 Dollar die »totale Professionalisierung« darstellen, von der Professor Franke spricht, glaubt von denen, die sich im Schwimmsport auskennen, niemand. Dort findet nämlich nur statt, was Madsen hier fordert: eine »finanzielle Grundsicherung« für die Zeit, in der Studium oder Beruf zurückgestellt werden müssen, um auf Weltklasseniveau zu trainieren. Werner Franke hingegen glaubt, dass bei Sportlern, die so trainierten, »die Abhängigkeit von Drogen vorgebucht« sei.

Damit spricht er einen interessanten Punkt an: Inwieweit bringt der Konkurrenzdruck im internationalen Spitzensport die Athleten dazu, alles, auch das Verbotene, zu versuchen, um das Training bestehen und die Wettkämpfe erfolgreich be­streiten zu können? Wenn der in der Frage angelegte Verdacht stimmt, dürfte das Wirken von Antidopingkämpfern wie Werner Franke so sinnvoll sein wie Kämpfe gegen das Wetter, den Weltmarkt oder die Windmühlen.

Was das aber mit Örjan Madsen zu tun hat, dürf­te sich nicht nur der Norweger selbst fragen. Der fordert nur, dass die Spitzenschwimmer jeden Wettkampf mit absoluter Härte bestreiten sollen. Nicht mehr, wie nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa die letzten Jahrzehnte üblich, auf zwei bis drei wichtige Wettkämpfe im Jahr zu setzen, die als Höhepunkte deklariert werden, während bei allen anderen Starts schlechte Leistungen toleriert werden. Dies wäre die Voraussetzung für künftige Profischwimmer. Denn eine Sportart, die sich selbst darin gefällt, nur alle vier Jahre bei Olympischen Spielen von einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, braucht sich nicht zu wundern, dass ihre Spitzenleute für keinen Werbeauftrag zu gebrauchen sind und beim Einkaufen im Supermarkt nicht erkannt werden.

Örjan Madsen verweist auf die Biathleten und die Skilangläufer. Deren Trainingspensum ist dem der Schwimmer in vielem gleichzusetzen, aber erst ihre veränderten Trainingsmethoden haben zu größeren Erfolgen, zu höheren Einschaltquoten, mehr Fernsehsendungen und letztlich mehr Geld geführt.

Obwohl Örjan Madsen auch die Vereinstrainer kritisiert, ist von dort bislang kein Widerspruch zu seinem Konzept gekommen. Die Trainer, bei denen die Spitzenathleten tagtäglich arbei­ten, hoffen, dass einer wie Madsen sie teilhaben lässt am internationalen Wissensstand über den Schwimm­sport.

Gleichwohl nehmen einige Insider an, dass es DSV-interner Widerstand gegen Madsen ist, der sich nun via Franke artikuliert: dass also die Einschätzungen über »komisches Training in der Höhe« dem Heidelberger Professor mitgeteilt wurden, damit er es verlautbare. Mit Dopinggerüchten lässt sich eben Politik machen.

Im Grunde aber zeigt die Kritik, wie sie jetzt von Franke öffentlich gemacht wurde, dass die Auseinandersetzung um den Spitzensport sich ihrem Kern nähert: Ob man ihn nämlich will und sich dazu internationalem Austausch stellt; oder ob man einen eigenen nationalen Weg beschreiten möchte.