Anna und Arthur halten’s Maul

Auf der Suche nach den letzten Autonomen in Berlin. daniel steinmaier und nicole tomasek waren in den einschlägigen Lokalitäten und haben mit Hinterbliebenen jeden Alters gesprochen

Topse (Anfang 20), Volxküche Druz-Bar im Bethanien, Kreuzberg:

Dass man die Autonomen im Kreuzberger Bethanien findet, weiß dank der Band Ton Steine Scherben wohl auch jeder niedersächsische Grundschüler. Also fragen wir im Bethanien bei der »Volxküche« nach, wo die Autonomen geblieben sind. »Mann, lies doch die Interim!« entfährt es einem, und schon im Umdrehen meint er schnell: »Zum G8-Widerstand könnt ihr mich intervie­wen, aber doch nicht zu so ’nem Quark.« »Die Autonomen, das ist doch 20 Jahre her«, meint ein anderer. Im Hintergrund versucht der DJ, den Leuten mit Balkan-Pop den Aufenthalt im schlauchigen Flur schmackhaft zu machen, der trotz Tausender Politplakate an den Wänden noch von der Atmosphäre des ehemaligen Krankenhauses zeugt. Zwischen Transparenten im SED-Wandzeitungsstil und neueren Plakaten zum Protest gegen den G8-Gipfel, auf denen zukünftige Werbegraphiker ihre Kreativität demonstrieren, findet sich aber noch die typische Ikonographie autonomen Heldentums: Bolzenschneider, Hasskappen und Kampfsport-Posen. Topse wirft keine Steine am 1. Mai, denn der ist ihm sowieso zu »arbeitsfetischistisch ausgerichtet«. Ihn interessiert eher der 2. Mai. »Da gibt es so eine Arbeitslosenaktion.« Was er am 1. Mai macht, weiß er noch nicht. »Aufs My-Fest gehe ich aber bestimmt nicht«, empört er sich. Dieses Straßenfest, das seiner Meinung nach »nur zur Befriedung und Entpolitisierung des 1. Mai« diene, das »haben auch noch alte Hausbesetzer initiiert, weil die heute Angst um ihre Autos haben«. Vielleicht weiß er noch nicht, dass dieses Jahr auf dem My-Fest Ton Steine Scherben spielen.

Lemmy (Mitte 20), Bewohner eines Haus­projekts in der Rigaer Straße, Friedrichshain, aktiv in diversen Kneipenkollektiven:

Kannst du mit der Bezeichnung »autonom« etwas anfangen? – »Klar.« – Bist du Autonomer? – »Klar.« – Was machst du am 1. Mai? – »Autos anzünden.«

Luisa und Celine (beide Mitte 20), ­FrauenLesbenTransgender-Hausprojekt, Liebigstr. 34, Friedrichshain:

»Eine Gruppe von schwarz gekleideten Mackern.« Das sei Celines erster Eindruck von den Berliner Autonomen gewesen, als sie vor ein paar Jahren aus Frankreich kam. »Die Szene kam mir ziemlich arrogant vor, und ›autonom‹ zu sein, war sehr wichtig.« Auch Luisa kann mit der Kategorie »autonom« nicht viel anfangen: »Autonom ist ein Phantom: Wenn es mir passt, kann ich mir den Schuh anziehen, z.B. auf einer Demo. Das läuft mehr so nach dem Motto: Ich brauche eine Gruppe und einen Feind.« Im Alltag sähe das dann meistens anders aus. Trotz dieser harten Worte versuchen aber auch die beiden, möglichst »selbst bestimmt« zu leben und »Freiräume« zu erhalten. Sie wohnen mit 20 anderen aus der ganzen Welt in einem reinen FrauenLesbenTransgender-Haus­projekt in Friedrichshain. »Eigentlich sind wir ein sexistisches Projekt – dem gesellschaftlichen Sexismus entgegengestellt. Dadurch sind wir nicht besonders autonom«, meint Luisa schmunzelnd.

Anna und Arthur (Mitte 40), Mehringhof, Kreuzberg:

Wo sind eigentlich die Autonomen geblieben? – »Sind wir nicht für zuständig.« – Klar, sagen alle. – »Nein, ich sag’ da nix dazu.« – Willst du vielleicht was dazu sagen, Anna? – »Wir sagen nix! Basta!«

Rosa (65), Lausitzer Platz, Kreuzberg, aktiv beim Anti-Atom-Plenum:

Klischeehungrige Tatort-Regisseure hätten ihn nicht besser stylen können. Rosa sieht aus wie die ideale Besetzung eines Altautonomen. Lange Haare, blaue Latzhose, Bundeswehrhemd – der gelbe Fahnenstreifen sorgfältig entfernt – und ein mit Buttons dekorierter Parka, der schon einige bewegte Momente mitgemacht hat. Ein einschneidendes Erlebnis sei die Ermordung Benno Ohnesorges 1967 gewesen, weil danach eine »tolle Aufbruchstimmung« entstanden und endlich einiges in Frage gestellt worden sei. »Da dachte ich, es kann alles nur besser werden«, erinnert sich der 65jährige. Obwohl Rosa inzwischen denkt, dass sich alles eher zum Schlechten wendet und er die Revolution wohl kaum noch miterleben wird, habe sich innerhalb der Szene doch einiges verändert. »Es gibt keine einfachen Antworten mehr, und es ist nicht mehr so autoritär. Die Bewegung ist differenzierter geworden, früher musste man sich immer unterordnen.« Die Hoffnung auf Veränderung sei zwar noch da, aber heute sehe er einiges realistischer. »Einmal standen die Zeugen Jehovas vor der Tür und meinten, die Menschen schaffen es nicht, die Welt zu verbessern. Da musste ich ihnen leider Recht geben.«

Paule (Mitte 40), ehemaliger Bewohner eines Hausprojekts in der Reichenberger Straße, Kreuzberg:

»Früher hat ein Stein noch wehgetan«, erinnert sich Paule an bessere Zeiten, als die Polizei noch schlechter ausgerüstet war und das Vermummungsverbot dem steinigen Widerstand noch nicht seine Attraktivität nahm. »Damals konnte man beim Straßenkampf noch Erfolgserlebnisse haben, man konnte locker von Sozi-Kohle leben, und jedes Kaff hatte sein autonomes Jugendzentrum.« Vor dem 1. Mai hatte man »monatelang ein Kribbeln im Bauch« und stritt sich auf großen Bündnistreffen, wo alle möglichen »Fraktiönchen« anwesend waren. Überall auf der Welt tobten Befreiungskämpfe. »Jeder hatte seine Guerilla«, kommentiert Paule die Revolutionsprojektionen der Szene. Ein harter Rückschlag für die autonomen Revolutionsphantasien waren dann die rassistischen Pogrome in den neunziger Jahren. »Wir standen nicht kurz vor der Revolution, sondern vor dem Gegenteil«, beschreibt Paule das Ohnmachts­gefühl, dass er angesichts des johlenden Mobs vor den brennenden Flüchtlingsheimen empfand.

Klaus (Anfang 20), Projektraum Neukölln, aktiv in der Autonomen Antifa Neukölln:

Entspannte Elektrobeats, gedämpftes Licht, eine reichhaltige Cocktailkarte und Menschen mit gekämmten Haaren vor modernem Wanddesign. Nur ein großes Transparent verrät zunächst, dass wir uns nicht in einer Lounge in Mitte befinden, sondern am Soli-Tresen der Autonomen Antifa Neukölln. Doch nicht nur der Style ist eher wenig traditionell. »Wenn man heute mit der Polizei darüber diskutieren muss, dass die Länge von Seitentransparenten unter 1,50 Metern bleibt, hat das nichts mehr mit ›autonom‹ zu tun«, meint Klaus. »Für uns bedeutet das eher Partei­unabhängigkeit und Selbstbewusstsein gegenüber Nazis«, recht­fertigt er hinter dem Tresen das Überbleibsel im Gruppennamen. Dass er sich am 1. Mai trotzdem die traditionelle Demonstration um 18 Uhr am Heinrichplatz ansieht, sei allein seiner »Sensationsgier« geschuldet, gesteht er grinsend.

Nick (etwa 30), Siebdruckwerkstatt in der Köpi, Köpenicker Straße, Mitte:

Von außen wirkt die Köpi so baufällig, als würde sie nur noch von den riesigen Graffiti-Monstern zusammengehalten, die auf die Fassade gemalt sind. In der Siebdruckwerkstatt im Seitenflügel, der so genannten Kommandantur, sieht es aber ziemlich aufgeräumt aus. Um den Drucktisch stehen ein paar Leute, denen Nick gerade beim Drucken von Plakaten für ein Queer-Festival hilft. »Autonom – für mich heißt das eben D.I.Y. – do it yourself. Klar kannst du diese Plakate auch in eine Offsetdruckerei geben und dafür zahlen«, meint Nick, »aber das ist nicht nur eine Geldfrage, sondern auch eine des Stils.« Und auf Stil wird hier Wert gelegt, wie man an den Plakaten sieht, die in der Siebdruckwerkstatt hängen. »Punks für Punks, das war immer so ein Motto in der Köpi, auch bei den Konzerten oder anderen Sachen.« »Klar, vielen ist das hier zu krass. Hat ja nicht jeder Bock auf Kotze am Schuh.« Aber zum Beispiel das Köpi-Kino sei ein Ort, »an dem verschiedenste Leute zusammen über Filme reden können«. Fast alle, die uns im Hof begegnen, sprechen Englisch mit irgendeinem Akzent. »Weil alle Entscheidungen im Plenum getroffen werden, ist das mit der Mehrsprachigkeit manchmal kompliziert«, meint Nick, betont aber, es sei immer wieder »voll geil, wenn man mit 40 Leuten aus verschiedenen Ländern einen Konsens findet. Also schreib nicht so’n Scheiß übers ›Plenum‹. Da machen sich alle immer drüber lustig, die Reportagen über die Szene schreiben.«

Sabine (Anfang 40), Haus- und Kulturprojekt New Yorck im Bethanien, Kreuzberg:

»Ich verstehe nicht recht, was die Frage soll«, meint Sabine, »uns gibt’s doch immer noch.« Klar habe sich in der autonomen Szene, der sie sich schon seit rund 20 Jahren zugehörig fühlt, einiges geändert, erzählt sie in der sauber aufgeräumten Küche ihrer geräumigen WG. Etwa in Sachen Feminismus. »Ich habe nichts gegen die Queer-Bewegung«, meint sie, »und so pink-silver Gepuschel auf den Demos sieht auch ganz gut aus.« Aber wenn sie an die Zeiten denke, in denen es auf jeder Demonstration noch einen schwarzen FrauenLesben-Block gab, da sei manches doch ernsthafter gewesen. Mittlerweile habe man vielleicht so manche Unterdrückungsverhältnisse aus den Augen verloren. »Das Bethanien haben wir nicht besetzt, um hier nur unser Abendessen zu kochen.« Vielmehr gehe es um einen »selbstverwalteten Raum für emanzipatorische Politik«, und auch um den Kiez. »Das Kapital versucht, sich diesen Stadtteil zu eigen zu machen. Dagegen wehren wir uns zusammen mit den Anwohnern«, meint Sabine. »Klar, früher hatte man noch mehr Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung.« Etwa beim 1. Mai 1987, als der Bolle-Supermarkt in Kreuzberg geplündert wurde und sich auch die türkischen Nachbarn geholt haben, was sie gerade brauchten. »Irgendjemand hatte einen Einkaufswagen voller Eis erbeutet und hat es kostenlos verteilt.« Das habe dazu beigetragen, »dass das Eis schmolz zwischen den Autonomen und den Anwohnern«.

David (41), ein Café am Heinrichplatz:

Wegen eines angeblichen Steinwurfs bei einer Antifa-Demonstration hat David fast ein Jahr in Untersuchungshaft verbracht und ist auch jetzt nur unter Auflagen draußen. Aber das hindert den 41jährigen nicht, noch immer auf Demonstrationen zu gehen. Auch wenn man, wie David meint, »angesichts vermummter Polizisten und von allen Seiten gefilmter Demonstranten eigentlich kaum noch demonstrieren kann«. »Die Gewalt wird uns so ja auch aufgezwungen«, meint er, und das auch von den Medien, die eben nichts berichten, solange es nicht kracht. Deswegen sei es dieses Jahr wichtig, dass am 1. Mai was passiert. »Wenn es in Berlin ruhig bleibt und nichts in die Zeitungen kommt, wird die internationale Szene nicht nach Heiligendamm kommen.« »Bei der Mayday-Parade werden ein paar hundert Leute durch die Gegend laufen. Davon wird aber niemand etwas erfahren, weil da eben nichts passiert.« Auch das Motto »Prekarisierung« findet er merkwürdig: »Welche Putzfrau fühlt sich denn von solchen Vokabeln angesprochen?« Süffisant fügt er hinzu: »Aber wenn mal eine Zeitarbeitsfirma brennt, dann schreibt die Jungle World irgendwas von blindem Aktionismus.« Und wenn in Friedrichshain mal ein Auto zu Bruch gehe, »weil dort die ärmere Bevölkerung aus ihren Straßen vertrieben wird und überall Cocktailbars aus dem Boden schießen«, dann schreibe die Berliner Zeitung höchstens etwas über »besoffene Chaoten«. Die negative Berichterstattung über solche Proteste sei aber teils auch selbstverschuldet. Die Szene verpasse die Chance, ihre Aktionen argumentativ zu vermitteln. Stattdessen würden alle oft nur »ihr eigenes Ding« machen. »Neulich war ich auf der Infoveranstaltung zum Tod von Oury Jalloh, den die Polizei in der Zelle verbrannt hat. Da waren fünf Leute. Aber wenn mal ein Punkkonzert ist, dann kommen Hunderte.«