»Ein Teil der weltweiten Revolten«

Einen beinahe runden Geburtstag feiert Interim. Doch das einstige Zentralorgan der Berliner Autonomen hat seine Bedeutung längst eingebüßt. Ein Gespräch mit einem der Gründer

Unser Gesprächspartner, der nur unter der Wahrung seiner Anonymität mit uns reden wollte, war an der Gründung von Interim beteiligt und arbeitete bis weit in die neunziger Jahre an dieser Zeitschrift mit.

Vor 19 Jahren, zum 1. Mai 1988, erschien die erste Ausgabe von Interim. Was habt ihr damit bezweckt?

Wir wollten endlich ein funktionierendes wöchentliches Dis­kus­sionsforum für die Berliner Autonomen schaffen. Unser Konzept war genial einfach: ein Brief­kasten, ein paar Scheren und Klebstifte und eine Druck­möglichkeit. Um uns nicht mit der Frage der »richtigen« Blattlinie herumzuplagen und uns eine Menge redaktioneller Arbeit zu ersparen, beschlossen wir, alle Artikel abzudrucken, vorausgesetzt, sie waren nicht sexistisch, faschistisch oder rassistisch.

Welchen Bezug hattet ihr zum 1. Mai?

Heute ist es schwer vorstellbar, aber damals waren die Autonomen ein bedeutender politischer Faktor in der Stadt. Am 1. Mai 1988 startete in Kreuzberg die erste »revolutionäre Mai-Demonstration«, an der sich 10 000 Menschen beteiligten, ein Schaulaufen der Gegenmacht. Hinter uns lagen die Ereignisse des Vorjahres, die wir als sozial­revolutionären Volks­aufstand interpretier­ten, vor uns, nämlich im Herbst, lag die Tagung des Internationalen Währungsfonds, die in Berlin stattfinden sollte. Dazu kamen heftige Debatten um einen neuen Internationalismus, der sich nicht mehr an nationalen Befreiungsbewegungen orien­tierte, sondern an sozialen Konflikten.

Den Widerstand in Kreuzberg sahen wir als einen Teil der weltweiten Revolten gegen den Kapitalismus – und dass ein revolutionäres Prickeln in der Luft lag, soll­ten die nachfolgenden Ereignisse ja zei­gen. Uns gelang es, das IWF-Treffen massiv zu stören, im Dezember besetzten Tausende Studentinnen und Studenten die Westberliner Universitäten, in Ostberlin schüttelten die Menschen die kommunistischen Macht­haber ab. Doch dann kam es anders, als wir erträumten. In Westberlin kam der rot-grüne Senat an die Macht, im Osten entschie­den sich die Menschen mehrheitlich für den Kapi­talis­mus.

Wie ging es mit Interim weiter?

Unsere »Zwischenlösung« etablierte sich als Diskussionsforum und Mittei­lungs­organ der undogmatischen Autonomen. Schon bald betrug die Auflage fast 2 000 Exemplare. Es ging verstärkt um antirassistische und antifaschistische Themen, außerdem wurde in Interim über das Ende der Revolutionären Zellen und überhaupt aller militanten Politik diskutiert. Die Funktion als extralegales Blatt wurde bestens erfüllt. Dies rief allerdings auch die Polizei auf den Plan, deren Nachforschungen auszuweichen viel Energie kostete. Insbesondere 1997. Damals schlug der Staatsapparat zu, genau zu einer Zeit, als wir versuchten, das Blatt zu einer auch außerhalb der autonomen Szene lesbaren und relevanten Zeitschrift zu machen.

Das ist nicht gelungen, stattdessen hat Interim für die radikale Linke der Stadt enorm an Bedeutung verloren. Woran lag das?

Weil die Welt sich weiterdreht und es kein politisches Konzept ist, eine Struktur aufrecht zu erhalten. So liegt es auf der Hand, warum es Interim nicht gelang, die Antifa-Szene und die anderen Gruppen, die eine öffentlich zugängliche sozialrevolutionäre Politik machen wollten, in ihr Konzept zu integrieren.

Zudem ging die technologische Entwicklung weiter, und das Internet setzte sich durch. Kon­zeptionell kannst du Interim als Vorläufer von Indymedia sehen. Schließlich entwickeln wir uns zum Glück als Personen weiter, weshalb viele irgendwann aufhörten. Die Zeitschrift gibt es heute noch, ich habe aber keine Ahnung, wer sie macht. Ehrlich!

Wie geht es dir, wenn du alte Ausgaben durch­blätterst?

Bei manchen erröte ich darüber, was ich alles mitgemacht und mitgetragen habe. Andere machen mich richtig stolz, wenn ich sehe, welches Niveau manche Debatten hatten und was wir alles auf die Reihe gekriegt haben.

interview: benjamin kaminski