»Wir lagen schon mal bei 23 Prozent«

Ein Gespräch mit johannes pflug vom Seeheimer Kreis in der SPD über den Streit in der Großen Koalition, die Lage der Partei und die sozialdemokratischen Projekte der Zukunft.

Der Seeheimer Kreis in der SPD ist ein Zusammenschluss von sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten. Er gilt als rechter Flügel der SPD-Fraktion. Der 61jährige Johannes Pflug gehört zum Sprecherkreis.

Es wird derzeit heftig gestritten in der Großen Koalition. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck kritisiert Ursula von der Leyen, außerdem wird u.a. über die Erbschaftssteuer gestritten. Laurenz Meyer von der CDU bezeichnet Becks Kritik als »völlig überflüssige Profilierungsversuche«.

Meyer hätte Recht, wenn er sich und die CDU miteinbeziehen würde und wenn das Ganze weniger überspitzt dargestellt würde. Richtig ist, dass Frau von der Leyen ständig Vorschläge macht, ohne über die Finanzierung zu sprechen. Genauso richtig ist, dass dies alles Vorschläge der SPD sind, die wir schon seit langem unterbreiten.

Die SPD hat genug Gründe, nach einem schärferen Profil zu suchen. Die Partei verliert immer mehr Mitglieder, in den Umfragen liegt sie bei 26, 27 Prozent. Hat die SPD der eigenen Klientel zu viel zugemutet mit Hartz IV, der Rente mit 67, der Mehrwertsteuererhöhung und der geplanten Absenkung der Unternehmenssteuern?

Es stimmt, dass wir Mitglieder verlieren. Das ergeht anderen Parteien aber genauso, wenn auch nicht in dem Maße wie uns. Die Umfragen sind unterschiedlich. Es gab zuletzt auch solche, die uns bei 31 Prozent gesehen haben. Letztlich hat sich im Vergleich zur Zeit der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder nicht viel verändert. Wir lagen ja auch schon mal bei 23 Prozent.

Aber es ist richtig, dass die SPD ihr Profil schärfen muss. Die Fortsetzung der Politik der Agenda 2010 mit einer stärkeren Betonung des Sozialen ist unser Weg. Nur leider hat sich gezeigt, dass diese notwendigen Reformen den Bürgern nur schwer zu vermitteln sind. Da bricht in der Mitgliedschaft die Sehnsucht nach den guten alten sozialdemokratischen Zeiten durch.

Wir können unser Profil aber nicht schärfen, indem wir uns der Linkspartei annähern. Wir müssen eine vernünftige Politik machen und vor allem der jungen Generation vermitteln, dass diese Politik für sie gemacht wird. Alle Entscheidungen wie die Rente mit 67, die Gesundheitsreform, die Klimapolitik etc. sind Weichenstellungen zugunsten der jüngeren Generation. Ein 20jähriger aber redet ungern über die Rente.

Hat die SPD nicht ein Problem damit, auf welches Milieu sie sich beziehen soll? Sie betonen den Unterschied zwischen jung und alt. Aber gibt es nicht auch den Unterschied zwischen den Geringverdienern, den Arbeitslosen und der Industriearbeiterschaft einerseits und der »neuen Mitte«, den »Leistungsträgern« andererseits, auf die die SPD seit Schröder erwartungsvoll blickt?

Wir können die eher traditionell orientierten Wähler nicht mehr dadurch befriedigen, dass wir zusätzliches Geld für sie ausgeben. Das Geld ist nicht mehr da. Selbst wenn wir dieses Milieu etwas verärgern, müssen wir als Politiker verantwortungsbewusst handeln, gerade auch mit Blick auf die zukünftigen Generationen. Wir müssen die sozialen Sicherungssysteme reformieren, damit sie funktionsfähig bleiben. Das bedeutet auch soziale Einschnitte, aber die sind leider unvermeidlich. Wir schneiden uns ja nicht aus freien Stücken ins eigene Fleisch.

Kritiker, etwa aus der Linkspartei, sagen, wenn es um die Senkung der Unternehmenssteuer gehe, sei plötzlich wieder Spielraum da für eine Entlastung.

Das ist eines der typischen flachen Argumente aus der Linkspartei. Wir wollen, dass Gewinne, die in Deutschland erwirtschaftet werden, auch in Deutschland versteuert werden. Die Reform der Unternehmenssteuer bedeutet zwar Entlastungen für die Unternehmen. Diese werden aber kompensiert, indem wir die Möglichkeiten der steuerlichen Gestaltung für Unternehmen deutlich beschneiden, wie etwa die Verlagerung von Gewinnen ins Ausland. Außerdem sichern wir die Gewerbesteuer ab, auch im Interesse der Gemeinden.

Wenn man sich aktuelle Konflikte ansieht, wie etwa bei der Telekom oder bei Siemens, wo möglicherweise bewusst eine gelbe Gewerkschaft, die AUB, aufgebaut wurde, muss man feststellen, dass man von der SPD dazu wenig hört.

Das ist eher ein Thema für die Gewerkschaften. Aber es ist ungeheuerlich, was da passiert. Dass man versucht, sich einen Betriebsrat zusammenzubasteln, der der Unternehmensführung genehm ist, verstößt eindeutig gegen das Gesetz.

Zur Telekom muss ich sagen, dass Verdi der Unternehmensleitung entgegenkommen muss, wenn man verhindern will, dass es die Telekom in einigen Jahren nicht mehr gibt, weil sie übernommen wird – von Black­stone oder wem auch immer.

Die Gewerkschaften fühlen sich von der SPD im Stich gelassen.

Als Schröder noch Kanzler war, sind einige Gewerkschaften der SPD gegenüber sehr massiv aufgetreten, während sie jetzt unter den veränderten Machtverhältnissen bei Merkel leider oft sehr kleinlaut agieren. Ich würde mir wünschen, dass sie gegenüber den Unternehmern oder denjenigen, die in den Landesregierungen das Sagen haben, entschiedener auftreten würden.

Die SPD hat auch ein strategisches Problem, was zukünftige Regierungsbündnisse betrifft. Die Grünen setzen sich mehr und mehr in Richtung CDU ab, mit der Linkspartei geht es wegen deren außenpolitischen Vorstellungen gar nicht. Ist es auf Dauer nur noch möglich, mit der CDU zu regieren?

Nein, das wäre fatal. Franz Müntefering hat ja darauf hingewiesen, dass auch eine Ampelkoalition eine Option sein kann. Mit dieser – mit Verlaub gesagt – blöden Außenpolitik der Linkspartei kann man in der Tat recht wenig anfangen. Prinzipiell halte ich aber die Linkspartei auch für einen möglichen Koalitionspartner, im Augenblick allerdings nicht.

Interessant, das von jemandem aus dem Seeheimer Kreis zu hören.

Ich habe auch im Seeheimer Kreis meine eigene Meinung. Allerdings kann ich mit Lafontaine und mit Populismus nichts anfangen. In Berlin hingegen funktioniert die Koalition mit der Linkspartei, dort wird keine schlechte Politik gemacht.

Fehlen der SPD nicht Ideen und Projekte, die in die Zukunft weisen?

In der Zeit von Willy Brandt gab es noch mehr Vorstellungen in der Politik, mit denen man sich auch emotional identifizieren konnte. Heute ist das anders. Die Emotionalität in der Politik ist verloren gegangen, weil die Probleme komplexer geworden sind. Eine vernünftige und nachhaltige Politik bedarf mehr des Verstandes und der Analyse als des Gefühls. Mit dem Stichwort der Nachhaltigkeit, sei es in der Umweltpolitik, in der Bildungspolitik oder bei der Reform der sozialen Sicherungssysteme, ist das beschrieben, was für die Zukunft notwendig ist.

Die SPD diskutiert derzeit über ein neues Parteiprogramm. Wird in dem vorgelegten »Bremer Entwurf« nicht mehr oder weniger die Politik der Agenda 2010 zum Programm erhoben?

Wir wollen die Reformpolitik ins Programm aufnehmen und so unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität auch in Zeiten von Globalisierung und demografischem Wandel mit Leben füllen. Das »Berliner Programm« ist ein Jahr vor der Wiedervereinigung entstanden und konnte diese Aspekte gar nicht berücksichtigen. Das packen wir jetzt an.

interview: stefan wirner