Aus zwei mach eins

Wie in London Ende der Siebziger Jahre zwei Subkulturen die große »Punky-Reggae-Party« feierten, schildert Don Letts in seinem neuen Buch. von michael katerla

Don Letts macht es einem nicht leicht. Die Arbeiten des Musikers, DJs und Dokumentarfilmers passen in keine künstlerische oder stilistische Schublade. Er war ein Gründungsmitglied der Avantgardeband Big Audio Dynamite, trat als Designer und Fotograf in Erscheinung und führte Regie bei zahlreichen Musikvideos u.a. für The Jam und George Clinton. Mit »The Punk Rock Movie« schuf er 1976 die erste Dokumentation über die Punk-Bewegung, für seinen Film über The Clash, »Westway to the World«, wurde er im Jahr 2003 mit einem Grammy ausgezeichnet.

Für sein kürzlich auf Englisch erschienenes Buch »Culture Clash. Dread meets Punk Rockers« hat er seine bisherige Lebensgeschichte niedergeschrieben. Von Soul über Ska, die Skinhead-Bewegung, Reggae und Punk bis hin zum Hip Hop behandelt er darin vier Jahrzehnte britischer Subkultur.

Als Kind jamaikanischer Einwanderer wuchs Letts in den sechziger Jahren im Vier­tel Brixton im Süden Londons auf. In Brixton lebten Einwanderer aus der Ka­ribik Tür an Tür mit englischen, irischen und griechischen Arbeiterfamilien. Letts, der sich bis heute als »first-generation British born black« bezeichnet, erlebte in dem Viertel den alltäglichen Rassismus, die Arbeitslosigkeit und die kulturelle Orien­tie­rungslosigkeit, aber auch die rauschenden Partys im lokalen Jugendzentrum, bei denen Herkunft und Hautfarbe niemanden interessierten, solange die Musik die Boxen vibrieren ließ. Reggae war Anfang der Siebziger die beliebteste Underground­musik in Großbritannien, und sie bot der jungen Generation und auch Don Letts eine Szene, der sie sich zugehörig fühlten.

Auf der Suche nach Platten und Kleidung entdeckte Letts dann erstmals die »andere Seite Londons«, die hippen Viertel Chelsea und Westminster nördlich der Themse. Und bald sollte die Reggae-Musik, die aus Jamaika gekommen war, von »einem Tsunami überrollt werden«.

Mitte der siebziger Jahre arbeitete Letts als Verkäufer im Kleider- und Plattenladen »Acme«. Nicht weit entfernt von Vi­vienne Westwoods Kleidergeschäft »Sex« auf der Londoner Kings Road trafen sich im »Acme« die zukünftigen Punkgrößen. Noch dazu arbeitete er als DJ im Roxy-Club, der schnell zu einem bedeutenden Ort für die Punk-Bewegung wurde. Dort kamen viele Punks zum ersten Mal mit dem Reggae in Berührung.

Zu dieser Zeit war die Punkszene erst ei­nige Monate alt, und es gab noch keine Plat­tenveröffentlichungen von Punkbands. Zwischen den Auftritten von Gruppen wie The Damned oder Siouxie and the Ban­shees spielte Letts dann die Musik aus seiner Plattenkiste, in der damals ausschließlich Alben von Dub- und Reggae-Bands zu finden waren. Und die meisten Punks genossen den entspannten Sound als willkommene Abwechslung zur schnellen und harten Punkmusik. Seine Gefühle beim Aufeinandertreffen dieser zwei so unterschiedlichen Subkulturen beschreibt Letts so: »Ich hatte schon Bob Marley, Dub und Roots-Reggae und fügte The Clash und die Sex Pistols hinzu. Es war, als hätte ich den Blitz in der einen Hand und den Donner in der anderen!«

Er lernte die noch am Anfang ihrer Karrieren stehenden John Lydon von den Sex Pistols und Joe Strummer von The Clash kennen. Er lud sie regelmäßig auf die Dub- und Reggae-Partys in Brixton ein. So wie er anfänglich der einzige Schwarze im Roxy gewesen war, waren Lydon und Strummer im Sommer 1976 meist die einzigen Weißen in den Dub- und Reggae-Clubs Südlondons. Und schon bald fand ein reger Austausch zwischen den beiden Subkulturen statt.

Für Letts war das »Do-It-Yourself«- Ethos des Punk entscheidend für den Beginn seiner Karriere als Musiker und Filmemacher. Ohne die Spontaneität und Energie der Punk-Szene, gesteht er, hätte er nie den Mut aufgebracht, eine Kamera anzufassen, geschweige denn einen Film zu drehen. John Lydon wiederum beschreibt die Reise mit Letts nach Jamaika, kurz nach der Auflösung der Sex Pistols, als ganz wesentliche Erweiterung seines musikalischen Horizonts. Lydons folgende Band Public Image Limited, die stilprägend für die weitere Entwicklung des Post-Punk werden sollte, klang dem­entsprechend wie ein Mix aus Dub-, Reggae- und Punkmusik. Letts selbst gründete 1984 zusammen mit Mick Jones, dem ehemaligen Gitarristen von The Clash, die Band Big Audio Dynamite, die in einem schwer in Worte zu fassenden, avantgardistischen Stil Elemente der beiden Musikrichtungen Reggae und Punk mit­einander verschmolz.

Doch für Letts waren es nicht nur die gemeinsamen Vorlieben für Punk, Reggae und Drogen, die eine gemeinsame Grundlage schufen. Für ihn war es vor allem die Desillusionierung über die britische Gesellschaft und Politik, die die Kinder der Einwanderer und weiße Jugendliche aus der Mittelschicht zusammen­führte. Die soziale und wirtschaft­liche Krise lieferte ihm zufolge die Voraussetzung für einen kulturellen und musika­lischen Austausch. Dabei verschweigt er nicht, dass der musikalische »Culture Clash« Kritik und Anfeindungen in der schwar­zen Community ausgesetzt war, insbesondere durch die Rastafari-Anhän­ger, allen voran Bob Marley. Die »Punky-Reggae-Party« verlief keineswegs immer harmonisch.

Don Letts hat eine Reihe von höchst­amüsanten Geschichten zusammengetragen, in denen illustre Gestalten wie Patti Smith, Bob Marley, Sid Vicious, der als »Lawrence von Arabien« bekannte Schau­spieler Peter O’Toole, Grandmaster Flash, George Clinton, Shane McGowan und noch viele weitere auftauchen. Letts versteht es hervorragend, persönliche Erleb­nisse und Anekdoten mit einem umfassen­den Blick auf die sozialen und politischen Verhältnisse in Großbritannien zu verbinden. Dass dem Buch eine Reihe von aufgezeichneten Interviews zugrunde liegt, kommt ihm zugute.

Leider bleibt diese Ausgewogenheit in der zweiten Hälfte des Buches nicht bestehen. Die Person Don Letts rückt hier zu stark in den Vordergrund, die gesellschaftlichen Hintergründe werden nicht ausreichend betrachtet. Das Buch bietet zwar nach wie vor köstliche Anekdoten. Aber die Schilderungen, in denen sich Letts von einem Videodreh zur nächsten Party begibt, sind doch sehr ermüdend. Gerne hätte man zum Beispiel mehr über die musikalischen und kulturellen Beson­derheiten des britischen HipHop erfahren.

Dennoch gibt »Culture Clash – Dread Meets Punk Rockers« einen kurzweiligen Einblick in eine Episode der britischen Popgeschichte. Don Letts war und ist ein entscheidender Vermittler zwischen den verschieden Subkulturen. Das musikalische Aufeinandertreffen von Punk und Reggae hat er nicht nur miterlebt, sondern auch maßgeblich geprägt.

Don Letts with David Nobahkt: Culture Clash. Dread Meets Punk Rockers. SAF Publishing, London 2007, 223 S.