Heiße Träume vom Scheich

Eine Ausstellung in Jerusalem schaut kritisch auf den Orientalismus in der Kunstgeschichte. von natascha berg

Die aktuelle Ausstellung »Eden – Orient und Okzi­dent« im Israel-Museum Jerusalem widmet sich der Erforschung des Panoramas west­licher Phantasien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts über den »Orient«. Genauer gesagt, geht es um das, was in Europa verallgemeinernd als »Orient« bezeichnet wird. Diesen Begriff kritisierte Edward Said bereits 1978 in seinem epochalen Buch »Orien­talism«, in dem er den westlichen Blick auf den Nahen Osten als pseudowissenschaftlich und im­peria­lis­tisch kritisierte.

Die von Yigal Zalmona kuratierte Ausstellung in Jerusalem dokumentiert diese Sichtweise des vergangenen Jahrhunderts und verdeutlicht, wie wenig die Wunschbilder des Westens mit der Realität an Ort und Stelle gemein hatten. Es sind Projektionen unterbewusster, verdrängter Wünsche und Ängste, die auf die ferne Traumlandschaft gerichtet werden und dort bald ihr Eigenleben führen, so dass die Gren­zen zwischen dem Erforschen des »Exotischen« und dem Ausleben von Phantasien immer mehr verschwim­men.

Die Ausstellung vereint Gemälde, Zeichnungen, Fotografien und Radierungen mit Porzellanmalerei, Gewändern aus der Ethnographischen Abteilung, sie zeigt Bilder aus den frühen Stummfilmen und kontrastiert sie mit einer aktuellen Videocollage.

Die Ausstellung ist thematisch gegliedert. Der 1921 von George Melford gedrehte Stumm­film »Der Sohn des Scheichs« mit Rudolph Valentino in der Hauptrolle, der in einer Nische zu Beginn der Ausstellung gezeigt wird, ist ein Paradebeispiel für die Motive, die die Orientwelle im 19. Jahrhundert generierte. In diesem Zelluloidtraum lassen sich eu­ro­päische Madams von dem mit brauner Farbe geschminkten Rudolph Valentino genüsslich vergewaltigen und zähmen durch ihre schwülstige Verliebtheit den wilden, Turban tragenden Orientalen, der mit Zwischentiteln wie »Ein Araber nimmt sich eine Frau, wenn er sie will« inszeniert wird. Der Erotik des anziehenden-abstoßenden Exoten ist auch eine eigene Abteilung der Ausstellung gewidmet. Dem berühmten Beispiel Valentinos folgend, tritt ein Laiendarsteller in einer Softporno-Fotostrecke auf, in der eine Vergewaltigungsszene in opernhaften Stummfilmposen inszeniert wird. Das letzte Foto der Serie ist dann der Clou: Die schöne nackte Europäerin erschießt den Kostümscheich mit einer Pistole, die sie praktischerweise plötzlich zur Hand hat.

Auch das Thema Frauenhandel, ein auch im heuti­gen Israel virulentes Problem, wurde durch die romantisierende Perspektive des 19. Jahrhunderts zum sinnlich-genüsslichen Kunsterlebnis umgedeutet. Die Figur des Sklavenhändlers vereint alle Merkmale des Theaterrassismus auf sich. Die 70 Zentimeter hohe Bron­zefigur des hakennasigen Schwarzen, der unter seinem Mantel zwei Frauen aus Mar­mor hervorzaubert, bedient alle chauvinis­tischen Klischees der für Geld sexuell verfügbaren Frauen. Auch die Tatsache, dass gleich zwei Frauen angeboten werden, erinnert an die Haremsphantasien. Solche Figuren waren Schmuckgegenstände, die den großbürgerlichen Salons ein wenig exotische Pikanterie verleihen sollten.

In der nächsten Abteilung wird der jüdische Blick, der im ausgehenden 19. Jahrhundert schon unter dem Eindruck des Zionismus auf Palästina gerichtet war, kontrastiert mit der Perspektive christlicher Maler. Besonders deutlich wird dies in der Darstellung der populären Szene »Jesus im Tempel«. Der jüdische Maler Mauricy Gottlieb aus Galizien stellt Jesus als einen jungen schwarzhaarigen Mann dar, der sich in lebhafter, aber nicht aggressiver Diskussion mit den Rabbinern befindet. Sein christlicher Malerkollege Adolf Schmitz dagegen zeigt Jesus, der der Tradition folgend eine blonde Mähne hat, umgeben von schwarz­harigen »Juden«. Die Frauen tragen unschöne Damenbärte, sind hakennasig und fettleibig und verspotten in der dargestellten Szene eine arme junge Mutter, die nur eine einzige Münze für den Tempel spenden kann.

Die nächste Abteilung zeigt die traditionelle Hand­werkskunst der seit Jahrtausenden in Palästina leben­den Juden. Die heiligen Stätten sind in naiver, nicht perspektivischer Weise dargestellt, aufgereiht wie in Darstellungen mittelalterlicher Kunst. Diese althergebrachte Kunst wird verglichen mit den kunsthandwerklichen Produkten der Bezalel-Schule, der ersten zionistischen Kunstakademie Israels, gegründet 1903 von Boris Schatz. Sie ist bis heute die wichtigste Kunstakademie Israels und Kader­schmie­de der zeitgenössischen israelischen Kunst.

Die Arbeiten der Schule zielen darauf, gegen das Vorurteil des »unproduktiven, unkreativen Juden« anzugehen, wie es von Richard Wagner in seinem antisemitischen Essay »Der Jude in der Musik« ver­breitet wurde. Der neue zionistische Jude in Is­rael sollte in seinem Heim umgeben von jüdischem Kunsthandwerk leben und so den Einklang von Theorie und Praxis des Zionismus realisieren.

»Eden – East and West« ist eine Ausstellung, die auf zwei Ebenen funktioniert. Der kritische Betrachter kann sehr wohl die Realitätsferne in der Darstellung des »Orientalischen« bemerken, die in der von den Ausstellungsmachern geschaffenen Gegenüberstellung bewusst gemacht wird. Der unbedarfte Besucher jedoch wird wahrscheinlich, genau wie der durchschnittliche Kunstkonsument des 19. Jahrhunderts, ganz einfach den Reiz der künstlerischen und kunsthandwerklichen Arbeiten würdigen und sich vom alten Geist zu einer stereotypen Wahr­nehmung verführen lassen.

»Eden – East and West«. Israel-Museum ­Jerusalem. Bis 17. Juni