Im Nazimärchenwald

In der Region um das sächsische Mittweida gibt es seit Monaten heftige Umtriebe von Neonazis. Die Gruppe »Sturm 34« wurde kürzlich verboten. von andré seitz

Mittags am 1. Mai im sächsischen Roßwein: Etwa 50 Autos fahren in den Ort ein, rund 200 Personen steigen aus und bilden einen Demonstrationszug. Sie tragen Transparente, auf denen geschrieben steht »Gegen linke Gewalt« und marschieren quer durch die Stadt zum Jugendhaus, einem Treffpunkt linker Jugendlicher der Region. Die Neonazis werfen Schnipsel mit Aufschriften wie »Demokratieverlängerer abschalten« und »Nationaler Widerstand« in die Luft und schmeißen mit Steinen die Scheiben des Jugendzentrums ein.

»Nach einer halben Stunde war es vorbei, die ganze Kolonne ist weitergefahren«, berichtet ein Augenzeuge der Jungle World. Die Polizei beschränkte sich zunächst auf das Fotografieren des unangemeldeten Aufmarsches und soll später einzelne Autos der Neonazis kontrolliert haben. Deren nächste Stationen waren die Städte Riesa und Oschatz, wo sie ebenfalls Kundgebungen abhielten.

Nicht erst mit dieser Aktion lenkte die Neonazi­szene der Region die Aufmerksamkeit auf sich. In der Woche zuvor hatte der sächsische Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) ein Verbot der Organisation »Sturm 34« erlassen. Nach seinen Angaben handelt es sich um eine etwa 50 Personen starke Gruppierung mit etwa 100 Anhängern, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Landkreis Mittweida zur »national befreiten Zone zu machen«, wie Buttolo auf einer Pressekonferenz erläuterte.

Etwa 200 Beamte der Bundespolizei wurden am 26. April bei einer Großrazzia in dem Ort eingesetzt, 24 Personen bekamen die Verbotsverfügung gegen »Sturm 34« zugestellt. Die Polizei fand Schreckschusswaffen und rechtsextremes Propagandamaterial. Auch Sprengstoff habe die Gruppe versucht herzustellen, sagte Buttolo. Nur eine der Hauptpersonen des »Sturm 34« sitzt bisher in Haft. Zu einem Gerichtstermin wegen eines Überfalls auf ein Imbisslokal und wegen Hakenkreuzschmierereien erschien der Mann am Mittwoch der vorigen Woche in einem T-Shirt mit der Aufschrift: »1933 – mehr als irgendeine Nummer«.

Die ländliche Gegend im Dreieck zwischen Chem­nitz, Leipzig und Dresden ist in den vergangenen Jahren zum beliebten Aktionsfeld von Neonazis geworden. Im Landkreis Döbeln gingen Rechts­ex­tre­me gezielt gegen linke Zentren vor. Im Landkreis Mittweida nahm die Gewalt härtere Formen an. Es verging kaum eine Woche ohne Übergriffe, Einschüchterungen und Pöbeleien. Hier war »Sturm 34« aktiv.

Am kommenden Samstag veranstaltet ein Antifabündnis eine Demonstration in Mittweida unter dem Motto: »Naziterror stoppen – alternative Freiräume schaffen!« David, einer der Organisatoren der Demons­tration, sagte der Jungle World: »So kann es nicht weitergehen. Die Polizei ist einfach untätig.«

Der Bürgermeister von Mittweida, Matthias Damm (CDU), und Landrat Andreas Schramm (CDU) sind es nicht. Sie wollen die Demonstration verhindern. »Niemand verliert eine zweifelhafte Gesinnung bei einer möglicherweise gewaltsamen Auseinandersetzung«, meinte der Landrat.

In der Chemnitzer Morgenpost meldete sich sogar der Leiter der freiwilligen Feuerwehr Mittweida zu Wort: »Ich hoffe, dass der Bürgermeister die Demo noch abwürgt.« Der Feuerwehrchef befürchtet, dass es auf der von ihm geplanten Feier zur Einweihung eines neuen Gerätehauses am selben Tag zu Zusammenstößen zwischen Linken und Rechten kommen könnte.

Wer für die Demonstration ist, hat es nicht leicht in dem Ort. Torsten Bachmann, ein Stadtrat der Linkspartei, erzählt der Jungle World: »Im Stadtrat muss ich mir die Vorwürfe von CDU und FDP anhören. Man wirft mir vor, mit meiner Unterstützung für die Antifademonstration hätte ich das Recht verwirkt, Stadtrat zu sein, weil ich damit das Wohl der Stadt Mittweida schädigen würde.«

Bachmann sitzt in seinem Büro hinter zertrümmerten Panzerglasscheiben, die Fenster sind zum Schutz mit Brettern vernagelt. Neonazis hatten das Gebäude angegriffen. »Um diese Scheiben einzuschlagen, muss man minuten­lang auf sie einrammen«, sagt er. »Leider wohnt hier niemand gegenüber. Die nächsten Nachbarn rufen zwar immer die Polizei, aber die kommt meistens zu spät.« Regelmäßig würden Hakenkreuze und SS-Runen geschmiert. »In der Woche der Gründung des Bürgerbündnisses gegen Rechts­extremismus hat die Gewalt noch einmal extrem zugenommen.« Die Gründung und ein weiteres Treffen des bürgerlichen Bündnisses konnten nur unter Polizeischutz stattfinden.

Der Bürgermeister Damm, der Landrat Schramm und Innenminister Buttolo werden in­zwischen auch kritisiert. »Das Verbot von ›Sturm 34‹ kommt viel zu spät und auch nur, weil es jetzt die Demonstration gibt«, meint Dieter Mirowsky, ein Verdi-Sekretär, der in einem Nachbardorf von Mittweida wohnt. »Die Politiker schauen weg.«

Spötter bezeichnen den Landkreis wegen des Autokennzeichens »MW« als »Märchenwald«. Die Gegend ist geprägt von kleinen Wäldchen und Feldern, am Straßenrand stehen einzelne Gehöfte. »Gäbe es zwei Monde, würde Mittweida hinter zwei Monden leben«, meint eine zugereiste Einwohnerin. Aber es gibt auch alternatives Leben in der Gegend, wie etwa in einer alten leerstehenden Schule in der Kleinstadt Geringswalde. Hier treffen sich Punks aus dem ganzen Landkreis. Es gibt einen Proberaum für Bands, abends hören sie Musik und trinken Bier. In den vergangenen Monaten war der Club ein ständiges Angriffsziel von Neonazis. Erst schmissen sie im Erdgeschoß die Scheiben ein, dann, als die Punks einen Stock höher gezogen waren, im zweiten Stock. Auch hier sind zum Schutz die Fenster vernagelt.

»Die Nazis liefen hier Patrouille«, erzählt David, der den Club mitaufgebaut hat. Bei einem Angriff habe er einem älteren Mann zu Hilfe kommen wollen. »Daraufhin haben die Nazis mein Auto völlig zerlegt«, berichtet er. »Als unser Plan für die Antifademo bekannt wurde, hängten die Nazis Steckbriefe mit Fotos von uns auf.« Für die Demonstration ist er auf das Schlimmste gefasst. »Ich rechne fest damit, dass die Demo angegriffen wird. Und wenn nicht, werden die Nazis am selben Abend wieder in Roßwein oder Döbeln provozieren.«