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Es geht an die Nieren

Die große Spendershow. Nun, da alles vorbei ist, muss man dem niederländischen Fernsehsender BNN-TV Respekt aussprechen. Die Diskussion um die »Große Spendershow« wurde schon vor dem Sendetermin erbittert geführt, nicht nur in den Niederlanden. »Darf die Niere einer Todkranken in einer Fernsehshow an ebenfalls kranke, einer Transplantation bedürftige Kandidaten verlost werden?« fragten sich Politiker, Ärzte und Journalisten.

Doch am Freitag erlebten die Zuschauer nicht eine neue Form des exploitativen Fernsehens, sondern eine Mediensatire. 70 Minuten lang ließ der Moderator das Publikum in dem Glauben, eine bizarre Form des Organhandels zu verfolgen. Irgendwann kam aber die Auflösung: alles nur ein Schwindel! Die Macher der Sendung hätten beabsichtigt, die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema der Organ­spenden zu lenken. Dass ihnen das gelungen ist, bleibt zu bezweifeln. Vielmehr haben sie gezeigt, was im Reality-TV möglich sein könnte. Denn mit einem Schwindel hatte niemand gerechnet. (mst)

Im Kinosessel auf dem Schützenfest

Fleisch ist mein Gemüse. Der »Verlierer« gehört zur Popkultur. Johnny Cash sang ganz in Schwarz gekleidet für die vom Leben gebeutelten Zeitgenossen. Punk erhob das Verlieren mit Stolz zum Prinzip. Die Generation X und die Grunge hörenden Slacker tauschten die Wut des Punk gegen eine melancholische Lethargie ein. Doch selbst­verständlich hing dem Loser-Image auch immer etwas überaus Cooles an.

Anders verhält es sich mit den Verlierern, deren Geschichte Heinz Strunk in seinem autobiografischen Buch »Fleisch ist mein Gemüse« erzählt. Es wird zurzeit verfilmt. Anfang 2008 wird »Fleisch ist mein Gemüse« voraussichtlich in die Kinos kommen. Maxim Mehmet tingelt in der Rolle des Heinz Strunk mit der Tanzkapelle Tiffany’s durch die norddeutsche Provinz, spielt auf Schützenfesten Saxofon, verflucht seine schlimme Akne und versucht vergeblich, die Aufmerksamkeit einer Landschönheit zu gewinnen. Gedreht wurde unter anderem in tristen Nestern wie Winsen an der Luhe, Maschen, Stelle und Lüneburg. Nach Angaben des Verleihs wurde bei der Auswahl der Komparsen streng darauf geachtet, den modischen Gepflogenheiten der achtziger Jahre gerecht zu werden. Rocko Schamoni wird in einer Gastrolle als Schützenkönig zu sehen sein.

Man darf also gespannt sein. Doch dennoch gilt: Nichts ist schlim­mer als die Wirklichkeit. Und wer wie Heinz Strunk eine »Landjugend mit Musik« erlebt hat, wird es bestätigen kön­nen. (mst)

Der Teufel spricht

Anton Szandor LaVey. Das Leben unter den Bedingungen des Spätkapitalismus kann bei den Menschen zu schlimmen Verblendungen führen. Sie äußern sich manchmal in gefährlichen politischen Formen. Glücklicherweise kanalisiert der kulturelle Pluralismus einen Teil der ideologischen Verwirrungen in seine zahllosen abstrusen Nischen.

Eine von ihnen hat Anton Szandor LaVey vor mehr als 40 Jahren eingerichtet. In der so genannten Walpurgisnacht des Jahres 1966 rasierte sich der US-Amerikaner den Schädel, gründete die Church of Satan, einen »herrlichen Tempel der Sinnenfreude und Fleischeslust«, und machte natürlich sich selbst zum Vorsteher der Sekte. LaVey war keineswegs ein vollkommen entrückter Zeitgenosse. Er verstand es, sich in der Öffentlichkeit in Szene zu setzen, kannte Marilyn Monroe, Mick Jagger und Keith Richards. Auch Schock-Rocker wie Marilyn Manson haben sich ausgiebig bei LaVeys Ideologie bedient, wenn man das krude Gebrabbel des Hohepriesters überhaupt als solche bezeichnen will. Vor zehn Jahren starb der Gründer der Church of Satan. Da hat selbst der Pakt mit dem Teufel nichts genützt. Aus Anlass dieses Jubiläums erscheinen demnächst etliche »Werke« LaVeys als Bücher und Hörbücher in deutscher Sprache.

Man muss übrigens nicht im Entferntesten ein Satanist sein, um sich mit diesen Dokumenten der Trashkultur die Zeit zu vertreiben. Die Church of Satan war schon immer für einen Lacher gut. (mst)

Second Death

Aus der virtuellen Realität. Die Internetwelt »Second Life«, in der man sich einen eigenen Charakter basteln, Freundschaften schließen, Grundstücke kaufen und eigentlich alles nur Erdenkliche tun kann, kennt fast jeder. Doch über eine Figur, einen so genannten Avatar, verfügen nach den Angaben einer neuen Studie nur knapp acht Prozent der deutschen Internetnutzer. Nicht einmal ein Prozent der User spielt mindestens einmal in der Woche.

Was für den kommerziellen Erfolg des von dem Unternehmen Linden Labs betriebenen Portals wichtiger sein dürfte: Die Werbekampagnen, die in »Second Life« stattfinden, erfüllen ihren Zweck kaum, wird in der Studie ebenfalls behauptet. Denn zum einen werden sie nur von wenigen Menschen wahrgenommen. Zum zweiten sei das Marketing zu altbacken und nicht an die Gegebenheiten der Internetwelt angepasst. Sollten die einschlägigen Firmen in Zukunft ihr Geld nicht mehr für die Werbung vergeuden, hätte das erhebliche Auswirkungen. Droht »Second Life« der Tod? So langweilig, wie es dort zugeht, kann es einem wirklich gleichgültig sein. (mst)

Warten lohnt sich

Shellac. In der Musikwelt gehe es schnellebig zu, heißt es. Eine Band, die nicht regelmäßig Platten veröffentliche und sich nicht an die Produktions- und Vermarktungszyklen halte, gerate früher oder später in Vergessenheit, wird gemahnt. Shellac, die Band des Produzen­ten Steve Albini, schert sich nicht um solche Vorgaben. Ihr letztes Album hat sie im Jahr 2000 veröffentlicht. Man kann kaum behaupten, niemand habe auf das neue gewartet. Nun ist »Excellent Italian Greyhound« da. Wie mit den Veröffentlichungen hält es die Band mit der Musik. Zäh, langsam, spröde und reduziert geht es zu. Und auch nach sieben Jahren Pause machen Shellac immer noch den bes­ten minimalistischen Noise-Rock, den man sich vorstellen kann. (mst)