Not a white thang

Wie ergeht es einer Minderheit innerhalb einer Minderheit? Die neue Platte von The Student Body Presents und der Film »Afro-Punk« zeigen es. von sonja eismann

Welche Farbe hat Mariah Carey?« fragte Thomas Meinecke in seinem Roman »Hellblau«. »Schwarz«, antwortete er und gab so über einen Umstand Auskunft: Die Pop-Genres sind eingefärbt. Wieso erscheint die hellblonde Fergie im Umfeld ihrer HipHop-Band Black Eyed Peas auf einmal als Schwarze, während niemand die Indie-Musikerin Kimya Dawson, die früher mit Adam Green beim Antifolk-Projekt Moldy Peaches gespielt hat, als Afro­ame­ri­ka­ne­rin wahrnimmt? Seinen Dokumentarfilm »Afro-Punk« wollte der US-amerikanische Regisseur James Spooner eigentlich seiner eigenen, für die Öffentlichkeit weithin unsichtbaren Community, den schwarzen Punks, widmen. Herausgekommen ist weit mehr als das: ein Blick auf rassistische Stereo­type in der Populär­kultur.

Denn wieso werden bestimmte Genres per se als schwarz, andere wiederum als weiß festgeschrieben? Dabei gilt Spooners Blick nicht der Massenkultur, in der einerseits afroamerikanische Frauen wie Beyoncé immer »weißer« und »blonder« werden, um kaukasisch schön zu glänzen, andererseits aber Justin Timberlake mit Verweis auf den »weißesten« schwarzen Pop­star aller Zeiten, Michael Jackson, zum neuen »King of Pop« geadelt wird. Spooners Interesse gilt dem Punkrock, der den meis­ten Konsumenten völlig weiß erscheint. »Afro-Punk« versammelt Interviews und Konzertausschnitte alter und neuer Under­ground-Größen wie Bad Brains, 24-Spyz, TV on the Radio oder The Jai-Alai Savant sowie unzähliger, unbekannter, schwarzer Punkrockfans, die alle ein Gefühl eint: eine Minderheit in einer Minderheit zu sein.

Während in der mittlerweile meist mit R’n’B-Versatzstücken versehenen Hit­paradenware das Attribut »schwarz« die Credibility steigert, solange die Sängerinnen möglichst weiß aussehen, werden die Beiträge zum Punk, die Afroamerikaner geliefert haben, weitgehend ignoriert oder als exotische Ausnahmen betrachtet. Die Beiträge im Forum der Website ­afropunk.com, die die Macher des Films im Internet betreiben, zeigen das Dilemma des Do­kumentarfilms und des Aktivismus ­einer Minderheit sowie des Sprechens da­rüber. Einerseits gibt es den Wunsch, die Dichotomie »weiß-schwarz« zu überwinden, indem man nicht mehr über sie spricht, andererseits den vehement von Regisseur Spooner verfolgten Ansatz, die Diskriminierung sichtbar zu machen und ein neues Selbstbewusstsein zu schaffen. Denn ein zentraler Ausgangspunkt des Films, der mittlerweile als Auslöser einer nicht zu übersehenden und lange überfälligen Afro-Punk-Bewegung gesehen werden kann, ist das Gefühl der Vereinzelung.

Immer wieder beschreiben die zahlreichen Protagonistinnen, die James Spooner in allen Teilen der USA aufgesucht hat, die Erfahrung, »the only black kid« bei Punkkonzerten gewesen zu sein. Schwarze Punks sind weder cool noch hitverdächtig wie Eminem, sondern ein von jeder Seite in Frage ge­stelltes Kuriosum. Innerhalb der traditionell weißen Punk-Szene, deren egalitärer Anspruch in Fragen der Haut­farbe und des Geschlechts in der Realität nie auch nur annähernd zur Geltung kam, sowie innerhalb der schwarzen Community, von der den schwarzen Punks unterstellt wird, gemeinsame Sache mit dem Unterdrücker zu machen und sich eigentlich zu wünschen, selbst weiß zu sein. Wie Kekse der Marke »Oreo« seien sie, wird den schwarzen Iro- und Piercingträgerinnen oft vorgeworfen: außen schwarz, innen weiß.

Die Akteurinnen in Spooners reichlich konfusem Film, der eher mit der Thematik als mit den formalen Elemen­ten besticht, beschreiben diesen Zustand, nirgendwo dazuzugehören, als fortwährenden Kampf um eine selbst­bestimmte, nicht stereotype Iden­tität, die ihnen von keiner Seite zugestanden wird. Entnervt äußert ein Community-Mitglied auf der Website den Unmut über die limitierten Bilder, die im öffentlichen Bewusstsein abrufbar sind: »Nicht jede schwarze Person hört Rap, isst Maiskolben und trägt FUBU und Pelle Pelle. Ich wünsche mir, das könnten mehr Menschen verstehen.«

Es ist eine der Stärken des Films, dass er nicht nur die erschreckend unaufgeklärten oder sogar unsolidarischen weißen Punks betrachtet. Die von ihnen ausgehenden Diskriminierungen reichen von freundlicher Ignoranz bis zu auf Konzerten gebrüllten rassistischen Äußerungen. »Afro-Punk« weist auch auf die Probleme innerhalb der gerne als einheitlich wahrgenomme­nen schwarzen Community hin. Eine der Protagonistinnen, die mit ihren Eltern in einem beschaulichen südkalifor­nischen Vorort wohnt und sich vorauseilend für die fehlende Ghetto-Entou­rage entschuldigt, berichtet davon, immer nur mit weißen Jungs ausgegangen zu sein, weil es in ihrer Szene fast keine Schwarzen gebe. Ihre Eltern seien damit zufrieden, da sie Angst hätten, sie könne sonst leicht an einen mit Dro­gen dealenden, kriminellen Schwar­zen geraten.

Die Musik, die Spooner in seiner Dokumentation präsentiert, mag letztlich so marginal und streckenweise altbacken sein, wie sie ein ossifiziertes Gebilde wie Punk nach 30 Jahren nun einmal hervor­bringt. Dass er die perfiden Ein- und Ausschlussmechanismen innerhalb von Minoritäten beleuchtet, macht den Film so interessant. Zudem hat »Afro-Punk« bewirkt, dass eine neue Bewegung unter einer neuen Bezeichnung entstanden ist, die paradoxerweise nicht wie andere Zu­schreibungen in erster Linie einengend wirkt, sondern deutlich macht, dass keine Musikrichtung per se »a white thang« ist.

Die stilistische Offenheit der Afro-Punk-Bewegung hat auch dazu geführt, dass ein Electro-Spoken-Word-Duo wie The Student Body Presents aus dem kalifornischen Oakland sich als zugehörig fühlen kann, ohne eine besondere stilistische Affinität zu Punksounds zu haben.

Auf »Arts & Sciences«, dem ersten Album des Künstlerpaares Miasha Williams and Eric Porter, das auf dem sympathischen Heidelberger Klein-Label Rubai­yat erscheint, singt Miasha in »Boxes« über den Identitätssplit: »I used to listen to a lot of rock songs while I was growing up. They used to call me a white girl, that really tore me off. I tried and I tried and I lied and I lied and I just didn’t seem to fit in. There must be something wrong with me.« Der Song, der punkige Gitarren und Drums gewitzt als synthetische Phrase zitiert, erschien auch auf einem Sampler der seit 1985 bestehenden Black Rock Coalition und bringt die Mission von Afro-Punk so simpel wie scharf auf den Punkt: »Don’t put us in boxes.«

www.afropunk.com

The Student Body Presents: Arts & Sciences (Rubaiyat/Groove Attack)