Wohin dann mit den Spice Girls?

Der britische Journalist Jon Ronson schlüpft in parallele Welten und porträtiert Verschwörungsfanatiker am Vorabend des 11. September. von heike runge

Gegen Ende seines Experiments wurde es für Jon Ronson sogar lebensgefährlich. Rund ein Jahr durfte der Journalist dem Fundamentalisten Omar Bakri dabei zusehen, wie dieser sich abmühte, Großbritannien in eine islamische Republik umzuwandeln. »Ich bin nett«, hatte Englands führender Hassprediger am Telefon versichert und Ronson in sein Reihenhaus im Norden Londons eingeladen. Man sah sich gemeinsam ein Video von »Der König der Löwen« an, blätterte im Familienalbum, diskutierte den Namen des Töchterchens (»Schwarze Flagge des Islam«) und besprach schon mal, wie das Kulturprogramm der ehrwürdigen Popnation in der Zeit nach der Revolution aussehen würde. Ronson stellte die richtigen Fragen: »Was geschieht mit den Spice Girls?« wollte er wissen und erhielt gleich zwei Antworten: »Sie werden sogleich verhaftet« und »Es wird sie ganz einfach nicht geben«. Er beobachtete Bakri beim Verteilen von Flugblättern, auf denen sich der Fromme für »Waisenkinder« und gegen »schwulen Abschaum« ins Zeug legte, und begleitete Bakri bei dessen Versuchen, die größte Islamisten-Kundgebung auf die Beine zu stellen, die England je gesehen hat.

An einem Januarmorgen, dem ersten Tag des Ramadan, war es dann soweit; Bakri lud Ronson ein, ihn in ein geheimes militärisches Trainingslager außerhalb Londons zu begleiten. Der freute sich, endlich ins britische Zentrum des Jihad vorgelassen zu werden, bekam es allerdings schnell mit der Angst zu tun, als er im Lager inmitten der Wälder von Sussex aus heiterem Himmel von Bakri als Jude geoutetet wurde. Ronson, der seine Herkunft nie angesprochen hatte und ein Islamisten-Camp auch nicht für den geeigneten Ort hält, seine jüdische Identität preiszugeben, fiel zu seiner Verteidigung nichts Schlaueres ein, als zu erklären: »Es ist sicherlich besser, Jude zu sein als Atheist.« Die Männer im Camp sahen das nach kurzer Diskussion ganz ähnlich und einigten sich darauf, dass die semitische Herkunft Juden und Araber verbinde und Ronson schließlich und Gott sei Dank kein Israeli sei.

»Schnappschüsse des Lebens am 10. September« nennt der Journalist und Dokumentarfilmer Jon Ronson seine Geschichten von Islamisten, Nazis, Rassisten und Verschwörungstheoretikern, die er in seinem Buch »Radikal – Abenteuer mit Extremisten« erzählt und die aus einer Zeit kurz vor 9/11 stammen, als Extremistenführer wie Bakri noch als Paranoiker am Rande der Gesellschaft gelten konnten. Ronson schlüpfte in Parallelgesellschaften und schaute Extremisten dabei zu, wie sie auf die Gesellschaft am Vorabend der Terrorattacken blicken. Und stellte fest, dass die PR-erfahrensten Ku-Klux-Klan-Anhänger, esoterischsten Anti-Globalisten und durchgeknalltesten Fundamentalisten alle der Überzeugung anhängen, dass eine kleine Elite die Welt aus einem geheimen Raum regiert. Von seinen Interviewpartnern wollte Ronson wissen, wo sich der Raum der Weltenlenker befindet und wie man hineinkommt. Entstanden sind hübsch lakonische Reportagen über die Protagonisten von Verschwörungstheorien, die nach den Anschlägen des 11. September in den Mainstream einzusickern begannen. Ronsons Buch, auf das man in Deutschland lange warten musste, ist in den USA und Großbritannien bereits ein Bestseller und wird mit Reese Witherspoon und Jack Black in den Hauptrollen verfilmt.

Bereitwillig Einlass beim Jahreskongress der Rassisten im Ozark-Gebirge im nördlichen Arkansas gewährte Ku-Klux-Klan-Boss Thom Robb. Dem Chefrassisten kam die Anwesenheit eines prominenten Medienvertreters nicht ungelegen, schließlich plante er einen radikalen Imagewechsel seiner für brutale Aktionen gegen Schwarze berüchtigten Organisation, und Ronson sollte die frohe Botschaft der Läuterung verbreiten. Seinen Anhängern schärfte Robb die Grundlagen des positiven Denkens ein; das N-Wort aus dem Wortschatz streichen, Schwarze nicht mehr hassen, einfach nur die weiße Rasse lieben. Der Grand Wizard der Ritter vom Ku-Klux-Klan trat dabei derart freundlich auf, dass sich Ronson auf der Stelle an die Liebenswürdigkeit eines Woody Allen erinnert fühlte. Auch Anna, die Tochter des Clan-Chefs, war schrecklich nett. Sie hielt einen Workshop über Persönlichkeitsentwicklung ab, der allerdings nicht bei allen auf Gegenliebe stieß, wie Ronson beobachten konnte. Den Teilnehmern wurde eine Liste mit Eigenschaften präsentiert, die man bei Klanmitgliedern nicht dulden wollte. »Übersensibel. Taktlos. Geschwätzig. Will Anerkennung. Abwesend. Workaholic. Kriegerisch.« »Entschuldigung«, hörte Ronson einen Mann sagen, der sich mit »Fred« vorstellte, »hier steht kriegerisch. Nun, ich finde nicht, dass es eine Schwäche ist, kriegerisch zu sein.« Statt sich mit soft skills zu befassen, verstrickte sich der Ku-Klux-Klan in eine dem neuen Image ziemlich abträgliche Militanz-Debatte.

Ein Höhepunkt des Buches ist sicher die Geschichte über das bizarre Ritual des Eulenopfers in den nordkalifornischen Wäldern, an dem Politiker und Manager im sagenumwobenen »Bohemian Grove« teilnehmen. Das Resort mit dem klangvollen Namen ist eine Art permanentes Heiligendamm, ein exklusives Sommervergnügen einflussreicher Männer mit strengem Sicherheitsdienst und Zutrittsverbot für Medienvertreter und Frauen. Es sind vor allem die merkwürdigen Trink- und Piss-Rituale und die demonstrative Abschottung, die Bohemian Grove zu einer kuriosen Machtinszenierung hat werden lassen. Auch wenn der Club versichert, auf dem 1 100 Hektar großen Areal gehe alles mit rechten Dingen zu, halten sich hartnäckig Gerüchte über sexuelle Ausschweifungen und perverse Zeremonien.

»Es ist das ultimative Hinterzimmer«, erfährt Ronson von einer lokalen Anti-Bohemian-Grove-Aktivistin und bekommt eine Mitgliederliste der üblichen Verdächtigen präsentiert, mit Kissinger, Rockefeller, Bush, Reagan, Nixon sowie Allan Greenspan von der Notenbank und Filmstar Clint Eastwood. Als sich Ronson darüber wundert, dass sich Rechte und Linke im Kampf gegen das VIP-Camp einig sind, antwortet Globalisierungsgegnerin Mary schulterzuckend: »Wir alle hassen Henry Kissinger.«

Alex Jones, rechter Radiomoderator aus Texas, hasst ihn definitiv. Der Texaner verachtet die gesamte »Ostküste« und ist für Jon Ronson damit genau die richtige Begleitung für eine Stippvisite im Sommerlager. In edles Khaki gekleidet, spazieren die beiden an der Security vorbei ins Camp, diskutieren über die Zukunft von Microsoft und gehen als ganz gewöhnliche Clubmitglieder durch. »Es ist ein kranker Ort«, raunt Alex Jones, und auch der nüchterne Ronson ist vom Rocky-Horror-Picture-Show-Anstrich der Kolonie nicht unbeeindruckt. Rote Laternen hängen in Bäumen wie Teufelsaugen, Holzschilder weisen die Lager mit Namen wie »Verlorene Engel«, »Wolf«, »Drachen« aus, Eulen in allen Formen und Größen sorgen für eine druidisch-satanische Aura. Partyfotos in einem Schaukasten zeigen ältere Herren in Frauenkleidern und sexy Posen.

Kissinger in Strapsen bekommen Jones und Ronson an diesem Abend dann zwar nicht ­geboten, dafür aber das legendäre Freiluftspek­takel »Kremation der Sorge«, ein Mix aus Artus-Legende, Shakespeare und Hollywood-Trash, bei dem im Innern einer 13 Meter hohen Eulenstatue eine Stofffigur verbrannt wird. Darüber, was sie an diesem Abend gesehen haben, können sich Jones und Ronson allerdings bis heute nicht einigen.

»Sie verbrennen die Figur eines Menschen für ihren Eulengott. Das war ein nachgestelltes Menschenopfer, mit einem Menschen, der um sein Leben bat. Das war bizarrer luziferischer Müll«, behauptete Jones, dessen ruckelige ­Videobilder der Zeremonie im Internet zum Kultfilmchen wurden. Auf seiner Website triumphiert er: »Erstes Video aus dem kalifornischen Sommerlager der Globalisten! Führer aus Politik, Wirtschaft, Universitäten und Kultur auf Band, wie sie eine 15 Meter hohe gehörnte Eule anbeten und ein Menschenopfer nachspielen.« »Sie brachten nicht die Figur eines Menschen um«, widerspricht Ronson, »sie verbrannten ein Symbol ihrer Sorgen, damit sie ihre blöden Sommerferien genießen können.«

Ohne Zweifel ist John Ronson die sympathische Stimme der Vernunft im Chor der Psychopathen. Genau diese Selbstinszenierung des jungen, klugen, weltoffenen Good Guy, der sich unter die abseitigsten Gestalten mischt, macht den Charme und den Erfolg des Buchs aus. Ronson ist ein Anti-Verschwörerungstheoretiker, der sich umsichtig der Methodik des Bloßstellens seines Gegenübers bedient, mit der Michael Moore in der brachialen Variante zum Superstar wurde.

Wirklich aufgedeckt und in Erfahrung gebracht wird von diesem Ego-Journalismus, der die komplexe Recherche scheut, naturgemäß aber eher wenig. Produziert werden Abenteuergeschichten, in denen der Journalist die heimliche Hauptrolle übernimmt. Er gleicht damit fast schon ein bisschen seinen paranoiden Gegenspielern, die in den großen Weltläuften immer nur ihr eigene kleine Existenz gespiegelt sehen wollen. Auch wenn John Ronsons Erzählungen natürlich tausendmal amüsanter und humaner sind als die seiner Gegner.

Jon Ronson: Radikal – Abenteuer mit Extremisten. Salis, Zürich 2007, 24,90 Euro