Da greift sich doch der Skinhead an den Kopf

Sächsische Neonazis rebellieren gegen den Anführer Christian Worch und liefern damit ein neues Beispiel für ein grundlegendes Problem der Kameradschaftsszene. Sie braucht Anführer, aber diese wollen zu viel Macht. Von Arthur Leone

»Also, wie soll man so ein Verhalten nennen? Hinterhältig und heimtückisch sind dafür Worte, von denen ich keine Silbe, keinen Buchstaben zurücknehme.« Christian Worch war wütend. Die »Kameradenschweine« aus der Region hatten ihn sitzenlassen mit seinem Aufmarsch Ende Juli, bei dem schließlich 37 Nazis von 1 500 Polizisten bewacht wurden. Er will nun keinen einzigen Aufmarsch in Leipzig mehr anmelden (Jungle World 30/2007). Aber was steckt hinter den Vorgängen um die »Boykotteure von Leipzig«, wie sie auf der rechtsextremen Internetseite Altermedia genannt werden?

Als Drahtzieher des Boykotts gelten der Aktivist und zeitweilige »Organisationsleiter« des »Kampf­bundes Deutscher Sozialisten« (KDS) aus Altenburg, Thomas Gerlach, und der Delitzscher Kameradschaftsanführer Maik Scheffler. Beide versuchten zunächst, den Boykott in Internetforen wie Altermedia zu leugnen. Die Schuld an dem Reinfall trage Worch allein. Als die Gegenargumente zu drückend wurden, zogen sie sich jedoch aus der Diskussion zurück. Diese wurde auch ohne sie weitergeführt, auf Altermedia wurden sogar Drohungen ausgesprochen: »Ich hoffe, ihr wisst, was man mit Gewürm wie euch macht? Wer uns das Messer in den Rücken rammt, hat es selber schnell an der Kehle!« Bedroht wurde aber auch Worch: »Meiner Meinung nach sollte ein Herr Worch ganz schnell seinen Hut nehmen. Und wenn er nicht freiwillig geht, sorgen wir dafür, dass er geht.« Die meisten beklagten aber den Zustand der deutschen Neonazi-Szene: »Das soll ein Führungsverhalten sein? Das ist ja wie am Balkan!«

Es gibt eine neue Trennungslinie unter den »Kameraden«. Diesmal verläuft sie nicht zwischen »freien« Kameradschaften und NPD, denn beide arbeiten in vielen Regionen mittlerweile recht gut zusammen, hier und da hat sich die NPD die relevanten Kameradschaftskader mit Posten gekauft. Der Konflikt brach diesmal innerhalb der »freien« Strukturen aus, und er hat andere Hintergründe. Einerseits stehen sich wieder die Vertreter einer klassischen Nazi-Politik und die Anhänger des »autonomen« Nationalismus gegenüber. Die einen halten an erprobten Mitteln der Politik, wie etwa angemeldeten Groß­aufmärschen, fest, die anderen orientieren sich von der Kleidung bis zur Aktionsform an der Antifa und haben vor allem »erlebnisorientierte« rechts­extreme Jugendliche hinter sich. Andererseits entspringt der Konflikt aus einem Grundproblem der Neonazi-Szene: Sie kann nur mithilfe von Führungsfiguren politisch handlungsfähig sein; deren wichtigstes Ziel ist dann aber meist die Stärkung der eigenen Führungsrolle.

Gerlach und Scheffler haben die »freien« Nationalisten der Region Leipzig im Griff, von Altenburg im Süden und Delitzsch im Norden aus. Wie in vielen anderen Regionen ist diese Szene vor allem auf dem Land und in den Kleinstädten stark, in Leipzig selbst hat sie eher mit Gegenwehr zu rechnen. Sie kann ihr Selbstbewusstsein auf eine Vielzahl kleinerer Aktionen stützen. Man fährt zusammen zu Aufmärschen, beteiligt sich an Protesten gegen »Kinderschänder«, wie etwa in Schkeuditz, stört gemeinsam mit NPD-Kadern bürgerliche Anti-Nazi-Diskussionsveranstaltungen, lädt zu Sonnenwendfeiern ein und verteilt Flugblätter gegen Kapitalismus oder Hip-Hop.

In Borna bahnt sich sogar eine Zusammenarbeit mit dem »Gedenkstätten«-Projekt der Alt­nazis des »Collegium Humanum« an: Ein Treffpunkt für »nationale« Jugendliche soll im Tausch gegen handfesten Schutz von Gelände und Veranstaltungen entstehen. Gleichzeitig sind Gerlach und Scheffler am Aufbau bundesweit agierender Ordnerdienste beteiligt, die bei Aufmärschen, Konzerten oder Parteiveranstaltungen in Erschei­nung treten. So ist Scheffler Mitglied der Organisation »Selbstschutz Sachsen-Anhalt (SS/SA)«, die mitt­lerweile als »Selbstschutz Deutschland« firmiert und ihre Dienstleistungen Veranstaltern von Sachsen bis Niedersachsen anbietet.

All das dürfte den beiden Selbstbewusstsein genug gegeben haben, auch einen Christian Worch »in die Hacken treten« zu können, wie Worch es nennt. Sie dürften mit ihm zusammen auch kein »Heldengedenken« in Halbe und keine Aufmärsche in Leipzig mehr organisieren. Ob sie sich mit dem Affront allerdings einen Gefallen getan haben, ist selbst aus Sicht vieler Neonazis fragwürdig. Es ist zwar eher unwahrscheinlich, dass sich beide Seiten »demnächst gegenseitig auf die Schnauze hauen, am besten direkt vor der Antifa«, wie ein Diskussionsteilnehmer auf Altermedia befürchtete. Aber ebenso fragwürdig ist es, ob Scheffler und Gerlach mit ihren viel gepriesenen Aktionsformen wirklich neue Möglichkeiten rechtsextremer Politik entdeckt haben.

Gerade auf Leipzig, das ihnen als linke Hochburg gilt, legen Scheffler und Gerlach und ihre »Freien Kräfte Leipzig« viel Wert. Aber was sie dort als alternative Aktionen zu den jährlichen Großaufmärschen präsentieren, ist keineswegs neu und wirkt eher wie eine erzwungene Reaktion auf Antifa-Aktivitäten und Repressalien durch die Polizei. Alles wird da als Erfolg gefeiert: ob Flugblätter vor Supermärkten verteilt werden oder ob man mit 60 Leuten 20 Minuten durch ein Neubaugebiet marschiert. Gerlach hat es in seinem Bericht zu einem ähnlichen Aufmarsch im Dezember selbst auf den Punkt gebracht: Man habe bewusst auf eine öffentliche Mobilisierung verzichtet, um endlich einmal ohne antifaschistische Gegenwehr demonstrieren zu können. Man ist genügsam geworden.

Ob Gerlach und Scheffler die besseren Konzepte haben als Worch oder nicht: Es sind wieder einmal die Chef-Allüren der Kader, die die Szene spalten. Aber ohne ihre Anleiter kommen die Neo­nazis eben trotz des Geredes vom »führerlosen Widerstand« nicht aus. Nachts Scheiben einwerfen und Menschen zusammenschlagen können sie auch ohne Chef. Wenn aber Gruppen wie die »Freien Kräfte Leipzig« ganz allein politische Aktionen für die Öffentlichkeit organisieren sollen, sieht das so aus wie Anfang August auf ihrer Website. Als Reaktion auf ein antirassistisches Fußballturnier fuhren sie zu zwölft an den Baggersee, schlugen vor der Kamera auf Medizinbälle ein und verkauften das Ganze dann als »Sportfest« zur Ertüchtigung des »deutschen Volkes«.