Home Story

Während sich andere Herumtreiber und Taugenichtse wochentags noch einmal gemütlich im Bett umdrehen, von geselligen Abenden in Kneipen und Spelunken träumen, das Tagewerk um ein, zwei Stündchen nach hinten verschieben und die Nase tief ins Kissen drücken, sitzen die Redakteurinnen und Redakteure der Jungle World bereits mit stumpfem Blick vor ihren Rechnern. Sie geben vor zu arbeiten. Tatsächlich aber warten sie auf ihre kreative Phase, die naturgemäß nicht vor 13 Uhr anfängt.

Doch Arbeitsbeginn ist neuerdings schon um zehn oder elf Uhr. Mit dem neuen Erscheinungstag Ihrer Lieblingszeitung hat sich die Redaktion zwar ein wunderbares Wochenende freigeräumt, aber sich auch jene unmenschliche Disziplinierungsmaßnahme eingebrockt, die aus dem genannten Grund keineswegs einen früheren Feierabend mit sich gebracht hat.

Es muss etwas mit dem Irrglauben zu tun haben, basisdemokratisch gefällte Entscheidungen seien richtige Entscheidungen. Vergnügen könne man sich ja am Wochenende, lautete damals ein absurdes Argument für den früheren Arbeitsbeginn. Man schaffe dann noch andere Dinge neben der Arbeit, ein weiteres. Man habe dann mehr vom Tag, war eine Stimme zu hören. Später wollte es niemand gewesen sein.

»Die Eltern waren es, die Eltern!« schrie einmal ein Kollege aus heiterem Himmel, zu jener Tageszeit, in der sich seine grauen Zellen in Bewegung zu setzen pflegen. »Das ist die Diktatur der Eltern!« ereiferte er sich. »Weil die sich schon morgens mit ihrer schreienden Brut beschäftigen und sie in die Kita bringen müssen, arbeiten wir jetzt zu nachtschlafender Zeit!« »Alle Diktatoren waren Frühaufsteher«, analysierte in Denkerpose ein anderer Kollege später, weit nach 13 Uhr. »Bin Laden muss auch einer sein, sonst könnte er so früh nicht beten.« Und dann die Erkenntnis: »Das Frühaufstehen ist die Wurzel des Faschismus.«

Jedenfalls haben insgeheim alle längst eingesehen, dass es nur Sinn hat, die Arbeitszeiten nach den Schaffensphasen auszurichten, nicht umgekehrt. Es wird bloß noch nicht ausgesprochen. Bis es soweit ist, trinkt man täglich bis 13 Uhr Kaffee, damit der Kopf nicht auf die Tastatur plumpst, und wartet, bis sie kommt, die Zeit der scharfsinnigen Analysen, der geistreichen Kommentare, der beinharten Kritiken und der stilistischen Raffinessen. Das tut sie, nur später statt früher. Viel Spaß beim Lesen!