Die Volkspartei macht’s vor

Antifas vermuten die Verantwortlichen für zwei Anschläge in der Schweiz in der rechts­extremen Szene. Die hat sich ausdifferenziert und hat Überschneidungen mit dem nationalkonservativen Spektrum. von hans stutz, luzern

»Offenbar gibt es in der Schweiz militante Nazi­strukturen, die über die erforderlichen Fähigkeiten und die notwendige Logistik zur Durchführung von Anschlägen dieser Qualität verfügen«, schrieben die Veranstalter eines antifaschistischen Festivals in Bern in einer Mitteilung an die Medien. Beim gut besuchten Abschlusskonzert in der autonom verwalteten Berner Reithalle Anfang August hatten einige Besucher kurz vor Mitternacht einen verdächtigen Rucksack entdeckt. Sie legten ihn vor einen Notausgang, wo er kurz darauf mit einer mehrere Meter hohen Stichflamme detonierte. Im Rucksack hatten sich drei mit einer brennbaren Flüssigkeit gefüllte Flaschen befunden, die mit einem Zeitzünder zur Explosion gebracht wurden.

Wenige Tage zuvor, am Schweizer National­feiertag, war auf der Rütliwiese unmittelbar nach dem Ende der halboffiziellen Bundesfeier ein handelsüblicher Feuerwerkskörper explodiert, ebenfalls ausgelöst mit einem Zeitzünder. In beiden Fällen sind die Täter bislang nicht gefasst. Der Berner Brandanschlag wird im Schweizer Forum von Blood and Honour mit viel Wohlwollen kommentiert. Allerdings ist dies noch kein Nachweis »militanter Nazistrukturen«.

Angriffe auf missliebige Personen und Veranstaltungen gehören seit jeher zu den Aktivitäten der rechtsextremen Szene. Ende Juni griffen Naziskins in der Kleinstadt Glarus Teilnehmer einer von Jungsozialisten organisierten antirassistischen Kundgebung an. Die rechtsex­treme Gewalt richtet sich aber auch immer wieder gegen Ausländer und Menschen schwarzer Hautfarbe. So attackierten etwa am 9. August acht Rechtsextremisten in Genf drei junge Afrikaner, zuerst verbal, dann körperlich. Rekruten der Schwei­zer Armee, die zufällig des Weges kamen, retteten die Männer vor ihren Angreifern und ermöglichten der Polizei deren Festnahme. Bei den anschließenden Hausdurchsuchungen fand die Polizei eine ansehnliche Menge von Nazi-Devotionalien.

Was die Zahl ihrer Mitglieder angeht, stagniert die Szene der Schweizer Rechtsextremisten seit Jahren – allerdings auf dem höchsten Niveau seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Rund 1 200 bis 1 500 Männer und Frauen, die überwiegend in ländlicher oder kleinstädtischer Umgebung leben, können dem engeren Kreis zugerechnet werden. Dieser besteht vor allem aus losen subkulturellen Gruppierungen rechtsextremistischer Skins, die meist lokal oder regional organisiert sind. Die Bedeutung der beiden internationalen Netzwerke von Naziskins, Hammerskinheads und Blood and Honour, die in den vergangenen Jahren vor allem als Konzertorganisatoren aufgetreten waren, hat ebenso abgenommen wie jene der einst sehr aktiven Schweizer Holocaust-Leugner, die über Kontakte in alle Welt verfügen. Ihre Vereinigung Vérité et Justice (Wahrheit und Gerechtigkeit) wurde vor einigen Jahren gerichtlich aufgelöst, mehrere Exponenten verließen – nach rechtskräftigen Verurteilungen wegen »Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm« – das Land. So auch Jürgen Graf, der Verfasser vieler einschlägiger Werke, der zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Der ehemalige Lehrer lebt seit Jahren in Russland.

Bislang nicht rechtskräftig verurteilt ist Bernhard Schaub, der in den vergangenen Jahren auch häufig in Deutschland auftrat, sowohl bei Freien Kameradschaften als auch bei NPD-Sektionen. Als erster Vorsitzender des im nordrhein-westfälischen Vlotho gegründeten »Vereins zur Rehabilitierung des wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten« hatte er im vergangenen September auch einen Auftritt auf der »Holocaust-Konferenz« des iranischen Staatspräsidenten Mahmoud Ah­madinedjad. In der Schweiz ist Schaub allerdings in der Zwischenzeit zum Einzelkämpfer mutiert. Die von ihm gegründete und angeführte »Nationale Außerparlamentarische Opposition« ist nicht mehr aktiv. Er bietet inzwischen aber Kurse für »Nordische Gymnastik« an. »Nordisch« heiße die Gymnastik, so seine Ankündigung, »weil sie dem Bewegungstyp des mittel- und nordeuro­päischen Menschen« entspreche. Schaub stützt sich bei seiner Eigenentwicklung einerseits auf eine anthroposophische Bewegungslehre, andererseits auf die »Deutsche Gymnastik«, die einst im nationalsozialistischen »Bund Deutscher Mädel« (BDM) betrieben wurde.

Am aktivsten ist die im Herbst 2000 gegründete Partei National Orientierter Schweizer (PNOS). Die Partei, die von ehemaligen Mitgliedern von Blood and Honour gegründet wurde, verfügt heute über fünf Sektionen und drei Ortsgruppen. In der Kleinstadt Langenthal sitzt seit Herbst 2005 ein Mitglied der PNOS im Gemeindeparlament, und in einem kleinen Dorf bei Solothurn ist ein anderer in der Dorfregierung. Weitere Wahlbeteiligungen blieben erfolglos. Für die Ende Oktober stattfindenden Parlamentswahlen (National- und Ständerat) hat die Partei bisher keine Liste eingereicht. Die PNOS agiert gemäß der Tradition der Brüder Strasser, indem sie einerseits die bestehenden sozialen Ungerechtigkeiten kritisiert, andererseits von verschiedenen faschistischen Strömungen der dreißiger Jahre inspirierte staats­politische Vorstellungen propagiert, beispielsweise einen autoritären Staat und die Vertreibung nichteuropäischer Migrantinnen und Migranten.

Die rechtsextremistische Szene gedeiht in der Schweiz im großen Schatten der nationalkonservativen Organisatoren und Parteien, allen voran der Schweizerischen Volkspartei. Sie ist mit zwei Sitzen in der siebenköpfigen Schweizer Landesregierung vertreten und hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten, unter der Führung des Milliardärs Christoph Blocher, rüde Kampagnen gegen Asylbewerber, Ausländer, Sozialhilfeempfänger und weitere Minderheiten betrieben. Vertreter der Partei gefallen sich denn auch immer wieder darin, einerseits antirassistische und gegen den Rechtsextremismus gerichtete Aktivitäten zu diskreditieren, andererseits rechtsextremistische Aktivitäten zu verharmlosen.

Am augenfälligsten war dies in den vergangenen Jahren bei den Auseinandersetzungen um die Bundesfeier auf dem Rütli, an der sich seit 1996 immer mehr Rechtsextremisten beteiligten, ohne dass die Organisatoren dagegen eingeschritten wären. Erst als die Rechtsex­tremen die Feier zu vereinnahmen drohten, wurde ihr Ausschluss beschlossen.