Kriminell im Dienste der Verfassung

Ein V-Mann des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen soll einen Rechtsextremen in Dortmund mit einer Waffe versorgt haben. Von Thorsten Weber

»Verrückte, durchgeknallte Waffennarren, Kriminelle und Sportbegeisterte« würde Sebastian S. gerne kennenlernen, schreibt er beim Internetdienst Myspace. Dabei hat der 27jährige aus Lünen bei Dortmund offenbar schon Kontakt zu solchen Personen: Er galt bislang als ein zentraler Drahtzieher in der rechtsextremen Musikszene Nordrhein-Westfalens. Seit August sitzt er wegen Drogenhandels im Gefängnis, was andere Angehörige der Neonazi-Szene nicht zu überraschen scheint. Auch Waffenhandel und Zuhälterei sollen zu seinen Betätigungsfeldern gehören. Körperverletzung und Nötigung ergänzen sein ansehnliches Vorstrafenregister.

Höhepunkt seiner Karriere als Organisator rechtsextremer Musikveranstaltungen war ein Ian-Stuart-Memorial-Konzert mit mehr als 1 500 Besuchern, das im Dezember 2004 in Belgien stattfand. Auch in den Jahren danach organisierte S. Konzerte zu Ehren des Gründers des in Deutschland verbotenen Netzwerks »Blood and Honour«. Die Dortmunder Rechtsrockband »Oidoxie« gehörte zu seinem Umfeld und trat regelmäßig auf von ihm organisierten Konzerten auf.

Die Verquickung von klassischer Kriminalität wie Drogen- und Waffenhandel ist bei gewalttätigen Neonazis gerade im Umfeld von »Blood and Honour« nicht ungewöhnlich. Für öffentliches Aufsehen sorgten die Aktivitäten von S. aber erst, als bekannt wurde, dass neben den illegalen Geschäften mit Drogen, Waffen und rechter Musik und einer Kneipe namens »Störtebeker« offenbar auch der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz zu seinen Geldquellen gehört hat.

Aufgeflogen ist der V-Mann durch eine »Justizpanne«, wie der Verfassungsschutz den Vorfall bezeichnet. In Dortmund fand im August ein Prozess gegen einen 23jährigen aus der Dortmunder Neonazi-Szene statt, der im Februar bei einem Raubüberfall auf einen Supermarkt einen 60jährigen dunkelhäutigen Kunden mit vier Schüssen lebensgefährlich verletzt hatte. Eine rassistische Motivation sah das Gericht dabei nicht, trotzdem verurteilte es Robin Sch. zu einer Haftstrafe von acht Jahren. Der Täter war enger Vertrauter von S., der ihm nach Aussage des Angeklagten auch die Waffe verschafft und ihn zu dem Überfall angestiftet haben soll; der Verurteilte soll S. nach einem fehlgeschlagenen Kokain-Deal 17 000 Euro geschuldet haben.

Ob Panne oder nicht: Aus der Gerichtsakte, in die auch der rechte Anwalt André Pickert Einsicht hatte, ging hervor, dass S. für den Verfassungsschutz arbeitete. Nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau ist die Neonazi-Szene außerdem an die Identitäten zwölf weiterer V-Männer in der ostwestfälischen Szene gekommen. Darüber hinaus wirft die Bielefelder Staatsanwaltschaft, die wegen Drogenhandels gegen S. ermittelt, mindestens einem bislang unbekannten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes vor, er habe S. vor Strafverfolgung gedeckt, indem er ihn vor polizeilichen Ermittlungen wegen Drogenhandels gewarnt und zur »Vorsicht« gemahnt hatte. Er soll auch die Verwendung von öffentlichen Telefonzellen empfohlen haben, um Abhörmaßnahmen zu entgehen. Offenbar zu spät, denn dass S. ein V-Mann war, wurde durch Gespräche bekannt, die von der Polizei abgehört worden waren.

Inzwischen stellt sich die Frage, ob der Verfassungsschutz nicht mehr zum Aufbau als zur Bekämpfung der militanten Neonazi-Szene in Dortmund und Umgebung beigetragen hat. Im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2006 hieß es: »Nach dem rechtskräftigen Verbot im Jahr 2001 sind bis heute keine Aktivitäten in NRW festzustellen, die den Fortbestand von Strukturen der ›Blood-and-Honour‹-Organisation belegen würden.« Aber immerhin hat sich ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes um den Fortbestand solcher Strukturen bemüht, indem er Konzerte im Umfeld des Netzwerks organisierte.

Wofür erhielt S. monatlich zwischen 500 und 1 000 Euro, wenn selbst wenig konkrete Informationen wie die Existenz einer Organisationsstruktur nicht bis zum Verfassungsschutz gelangten? Verharmloste der Verfassungsschutz die rechtsextreme Szene, während er ihr gleichzeitig Geld und Waffen zukommen ließ? In Internetforen der rechtsextremen Szene ist, nachdem S. als V-Mann entlarvt ist, zu lesen, dass dieser »seit einigen Jahren jedem, den er kannte, scharfe Waffen und Sprengstoff angeboten und diese auch mit- und vorgeführt« habe, wie es etwa auf der Seite des »Nationalen Widerstands Dortmund« heißt. Dabei fühlte er sich offenbar so sicher, dass er selbst »Kameraden, die er zum ersten Mal gesehen hat, Waffen angeboten hat«.

Hat der Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren einen V-Mann, der die Dortmunder Neonazi-Szene aufgerüstet hat, vor der Polizei geschützt? Die dortige Szene ruft immer wieder offen zu Gewalt gegen Antifas auf und lässt dem durchaus auch Taten folgen. Brutaler Höhepunkt war dabei der von einem Dortmunder Neo­nazi begangene Mord am 32jährigen Thomas Schulz im März 2005. Zwei Tage später folgte ein Angriff auf eine aus diesem Anlass stattfindende Trauerkundgebung. Daneben gab es Attacken auf linke Kneipen, das Haus eines Antifas und das Büro der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke von der »Linken«.

Neonazis kreuzen in Dortmund regelmäßig auf antifaschistischen Kundgebungen und Demons­trationen auf, um die Teilnehmer zu provozieren, zu filmen und zu fotografieren. Am 1. September griffen Rechtsextreme nach einem Aufmarsch in Dortmund vermeintliche Teilnehmer einer Gegenveranstaltung an. Der Rechtsextremist Michael Berger, der im Jahr 2000 in Dortmund und im benachbarten Waltrop drei Polizisten erschoss, soll nach Informationen der Neuen Westfälischen Zeitung ein enger Freund von S. gewesen sein.

Dem Verfassungsschutz kann es nicht entgangen sein, dass der von ihm finanziell unterstützte S. ein Krimineller war: Er wurde im Jahr 2004 wegen Handels mit Betäubungsmitteln in 178 Fällen, 2005 wegen Nötigung, Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffengesetz und 2006 erneut wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilt.

Obwohl die Vermutung nahe liegt, dass der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz den Aufbau verbotener Neonazi-Strukturen und möglicherweise deren Versorgung mit Waffen unter aktiver Beteiligung eines kriminellen V-Mannes stillschweigend hingenommen hat, hüllt sich die Landesregierung in Schweigen. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ingo Wolf (FDP) verweigerte in einer Sitzung des Innenausschusses am 12. September jede Auskunft, da diese Frage der Geheimhaltung unterliege.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, Karsten Rudolph, vermutet, dass mit S. »ein krimineller V-Mann seinen Status beim Verfassungsschutz als Persilschein für seine Rauschgiftgeschäfte nutzt«. Trotzdem gibt es von offizieller Seite derzeit nicht mehr als vage Beschwichtigungen. So seien die Ermittlungen wegen Geheimnisverrats und Strafvereitelung im Amt gegen Verfassungsschutzmitarbeiter Sache der Justiz. Dass mit S. zwölf weitere V-Männer aufgeflogen sind, könne das Innenministerium »nicht bestätigen.«

Der angerichtete Schaden ist indes kaum mehr gutzumachen. Die Neonazi-Szene im Ruhrgebiet, insbesondere in Dortmund, gehört zu den brutalsten und am besten organisierten in Deutschland; ihre Drohungen gegen den enttarnten Doppelagenten und andere V-Männer sind eindeutig. S. sei ein »Verräter« und müsse »entsprechend behandelt« werden, heißt es in einem Forum.