Außer Thesen nichts gewesen

In Berlin-Kreuzberg leben Türken und Kurden Tür an Tür. Nach den Übergriffen auf kurdische Einrichtungen ist die Stimmung angespannt. Ein Besuch bei türkischen und kurdischen Kreuzbergern und den Grauen Wölfen während der Kundgebungen am Wochenende. von daniel steinmaier

»Im türkischen Fernsehen kommen so krasse Sachen«, sagt Ahmet und zeigt auf die unzähligen Satellitenschüsseln über unseren Köpfen. »Das eigentliche Problem sind nämlich die türkischen Medien«, meint der türkische Kurde bei einem Tee am Kottbusser Tor in Kreuzberg, wo am vorletzten Wochenende türkische Jugendliche kurdische Einrichtungen angegriffen hatten. Wenn die Medienhetze nicht wäre, gäbe es die derzeitigen Auseinandersetzungen nicht. »Eigentlich sitzt der Hass zwischen Türken und Kurden gar nicht besonders tief.«

Ahmet betont, er sei zwar »vorsichtig mit Begriffen«, aber die türkische Rechte könne man durchaus als »faschistisch« bezeichnen. »Man kann türkische Nazis genauso wenig tolerieren wie deutsche Nazis«, sagt er. Weil der türkische Nationalismus auch in der politischen Mitte immer aggressiver werde, fordert er die Solidarität der deutschen Linken. »Es geht nicht um Solidarität mit der PKK.« Die hält Ahmet für totalitär. »Es geht einfach um Menschenrechte.« Dass die früher selbstverständliche »Solidarität mit Kurdistan« in der Linken nicht mehr angesagt sei, sieht er nicht so sehr darin begründet, dass die Identifikation mit »Befreiungsgruppen« kritischer hinterfragt werde als früher. »Die Linken sind einfach sauer auf die Kurden wegen deren Kooperation mit den Amerikanern.«

Trotzdem haben sich an diesem Samstag auf dem »Kotti« mittlerweile ein paar mit Anarcho-Fahnen und Palästinensertüchern bestückte Antifas eingefunden. Im Nieselregen stehen sie zwischen Junkies und Passanten und wissen nicht recht wohin. Polizeiwannen sind aufgefahren. Auch wenn die kaum 30köpfige Kundgebung »gegen die rassistische Hetze gegen KurdInnen« in der Dunkelheit vor sich hin dümpelt, ist das Medieninteresse groß. Fernsehteams stehen vor den spärlichen Interviewpartnern Schlange. Ein junger Kameramann sorgt sich um das Bildmaterial. »Jetzt haben wir schon fast alle im Kasten, nur die wütenden Türken fehlen noch«, klagt er.

Aber die drei Jungs, die mit ihren hochgeschobenen Baseballmützen breitbeinig auf eine Gruppe linker Gymnasiasten zumarschieren, sind gar keine Türken. »Ey, du Jude«, tituliert der Größte von ihnen grinsend einen Flugblattverteiler, der anscheinend trotz seines Palituchs bei den jungen Arabern keine street credibility genießt. »Das darf man doch nicht sagen«, antwortet eine der jungen Antifas, »was sagst du denn, wenn dich Nazis als Scheiß-Araber beschimpfen?« Aber damit haben die Jungs offenbar kein Problem: »Mir doch egal, ihr linken Spasten.«

Zwei türkische Jugendliche beäugen die Kundgebung neugierig von der anderen Straßenseite. »Sollen die Kurden doch ihren Staat sonst wo machen, aber halt nicht in der Türkei!« kommentiert einer der beiden. »Kurden sind eigentlich Bergtürken«, verkündet der andere lachend. Mit der Randale hätten sie aber nichts zu tun gehabt. »Das waren halt Spinner.«

In einem Kreuzberger Hinterhof befindet sich der »Türkische Idealistenverein«, besser bekannt unter dem Namen »Graue Wölfe«. Fährt man mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock, steht man plötzlich in einem großen Raum, in dem unter allerlei patriotischem Zierrat ältere Männer an langen Tischen Tee trinken.

»Wir haben kein Problem mit Kurden«, erklären Mehmet und Mustafa*, die als so genannte Gastarbeiter nach Deutschland kamen und bald das Rentenalter erreicht haben dürften. »Das Problem ist die PKK.« Türken und Kurden, versichert er, kämen sonst gut mit einander aus. »Der da drüben zum Beispiel ist auch ein Kurde«, sagt Mehmet und zeigt auf ein Vereinsmitglied. Aber die PKK, »die Babys tötet, die Armee angreift und Dörfer bombardiert«, die müsse man bekämpfen. Von der Unterdrückung der Kurden will man hier nichts wissen: »Es gibt Kurden bei uns im Parlament, wie kann es dann sein, dass die Kurden unterdrückt werden?«

»Wir haben vorhin ein Team der ARD weggeschickt«, erzählt Orhan, der mit seinen 30 Jahren das jüngste der anwesenden Mitglieder ist. »Die Medien berichten nie die Wahrheit über uns«, klagt er etwas eingeschnappt. Mit den Ausschreitungen gegen kurdische Einrichtungen vom vorletzten Sonntag habe ihr Verein nichts zu tun. Angefangen hätten die anderen. »Die Kurden haben provoziert, und die Polizei hat sie nicht daran gehindert«, erzählt Mustafa seine Version von den Ereignissen.

Am Konflikt im Nordirak sind ihrer Meinung nach vor allem die Amerikaner schuld. »Petrol ist das Problem«, sinniert Orhan. »Weil die Amerikaner Öl brauchen, machen sie Chaos.« Deshalb hätten sie die PKK mit Waffen ausgerüstet. »Die Amerikaner bomben erst, und dann helfen sie – mit vergifteten Lebensmitteln, die die kulturelle Identität der Menschen zerstören.« So sei das auch bei den Deutschen gewesen. »Habe ich jedenfalls wo gelesen«, ergänzt Mustafa. Ganz sicher ist er sich da nicht. »Man hört vieles.« Vieles hört man vor allem aus dem Fernseher über dem Billardtisch. Untermalt von martialischer Musik fahren dort gerade türkische Panzer auf, Soldaten gehen in Gefechtsstellung, und zwischendurch sieht man Condoleezza Rice bei ihrem Besuch in der Türkei. »Sie ist eine Schlange«, meint Mustafa. »Bei uns spricht sie von kurdischen Gebieten im Nordirak, und wenn sie anderswo ist, sagt sie ›Kurdistan‹.«

Sonntags auf dem Hermannplatz stehen ein paar hundert Kurden und ein paar Hundertschaften der Polizei; die ist in der Überzahl. Nachdem am vorletzten Sonntag hier eine Demonstration türkischer Nationalisten angefangen hatte, die mit Ausschreitungen endete, sind alle gespannt. Die kurdischen Jungs, die sich ihre Tarnjacken mit Öcalan-Aufklebern bepflastern, sind sich sicher, dass auch heute was abgeht. »Auf jeden, Alter!« Auch einige deutsche Linke sind da, »um ein Zeichen zu setzen gegen die faschistischen Übergriffe«. Dass auch jene Gruppierung dabei ist, die selbst andere auch schon mal mit Messern bekämpft, versteht sich von selbst. »Da vorne steht dieser antizionistische Messerstecher, der mit der gestreiften Mütze«, berichtet mir jemand und findet es »schon komisch, mit was für Leuten man sich hier wieder findet«.

Zwischen den Kurdistan-Flaggen sieht man auch zahlreiche Fahnen, die der kurdischen Sonne Koransuren an die Seite stellen. Eine intensiv geschminkte 16jährige erklärt die Bedeutung ihrer Fahne: »Das ist die Fahne der kurdisch-islamischen Moschee.« Im Gegensatz zum »türkischen Islam« sei ihr »kurdischer Islam« aber viel moderater. »Die Türken verachten Deutsche, die nicht an Gott glauben. Wir dagegen finden, jeder soll glauben, was er will.« Ihre Mutter mit dem schwarzen Kopftuch wirkt angesichts der Ausführungen ihrer Tochter etwas irritiert.

Inzwischen posiert ein Dutzend junger Männer für die Kameras und skandiert »Beji Öcalan!«. Der drohende Einmarsch türkischer Truppen im Nordirak und die antikurdischen Übergriffe scheinen hier eine untergeordnete Rolle zu spielen, denn alles dreht sich um den in der Türkei inhaftierten PKK-Führer, gegen dessen angebliche Vergiftung sich auch das offizielle Motto der Demonstration wendet. Das sorgt für rechtliche Probleme, denn die PKK ist in Deutschland verboten. Nachdem aber schon die Demonstration auf eine Kundgebung zurechtgestutzt wurde, hat die Polizei kein Interesse an noch mehr Frust auf kurdischer Seite. »Das Tragen des Öcalan-Porträts tolerieren wir heute, damit es nicht noch mehr Ärger gibt«, erklärt das Anti-Konflikt-Team. Als Öcalan-Fahnen von Ordnern in der Menge verteilt werden, ist die Begeisterung groß: »Beji Öcalan!«

Die junge Türkin, die in der Bäckerei an der Ecke arbeitet, findet das inakzeptabel. »Wenn wir zusammen in der EU sein wollen, müssen sich alle einig sein, wer Terrorist ist. Dann können nicht die Deutschen einfach erlauben, dass man heute ausnahmsweise Terroristen verherrlichen darf.« Zwischen kurdischen Volkstänzen betonen derweil Redebeiträge den »Wunsch nach Dialog und Frieden«. »Ich habe gerade gute Nachrichten bekommen«, verkündet der Sprecher. Die PKK hat soeben die acht verschleppten türkischen Soldaten freigelassen. »Jetzt ist es an der Zeit, dass auch die türkische Armee dem Frieden entgegenkommt«, ruft der Redner. Sadi, der sich eine kurdische Fahne umgehängt hat, findet die Freilassung auch richtig. Dass deswegen die Chancen besser stehen, eine Invasion noch abzuwenden, glaubt er aber nicht. »Eigentlich hoffe ich noch ein bisschen auf George W. Bush, aber sag das bloß nicht zu laut.«

*Namen geändert