Gameboys

Deutsche Unternehmer sind eine unterdrückte Minderheit. Impressionen vom Deutschen Arbeitgebertag 2007. von jürgen kiontke

Das hier ist Axel sein Ding. Mit 120 Kilometer die Stunde saust er den Eiskanal runter, er rast durch die Kurven auf Ideallinie, jetzt auf die Zielgerade. »Axel: 53 Sekunden und ein paar Tausendstel«, so ähnlich steht es auf der Anzeigetafel. Axel ist neue Bestzeit gefahren. Auf dem Bob-Simulator, den der Arbeitgeberverband an diesem 11. Dezember ins Foyer des Berliner Maritim-Hotels gestellt hat.

Axel ist ein deutscher Unternehmer. Und die Seele des Unternehmertums ist ganz klar der Spieltrieb. Wenn du angestellt bist, hast du Sicherheit. Aber wenn du selbständig bist, kannst du immer das dicke Ding landen.

Es geht um Märkte, Kunden, Absatz, Produktion. Das müssen sie den ganzen Tag spielen. Das ist anstrengend. Der Bob-Simulator kommt da gerade recht. Lachende und strahlende Gesichter gibt es auch an der Rennstrecke, die die Spielzeugfirma Carrera zur Verfügung stellt. Und man glaubt nicht, was los ist, als die Füllfederhalterfirma Montblanc an ihrem Stand eine Tombola veranstaltet. Für noch mehr gute Laune sorgen nur die Mädchen vom Apothekenverband, die in Miniröcken, High Heels und weißen Strümpfen Birnen und Äpfel aus biologischem Anbau verteilen.

Fröhlich sein und lachen, wer wollte das nicht den ganzen Arbeitgebertag lang? Wenn da nur die verdammte Politik nicht wäre. Der neueste Coup der Politik: Sie hat den Mindestlohn erfunden. Und Mindestlohn, das geht gar nicht. Auf einmal kommen Politiker auf die Idee, dass Leute, die arbeiten gehen, von ihrer Arbeit auch leben können sollen. Aber wo kommen wir hin, wenn jeder verdient, was er will? Die Unternehmer sagen, der Staat solle den Lohn aufstocken.

Wegen so etwas müssen sie sich zusammenschließen, damit ihre Interessen in größerem Stil vertreten werden. Obwohl sie eigentlich Konkurrenten sind. Unternehmer sind eine Minderheit in Deutschland. Wie andere Minderheiten auch leiden sie ganz schön an offener und versteckter Diskriminierung. Denn Deutschland ist ja bekanntlich nicht so tolerant.

Dabei sind Unternehmer gar nicht so. Schaut man sich auf diesem Verbandstreffen um, lernt man Verschiedenes über den deutschen Kapitalisten: Er trinkt gern Wein und Kaffee und hält einem die Tür auf. Und wenn das Handy klingelt, verzieht er sich in die hinterste Ecke des Saals, um dort leise zu telefonieren. Er hat ein Faible für charmante Nachlässigkeit, die der eine oder andere mit Flusen auf dem Anzug beweist oder mit seiner Vorliebe für abgetragene Schuhe. Und es gibt richtig schöne Exemplare. Die tragen dreiteilige Anzüge. Die mit den Zweiteilern sind mehr was für den Alltag.

Deutschland tut sich bekanntlich schwer in Sachen Integration. Ohne Interessenverband geht da nichts. Eine Million Arbeitgeber organisiert die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, BdA. Das ist so etwas wie die Gewerkschaft der Unternehmer. Die BdA hat einen Chef: Dieter Hundt. Zur Eröffnung teilt der ganz schön aus, ganz so, wie es sich für einen Gewerkschaftsboss gehört. Denn wie anderen Verbänden auch, werden den Unternehmervereinen die Mitglieder abspenstig.

Der deutschen Wirtschaft geht es gut, und das liegt an uns, den tatkräftigen Männern und Frauen, die hier im Verhältnis 150:1 im Saal sitzen. Glauben wir. Hundt aber sagt uns die Wahrheit. Dass es in der deutschen Wirtschaft fluppt, liege an einer bloßen Laune der Weltwirtschaft. Uns Unternehmern in den eng gestellten Stuhlreihen wird heiß. Ungefähr 1 000 Menschen sitzen auf ungefähr 700 Stühlen. Die Klimaanlage packt’s nicht. Unser Adidas-Rasierwasser ersetzt langsam, aber sicher die Luft. Dass uns unser Verbandschef die Leviten liest, damit hätten wir nicht gerechnet. Nur der Exportwirtschaft stellt er gute Noten aus. Ansonsten bescheinigt er uns, wir seien »nur Durchschnitt« im internationalen Vergleich.

Am meisten regt ihn das Thema Mindestlohn auf. »9 Euro 80 für Briefe austeilen, nicht zu fassen«, sagt der Arbeitgeberpräsident. Mindestlöhne werden vom Staat vorgeschrieben. Fast ganz Europa hat welche, und sogar die Mutter aller Arbeitsmärkte, die USA. In Deutschland gab es Mindestlöhne bisher nicht so oft. Es hat meist ohne Vorschriften geklappt, die Löhne knapp zu halten.

Interessanterweise glaubt auch Hundt, dass die Leute zu wenig Geld in der Tasche haben. Aber das liege nicht daran, dass sie zu wenig verdienten, sondern daran, dass der Staat ihnen so viel abknöpfe. Aber wenn er das nicht tut, kann er die Wirtschaft nicht um Milliarden entlasten, wie er das zum Beispiel ab 1. Januar mit der Unternehmenssteuerreform tun wird. Das sagt Hundt aber nicht.

Als wäre das nicht genug, gibt es auch noch eine Höchstmindestlohndebatte. Denn oft kommt raus, führende Manager verdienen gigantische Summen, auch wenn sie die Firma in die Pleite reiten. Hundt kommt nicht auf die Idee zu behaupten, so etwas gäbe es nicht. »Schwarze Schafe« nennt er solche verantwortungslosen Gesellen. Er meint aber, dass die ein Fall für die Unternehmerethik seien. Und die gibt’s nicht als Gesetz.

Als nächstes kommt Angela Merkel von der CDU. Die ist Bundeskanzlerin und war früher eine Freundin der Wirtschaft. Heute weiß man nicht mehr so genau. Auf einmal findet sie Mindestlöhne auch okay. Die CDU war eigentlich mal die Partei für Unternehmer. Aber heutzutage scheint sie nur noch aus Sozialdemokraten zu bestehen.

Die Unternehmer wollen lieb gehabt werden. Dafür bietet sich Guido Westerwelle an. Neben ein paar halb- und viertellustigen Sachen sagt er, dass es mit der CDU von Frau Merkel nichts mehr werde. Die einzige Partei, die etwas für die Unternehmer tue, sei die FDP. »Im Bundestag sitzen 90 Prozent Sozialdemokraten.« Selbstverantwortung, Freiheit, soziale Marktwirtschaft, sagt er auch noch. »Der Staat soll sich aus dem Leben seiner Bürger raushalten.«

Sympathisch, sympathisch, vor allem das letzte. Unten sitzen sie und lachen manchmal. Manche haben auch die Augen geschlossen. Nicht um besser zuzuhören. Die schlafen tief und fest. Arbeit geben macht müd’. »Wo soll man seinen Ärger nur loswerden?« scherzt Westerwelle. »Hier hab’ ich wenigstens eine halbe Stunde, und das sogar vorm Dunkelwerden.« Da kommt man sich als Publikum, das sich in der Mitte der Gesellschaft wähnt, echt ein wenig ausgenutzt vor.

Applaus für den lustigen Mann. Am nächsten Tag wird es überall in den Zeitungen stehen – dass die Arbeitgeber den bejubelt haben. Was nicht drin steht: Bei Merkel haben sie auch geklatscht. Und später tritt der »Wirtschaftsweise« Peter Bofinger auf, der Mindestlöhne sogar gut findet. Auch der bekommt Applaus. Denn Unternehmer sind nicht nur verspielt, sondern auch freundliche Menschen.

Und Optimisten. Symptomatisch dafür ist der Referent Paul Nolte, Historiker, dreiteiliger Anzug: »Wir können es so sehen: Die Gesellschaft zerfällt in Reiche und das Prekariat. Wir können aber auch sagen: Noch nie gab es in Deutschland so viel so gut zu essen.«

Damit das Spielelement nicht zu kurz kommt, erscheint auch Theo Zwanziger, der Präsident des Deutschen Fußballbundes. Denn deutscher Fußball – nur Erfolgsmeldungen. »Die Weltmeisterschaft von 1954 hat die Demokratie entscheidend vorangebracht«, sagt er. »Die Idole leben immer noch – auch wenn sie nicht mehr unter uns sind.« Die WM 2006 habe entscheidend zur Integration beigetragen. Türken seien es gewesen, die als erste mit Deutschland-Flaggen Korso fuhren. Klasse. Gerhard Braun von der BdA sekundiert: Fachkräftemangel, Alterung der Gesellschaft. »Um die Migranten muss sich intensiver gekümmert werden. Sie brauchen mehr Energie, mehr Geld, mehr Aufmerksamkeit.«

Zeit, noch eins draufzusetzen. Podiumsdiskussion mit Rita Süssmuth, Frank Schirrmacher und, als special guest: Bernd Fakesch, dem – na, was wohl? – Geschäftsführer des Spieleentwicklers Nintendo. Sein Laden hat nicht nur den Gameboy erfunden, sondern auch »Wii«. Das ist eine neue Spielkonsole, die Bewegungssensorik und Fernsehen miteinander verbindet. Im Foyer steht ein Simulator, da macht Axel gerade Klimmzüge. Fakesch sagt: »Wii geht gerade weltweit durch die Decke.«

Das Unternehmen Nintendo hat noch einen zweiten Kracher im Angebot: »Dr. Karashimas Gehirnjogging«. Da wird man spielend klug. Wii und Gehirnjogging markieren einen Paradigmenwechsel auf dem Spielemarkt. 1. Sie sind so einfach, dass sie jeder begreift. 2. Die Spielzeugbranche verlässt mit ihnen den Kinder- und Jugendsektor. Fakesch sagt: »Wir haben neue Märkte geschaffen, das ist noch besser als neue Produkte.« »Haha«, scherzt Moderator Ansgar Graw, »Wii hab’ ich mir gerade angesehen, das ist meine erste Idee für die Frau zu Weihnachten.«

Oder doch Gehirnjogging? Die Deutschen seien ein bisschen lernfaul, die hielten Bildung für Zwang, sagt Diskutantin Rita Süssmuth. Stimmt fast, ergänzt Fakesch, 60 Prozent der Gehirne in Deutschland, die joggen gehen, gehörten Frauen. Der deutsche Mann sei ein bisschen lernfaul. Graw schweigt.

Schirrmacher hingegen ist der Meinung, die Gehirne der Älteren seien langsamer, weil sich im Laufe der Jahre so viel »Schwachsinn« darin ablagere. Man müsse mal die Festplatte löschen – Stichwort lebenslanges Lernen: »Wir werden alt. Viagra dürfte bald mehr Käufer finden als Babyschnuller.« Süssmuth: »Früher hat keiner die Alten als nützlich angesehen. Wir dachten allenfalls, die schicken wir mit einer dicken Rente nach Mallorca.«

Unsicherheit allerorten. Die Deutschen, so die ehemalige Familienministerin, hätten auch ein ambivalentes Verhältnis zum Spiel. Auch dies erscheine ihnen als nicht nützlich. Selbst schuld. Aus nichtsnutzigen Dingen macht Nintendo Weltmärkte. Da wird Wirtschaft philosophisch: Der Mensch liebt nicht nur das Spiel, er liebt auch seine eigene Nichtsnutzigkeit.

Kann sein, dass sich an diesem Tag noch Kurt Beck und Fritz Kuhn die Klinke in die Hand gaben. Nach einem anstrengenden Arbeitstag auf dem Arbeitgebertag steht das Fazit aber auch so fest: Nintendo sollte schleunigst eine Wii-Mindestlohn-Konsole entwickeln, es steht zu befürchten, dass es sonst mit der Integration nichts wird. Mit der Integration der Unternehmer. In unsere Mitte sollten wir sie nehmen, wir Linken – wir sind ja gegen Ausgrenzung. Auch über Gehirnjogging könnte man nachdenken.